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Ein Mann und ein Auto. Knappe 90 Minuten lang fährt Ivan Locke (Tom Hardy) von Birmingham nach London. Für ihn wird es eine lebensverändernde Autofahrt und für das Kinopublikum ein nervenaufreibendes und fesselndes Kinoerlebnis.

PD: „Locke“ ist einer der seltenen Fälle, wo ich über einen neuen Titel für den deutschsprachigen Raum glücklich bin.

YP: Ich habe den Film auf der Viennale als „Locke“ gesehen und kann mit dem deutschen Verleihtitel nichts anfangen. Er passt einfach nicht. „No Turning Back“. Das klingt nach Sci-Fi-Thriller. Nicht nach einem Auto-Kammerspiel und moralischer Demontage.

PD: Das hat auch eher praktische Gründe. Während des Films erscheint der „deutsche“ Titel „No Turning Back“ kein einziges Mal auf der Leinwand. Als ich aber mit Freunden und Arbeitskollegen über den Film sprach und den Originaltitel fallen ließ, gab es hauptsächlich Witze darüber, dass es sich wohl um einen Film handelt, bei dem es um Haare geht. Von diesem ein wenig anti-cineastischen Blickpunkt aus, finde ich es diesmal besser, dass es diesen anderen englischen (deutschen) Titel gibt.

Im Grunde passt der auch gar nicht so schlecht. Ivan Locke (Hardy) hat ja auch keine Möglichkeit mehr umzukehren. Das ist in dem Moment klar, in dem er sich in das Auto setzt.

YP: Findest du? Klar, in das Konstrukt des alten Lebens kann er nicht mehr zurück, aber da liegt die Schuld auch bei ihm. Es hat mich nicht losgelassen, darüber nachzudenken, wohin Ivan Locke jetzt gehen wird.

PD: Es lag an seiner Geradlinigkeit, dass es für mich klar war, dass er seine Entscheidungen nicht mehr ändern würde. Seine Motive konnte ich nicht immer nachvollziehen (Warum meldet er sich nicht wirklich krank? Warum fährt er überhaupt in der Nacht ins Krankenhaus? Er hätte genauso gut am nächsten Tag hinfahren können, nachdem der wichtige Auftrag erledigt war.) aber er handelte nach einem sehr klaren Wertekodex.

YP: Wie fandest du ihn als Charakter? Als Menschen? War er jemand, den du gerne näher kennenlernen wolltest?

PD: Wirklich sympathisch wirkte er nicht. Das ist auch schwer zu beurteilen. Man sah ihn in stressigen Situationen, in denen er sein ganzes Leben unter sich zusammenbrechen sah. Wie er in einem lockeren Umfeld, in einer Bar wohl wäre…? Ich weiß es nicht. Es war mir aber auch nicht wichtig.

YP: Nein, interessant, dass du schreibst, auf dich wirkte Locke geradlinig. Wäre er das von Anfang an gewesen, hätte er sich nicht in eine derart abgehobene Situation gebracht. Ich habe mich stets gefragt, wie tickt jemand, der innerhalb kürzester Zeit sein Leben selbst und aktiv zerstört. Es war doch eher so, als wäre das Fundament seiner Lügen über ihn eingestürzt. Vielleicht passt der Titel „No Turning Back“ doch ganz gut. Wer sich selbst betrügt, will auch nicht mehr zurück.

PD: Das stimmt natürlich. Er hat seiner Frau nichts von dem Seitensprung mitgeteilt und lässt seinen Arbeitgeber in dieser kritischen Situation hängen. Andererseits wird er von seinem Mitarbeiter, seinem Vorgesetzten und auch seiner Frau als verlässlicher Typ beschrieben. Seine Frau glaubt ihn nicht mehr wieder zu erkennen. Vielleicht war das auch eine Maske die er getragen hat, aber auf mich wirkte er geradezu selbstzerstörerisch konsequent. Was seine Pläne zerstörte, war die 2 Monate zu früh einsetzende Geburt.

YP: Für mich war es schwierig, seinen Charakter einzuschätzen. Immer diese Fassade. Auch der Bart, den Tom Hardy für die Rolle kultiviert hat. Vielleicht hole ich gerade wirklich weit aus, aber Locke scheint sich dahinter zu verstecken.

PD: Eine Distanzierung gab es für mich in den Momenten, in denen er „Zwiegespräche“ mit seinem Vater führte. Das war einfach irritierend. Es eröffnete zwar eine interessante psychologische Facette in seinem Charakter und wird von Hardy auch toll gespielt, aber es passte irgendwie nicht in diesen sehr kompakt inszenierten Film. Das war ein störender Fremdkörper.

YP: Mir war auch keine Sekunde im Film langweilig, wobei das eine sehr stark räumlich eingeschränkte und vom Schauspiel reduzierte Show ist.

PD: Langeweile kam nie auf, da Locke auch immer wieder durchgab, wie lange er noch bis ins Krankenhaus brauchen würde. Das war das lustige Gegenstück zur Zeitanzeige am Display des DVD-Players.

YP: Aber die Selbstgespräche waren auch irgendwie notwendig, um noch tiefer in die Abgründe der Figur blicken zu können. Unbehagen hat das bei mir nicht verursacht, das hat schon die gesamte Fahrt. Locke fuhr sozusagen ins selbstauferlegte Verderben …

PD: Unbehagen in dem Sinn, als dass man merkte, dass es tief sitzende Konflikte in ihm gibt, die er nie wirklich aufgearbeitet hat. Dieser Kodex dem er folgt, ist im Grunde „nur“ eine Ablehnung des Lebens, das sein Vater führte.

Als Stilmittel hat es mir nicht missfallen, aber auch nicht wirklich gefallen. Ich hätte gut ohne diese Monologe leben können.

YP: Wobei mir Stille im Auto vielleicht sehr unangenehm gewesen wäre …

PD: Das hätte ich sehr gerne gesehen. Die Momente der Stille hatte er gar nicht. Wenn ein Gespräch beendet wurde, startete er sofort von Neuem eines, oder er wurde angerufen. Es gab keine richtige Stille, wie man sie sich sonst im Auto erwarten würde.

YP: Ich befürchte, die eine oder andere stumme Minute hätte dem Film – besonders zu Beginn – nicht geschadet. Zum Schluss hin war schon zu viel los und ich wollte wissen, wie es weiterging.

PD: Gerade zu Beginn verstand ich seine Hektik aber umso mehr. Er musste verschiedenen Menschen mitteilen, was sich alles ändern wird. Dass er nicht mitten im Trubel sich einen Moment der Ruhe gönnt, hat mich ein wenig gewundert.

Ein Vergleich der mir sofort ins Auge sprang, und den ich dann auch bei Lenas Filmblog gelesen habe, war jener mit „All Is Lost“.

YP: Ein Vergleich, der mir nicht gekommen ist, den ich durchaus nachvollziehen kann.

PD: Dabei muss ich sagen, dass mir Robert Redford als auch der Film besser gefielen.

YP: Bloß, dass der Namenlose in „All Is Lost“ unfreiwillig in diese Situation gekommen ist. Da würde ich mir gerne beide Filme am selben Tag ansehen, bevor ich den Vergleich mache. Mir haben beide Filme gut gefallen.

PD: Das ist der fundamentale Unterschied. Zudem auch, dass der von Redford gespielte Segler durch die Tücken der Moderne (ein Frachtcontainer) in sein Schlamassel gerät, während Locke ohne die Segnungen der Moderne gar nicht erst die Situationen so handhaben könnte.

Zudem ist „Locke“ ein Dialoggetriebener Film. Das könnte auch hervorragend als Hörspiel funktionieren.

YP: Wobei aber „Locke“ reduziert ist, viel geschnitten wurde und es Lichter in der Dunkelheit gibt (der Film spielt in der Nacht und auf einer Autobahn) und „All Is Lost“ lebt auch von den schönen Bildern der offenen Weltmeere. Darum beeindruckt mich „Locke“ umso mehr, weil er eben so gut auf der Leinwand funktioniert, nichtsdestotrotz seiner schwierigeren und herausfordernden Rahmenbedingungen.

PD: „All Is Lost“ hat etwas Archaischeres und wirkt auch mehr wie eine Metapher auf das (Über)Leben. Was an „Locke“ fasziniert, ist die Alltäglichkeit. Es sind keine allzu außergewöhnlichen Situation, als dass das Publikum sich damit nicht identifizieren könnte.

Inszenatorisch wurde das recht gut gelöst. Mir gefielen die Seitenblicke auf die Straße, die hin und wieder irritierenden Lichter von den Scheinwerfern anderer Autos.

Jetzt erinnere ich mich auch gerade an „Phone Booth“ mit Colin Farrell. Auch so ein Film der an einem Ort spielte…

YP: Oder „Buried“, das ist auch so eine One-Man-Show.

PD: Das Ende hat mich wieder ein wenig zurückgeworfen auf die Frage, weshalb er das alles tut. So wie sich alles zuletzt auflöst, hätte er genauso gut am nächsten Tag nach London fahren können. Da konnte ich Lockes Handlungen einfach nicht nachvollziehen.

YP: Diese Frage stellte sich bei mir gar nicht. Ich war eher motiviert zu erfahren, wie das endet und eher weniger damit beschäftigt, ihn zu verstehen.

PD: Lustig. Bei mir war es genau umgekehrt.

YP: Und ich bin außerdem ein Tom Hardy-Fan, der kann machen, was er will, ich kauf es ihm ab.

PD: Hardy gehört zu den interessanteren jungen Schauspielern, die in den letzten Jahren ihren Durchbruch feierten. Dabei fiel mir vor ein paar Tagen erstmals auf, dass ich ihn ja bereits als Bösewicht in „Star Trek: Nemesis“ gesehen habe. Das hat mich richtig erschreckt.

YP: Aus den jungen Jahren.

PD: Ganz jungen Jahren.