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Diese Woche unterhalten wir uns über Paul Greengrass neuen Film „Captain Phillips“ mit Tom Hanks in der Hauptrolle. Dass das seit Langem wieder eine Herausforderung für den A-List-Schauspieler darstellt und auch darüber, warum Greengrass für den „Captain Phillips“-Regie-Stuhl Ron Howard vorzuziehen war, wollen wir folgend debattieren.

PD: Tom Hanks hat seit Jahren endlich wieder mal geschauspielert. Kaum zu glauben.

YP: Genau das wollte ich gerade auch schreiben. Eine der besten Leistungen der letzten Jahre. Bzw. wann war seine letzte und richtig gute schauspielerische Leistung?

PD: Soeben fällt mir ein, dass er in „Cloud Atlas“ mehrere Rollen spielte und darin ganz gut war aber der ganze Film war ein ambitioniertes, aber nicht völlig überzeugendes Unterfangen. Ganz im Gegensatz zu „Captain Phillips“. In „Charlie Wilson’s War“ wurde er von Philip Seymour Hoffman überstrahlt obwohl Hanks darin auch ganz gut war.

YP: Das waren Peanuts für Hanks. Ich schaue gerade auf imdb.com und der letzte Kinofilm, den ich mit Tom Hanks gesehen habe, ist „Charlie Wilson’s War“. Ich habe weder “Larry Crowne” noch “Cloud Atlas” noch “Extremely Loud and Incredibly Close” gesehen.

PD: „Cloud Atlas“ hat einen ganz guten Eindruck hinterlassen, aber irgendwie ist das kein „Tom-Hanks-Film“. Die anderen beiden habe ich boykottiert.

YP: Und ich habe alle 3 Filme erfolgreich boykottiert. In „Captain Phillips“ liefert er wieder einmal eine großartige Leistung ab, die ihm körperlich genauso viel abverlangt wie ihm seine Rollen in „Philadelphia“ oder „Forrest Gump“ abverlangt haben.

PD: …oder in „Saving Private Ryan“. „Cloud Atlas“ ist ein spannender Film mit vielen interessanten Ideen und gut geschauspielert, aber der ist eben…ambitioniert und deshalb nicht sofort „gut“. In „Captain Phillips“ war ich vor allem von seiner eher schroffen, nüchternen Leistung in den ersten Minuten angetan. Er ist geradezu verbiestert, wenn es um den Umgang mit der Crew geht, mit den Abläufen an Bord des Schiffes. Erst wenn die Piraten das Schiff entern, beginnt Hanks bzw. der Charakter aus seiner Haut heraus zu treten. Plötzlich ist er der Beschützer der Crew, der mit den Piraten versucht auf einer nüchternen Ebene zu verhandeln und sie so schnell wie möglich von Bord zu schaffen.

YP: Genau. Besonders beeindruckt hat mich diese Zurückhaltung, die er beim Spielen an den Tag gelegt hat. Man könnte sagen, auch eine Art Disziplin. Die er über Längen aufrecht erhalten kann und in den letzten fünf Minuten des Films bricht er darunter zusammen. Ich fand die letzten fünf Minuten fantastisch. Genau so stelle ich mir jemanden in so einer Situation vor: wortlos, zitternd, erschöpft. Ohne die Situation zu herzugeben.

PD: Gut, versuchen wir es ohne Spoiler.

YP: Man muss auch dazusagen, dass es eine sehr herausfordernde Rolle war, die er da angenommen hat.

PD: Für mich sind gerade die letzten Minuten problematisch. Nicht wegen der Darstellung, die ich ebenso einprägsam fand und mir nahe ging, aber ich fand, nachdem der Film einen Doku-Stil an den Tag legte, es beinahe überzogen melodramatisch.

Es schien, als würde man Hanks noch eine „Oscar-Szene“ in den Schoß legen und Hanks nutzte diese Gelegenheit. Von der nüchternen, disziplinierten Haltung in den ersten Minuten über die Verhandlungssituation bis zum Zusammenbruch am Ende (puh, ohne Spoiler ist das schwer) musste Hanks seine Grenzen ausloten. Hier muss aber auch gesagt werden, dass Hanks‘ Darstellung ohne seinen Widerpart Barkhad Abdi nicht so gut funktioniert hätte. Greengrass hätte für den Piraten Muse auch irgendeinen Schauspieler nehmen können, der einen anonymen Piraten darstellt, aber in Abdi hat er einen Schauspielneuling gefunden, der dieses Figur ebenso viel Charakter und Hintergrundgeschichte gab, wie Hanks seinem Richard Phillips.

YP: Mir hat die letzte Szene eben deshalb so gut gefallen, weil ich keinen melodramatischen Hollywood-Kitsch darin wiederfand. Das war auch eine nüchterne Szene für mich. Ganz gut war die Tatsache, dass auf eine dramatisch Vereinigung mit der Familie verzichtet wurde. Rich Phillips erkundigt sich nach seiner Familie und die Ärztin informiert ihn. Die ärztliche Untersuchung ist eine Trockenübung, die auf das Melodrama gänzlich verzichtet.

PD: Ja, da muss ich zustimmen. Das erste Gefühl im Film war aber eines, des Melodrama, aber da hast du natürlich recht. Eine Familienzusammenführung – mit eilig heran laufender Ehefrau – wäre pures Melodrama gewesen.

YP: Und bis auf Tom Hanks – dem größten Star schlechthin – gibt’s kaum bekannte Gesichter oder A-List-Stars im Film. Catherine Keener spielt die Ehefrau und das war es auch schon.

PD: Möglicherweise hätte es ja noch mehrere Szenen mit Keener gegeben, aber die hat er vielleicht geschnitten. Hanks mag ja ein Star sein, aber seine Darstellung funktioniert ja auch, da er wieder seine Stärken ausspielen darf. Der Durchschnittsmann in einer außergewöhnlichen Situation. Überrascht war ich von dem Bild, welches Greengrass zu Beginn des Films aufwarf. Zunächst sieht man Phillips mit seiner Frau im Auto auf dem Weg zum Flughafen und sie diskutieren, die Situation am Arbeitsmarkt. Wie schwer es mittlerweile für die jungen Menschen geworden ist, einen Job zu finden, da sich um jede Stelle 50 Bewerber streiten und dann schneidet Greengrass an die somalische Küste und man sieht, wie sich im Dorf, die Männer um die Plätze im Boot streiten um mit auf die „Jagd“ zu gehen. Hervorragend. Ich war überhaupt angetan von der ersten „Hälfte“. Piraterie als Geduldsspiel. Das waren sehr spannende Momente. Danach fiel es ein wenig ins „übliche“ Geschehen ab. Dafür kann Greengrass wenig, schließlich hat sich das alles so zugetragen, wie er es erzählt.

YP: Abdi war ein Glücksgriff, vor allem, weil er physiognomisch eine beeindruckende Gestalt macht: ausgezerrt, groß, schlaksig und eine Hoffnungslosigkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben. Ihm gegenüber steht Tom Hanks: wohlgenährt, zufrieden, selbstbewusst. Durchwegs spannend war das. Fast ein bisschen unerträglich spannend. Und was mir besonders gefallen hat, war die Kurzweiligkeit aufgrund der Spannung. Und das obwohl der Film über 130 Minuten gedauert hat. Diese Stehsätze beinhalten auch etwas sehr Realistisches. Rich und Muse haben sich keine Wortgefechte geliefert, jeder hat versucht, seinen Job zu machen, das war alles strengstens „business“. Salopp gesagt: was willst du da groß reden? Verhandelt wurde dann auch nur von den Navy Seals und das würde ich auch nicht groß als Verhandeln sehen. Eher ein überrumpeln. Der Auftritt der Navy Seals hinterließ ein bisschen einen Beigeschmack. Sehr triumphierend sind die da ins Geschehen hinein gestampft.

PD: Die Kameraschwenks über die verschiedenen Schiffe der Navy hatten einen „zelebrierenden“ Beigeschmack. Das Publikum – ohnehin in der Ecke von Captain Phillips – soll ein Gefühl des nahen Triumphes bekommen. Ein Ende des Martyriums. Und bei mir hat es ja funktioniert. Schließlich hätte ich auch am liebsten dem einen oder anderen der Piraten gerne eine runtergehauen.

Dennoch fand ich die erste Hälfte des Filmes spannender, intensiver. Grandioses Spannungskino. Diese Unterschiede sind schön zu sehen. Hanks hat ja tatsächlich noch einen Wohlstandsbauch. Ein anderer Darsteller wäre vielleicht trainiert ans Set gekommen, aber Hanks ist eben dieser Durchschnittsmann mit dem Bierbauch, dem grauen Bart und den dünner werdenden Haaren. Mich störten mehr die Dialoge, die den Charakteren in den Mund gelegt wurden. Oft genug wurden da Stehsätze einander zugesprochen, die einfach in den Ohren schmerzten. Nehmen wir einfach nur einen Dialog aus dem Trailer: „Es muss doch mehr geben als Schiffe und Menschen entführen.“- „Vielleicht in Amerika. Vielleicht in Amerika.“ Hier sehe ich schon die künstlerische Freiheit, dass man sich ein klein wenig von der Realität entfernt. Da darf dann von mir aus auch gerne Stille in diesem Moment herrschen oder einfach etwas nicht ganz so Klischeehaftes.

YP: Im Film meinte Rich Phillips zu Muse doch eher: Jeder habe eine Wahl und dann antwortete Muse drauf: In Amerika vielleicht. Das war doch passend. Insbesondere weil Rich am Anfang des Films meinte, dass in Amerika die Wahlfreiheit prekär werde uns sein Sohn aufpassen müsse. Rich hat darauf auch nichts gekontert, was für mich so viel bedeutet, als stimme er Muse stillschweigend zu.

PD: Die Frage ist eher ob Rich Muse zustimmt oder er ihm nicht die Realität des immer knapper werdenden Arbeitsmarktes erklären wollte, was in der Situation ja auch zynisch und zugleich zu kompliziert gewesen wäre. Denn zu Beginn hört man ja von den dutzenden Bewerbern für eine Stelle und dass es nicht mehr genügt nur fleißig zu sein.

YP: Ich weiß nicht, was es mit den Navy Seals auf sich hatte. Die Fallschirmsprünge, das waren alles Schränke von Männern und dann der Ton auf dem Schiff, das war alles sehr beklemmend.

PD: Mich erinnerten diese Szenen an „Zero Dark Thirty“, auch wenn ich die Soldaten in Bigelows Film nicht ganz so muskulös im Gedächtnis habe. Schön fand ich den Zwiespalt der aufkam, als die Verhandlungen zu stocken begannen. Wie weit könnte das Militär gehen und wie weit konnten die Piraten die Situation noch ausreizen, ehe alles eskalieren würde.

YP: Das wirkte alles irgendwie grotesk. Das waren auch die Szenen, die mich auflachen ließen. Besonders bei den Fallschirmsprüngen. Schöne Bilder waren das, doch hätte uns das imponieren sollen?

PD: Die Fallschirmsprünge wurden doch gegengeschnitten mit den Vorgängen bei den Piraten.

YP: Das war wieder unerträglich spannend: Da wollte der Regisseur beim Publikum auch was ausreizen. Wie lang kann ich das noch machen, ehe die Glaubwürdigkeit darunter leidet? Es ist ihm geglückt. Ich kann mich an keine Einbußen in puncto Spannung erinnern und zum Schluss hin wird es noch einmal hochgetrieben.

PD: Darin ist Greengrass ja ein Meister. Der quasi-dokumentarische Stil, den er schon in „Bloody Sunday“ zeigte, verbunden mit typischen Thriller-Elementen und dabei bleibt er immer in einer politisch „neutralen“ Ecke. Schließlich verurteilte er die Piraten nicht, er zeigte sie als Menschen, die keine andere Möglichkeit haben. Muses Kommentar zu den Hilfsgütern, die auf dem Frachtschiff waren, fand ich sehr gelungen.“Reiche Länder helfen gerne Afrika…“ …und dann Ende.

YP: Das war durchwegs neutraler Boden, den wir da betreten haben. Allerdings hätte ich mir zu Beginn mehr Einstellungen mit den Somaliern gewünscht. Eine noch längere Vorstellungssequenz und eine Identifikationsfigur ist in manchen Filmen notwendig und in „Captain Phillips“ ist das Rich Phillips.

PD: Die Identifikationsfigur ist eindeutig Captain Phillips. Dafür fand ich die Darstellung von Muse im Vergleich zu Phillips überraschend ausgewogen.

YP: Weil du es weiter oben bereits angeschnitten hast: Verherrlichung der Supermacht USA fand sich im Film nicht wirklich wieder. Mir gefiel die Einführung der Navy Seals nicht, aber schlussendlich haben sie nur ihren Job gemacht und das Militär ist nun mal kein Kinderspielplatz. Das ist ein Ort, wo Gehorsam über allem thront.

PD: Ganz genau. Sieht man vor allem wenn es um die Befehlsgewalt geht. Der Kommandant des ersten Schiffes hat nichts erreicht, also übernimmt nun ein anderer das Kommando. Punkt.

YP: Wir haben schon so viele verherrlichende USA-Filme gesehen, dass es einem als komisch erscheint, wenn ein Film beide Perspektiven liefert, oder nur eine. Erinnere dich mal an Clint Eastwoods „Flags from our Fathers/Letters From Iwo Jima“. Das war neu.

PD: Bereits zu Beginn von „Flags from our Fathers“ wird ein Soldat, der vom Schiff fällt, zurück gelassen. Die Helden von Iwo Jima versinken in der Propaganda. Es gibt für die Soldaten kein Happy End. Ihr einziger Glücksmoment ist das Hissen der Flagge. Danach: Alkoholismus, Anonymität, Ziellosigkeit.

YP: Um noch einmal auf Rich und seinen Widersacher Muse zu sprechen zu kommen: In einem Interview mit Greengrass, Hanks und Abdi meinte Greengrass, Hanks und Abdi haben sich erstmals am Set getroffen.

PD: Abdi hatte zuvor ja gar keine Schauspielerfahrung.

YP: Hast du gewusst, dass Ron Howard für „Captain Phillips“ im Gespräch war und Greengrass für „Rush“. Da bin ich froh, dass es anders gekommen ist.

PD: Das ist mal ein lustiges Gedankenexperiment. Nix gegen Ron Howard, aber man hat ja schon oft genug gesehen, dass er ein kompetenter Filmemacher und Rekonstrukteur ist aber da wäre sein „Captain Phillips“ wohl sehr zach geworden. Greengrass würde ich „Rush“ aber ohne Probleme zutrauen. Auch wenn Peter Morgan in der Vergangenheit mit Ron Howard gut zusammen gearbeitet hat – siehe „Frost/Nixon“.

YP: So wie du würde ich Greengrass Vieles zutrauen, Howard nicht. Wobei ich mit dem Endergebnis von „Rush“ sehr zufrieden bin.

PD: Ja, „Rush“ hat seine Fehler aber ist äußerst gelungen. Mal schauen wie nächste Woche „Catching Fire“ wird. Ein Film wo es beinahe egal ist, wer Regie führt.

YP: „Rush“ ist Unterhaltungskino. „Catching Fire“ ist bahnbrechend. Und wo es nicht egal ist, wer die Hauptrolle spielt.

PD: Ein Thema für nächste Woche. Denn da habe ich ja auch andere Ansichten.