Schlagwörter

, , , , , , , ,

In Stanley Kubricks letztem Film begleiten wir den ruhelosen und von Eifersucht verfolgten Dr. Bill Harford (Tom Cruise) durch ein nächtliches Manhattan voller schummriger Geheimnisse und sexueller Fantasien. 15 Jahre liegt die Veröffentlichung des letzten Films des großen Regisseurs zurück. Im ersten Dialog nach der Sommerpause schwelgen in Erinnerungen und entdecken dabei auch Neues.

YP: Freud hätte dieser Film bestimmt gefallen. Aber Freud ging nicht allzu gerne ins Kino.

PD: Kein Wunder, basiert er doch auf dem von Freud hoch geschätzten Roman „Traumnovelle“ von Arthur Schnitzler.

YP: Was mir beim erneuten Sichten immer wieder durch den Kopf ging: Wie kann man aus so wenig, so viel machen? Im Grunde ist das nur eine auf Eifersucht basierende und davon ausgelöste milde Ehekrise. Nicht mehr, nicht weniger. Und wie das Kubrick zu einer Odyssee verdichtet. Jede noch so kleine Bewegung und Aktion dermaßen Bedeutungsschwanger. Alles ist dabei sexuell aufgeladen. Man könnte den Film als betörend beschreiben. Zumindest war er das für mich.

PD: Das macht den Film auch so interessant. Ich kann mich erinnern, dass ich bei der ersten Sichtung vor etwas mehr als zehn Jahren, zwar überwältigt von der Inszenierung und der Doppelbödigkeit war, mich allerdings nicht wirklich einfühlen konnte. Seitdem habe ich „Eyes Wide Shut“ immer wieder und wieder neu gesichtet und bin auf neue Details gestoßen.

Im Vergleich zu anderen, hoch gelobten und mit der Zeit neu bewerteten Werken wie „Full Metal Jacket“, finde ich diesen (Alb)Traum doch viel spannender. Und dabei hat Kubrick von Schnitzler nur die Grundstruktur des in ihrer gut-bürgerlichen Fassade ein wenig gefangenen Paares übernommen.

YP: Die Prostituierte Domino (Vinessa Shaw) sagt einmal im Film – den bevorstehenden sexuellen Akt mit Dr. Harford betreffend: „I’d rather not put it into words“. Und ich finde, da hat sich Kubrick auch zurückgehalten – bis auf die Ereignisse beim Maskenball. Er hat mehr die expliziten Bilder als die Figuren sprechen lassen.

Es hätte eigentlich die gesamte Handlung auch ein Traum sein können. Wie Alice (Nicole Kidman) das zum Schluss zusammenfasst: Es spiele keine Rolle, was Traum, was Wirklichkeit sei. Sie seien im Hier und Jetzt und nur das zähle.

PD: Dieser Punkt ist mir auch aufgefallen. Dr. Harford wandelt durch das Geschehen, als würde er Schlafwandeln. Die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit ist nicht immer vollständig gezogen. Dazu passt auch die sich steigernde Paranoia und die nicht immer schlüssigen Ereignisse.

Die Bilder von Sexualakten fand ich ganz und gar nicht explizit. Kubrick bleibt mit seiner Kamera in dem voyeuristischen und doch verschämten Blick von Dr. Harford. Bei der Zeremonie ist zwar oberflächlich viel zu sehen, doch gleichzeitig bleibt er weit genug von den Paaren entfernt. Es sind eher Seitenblicke und ich stellte mir die Frage, ob darin bereits die Art von Betrug liegt, die er die ganze Zeit gesucht hat. Alice betrog ihn in seinen Fantasien und er in seinen voyeuristischen Handlungen, in denen er stets ein passiver Teil blieb.

YP: Diese Besessenheit, die er aus seinem Unterbewusstsein zu befreien versucht ohne zu wissen, wie er das anstellen soll. Und wie sehr ihre Offenheit das heftige Gefühl der Eifersucht bei ihm auslösen. Wobei dann zum Schluss nur die gegenseitige Offenheit zueinander für die erlösende Katharsis sorgt.

PD: Wobei es ihm offenbar zuvor schon nie an Versuchungen gefehlt hat, wie man beim Weihnachtsfest bei Ziegler (Sydney Pollack) sehen konnte. Genauso wie Alice stets Verlockungen „ausgesetzt“ war. Die Frage ist auch, wie viel Offenheit eine Beziehung verträgt. Kubrick endet auf einer ambivalenten Note, indem er die beiden mehr oder weniger einfach ihr gewohntes Leben weiterleben lässt. Vor allem Bill scheint mit den Erlebnissen der Nächte davor kaum klar zu kommen, während Alice nur aus ihrer Langeweile entfliehen möchte.

YP: Für mich ist das Ende des Films so – wie es Kubrick zeigt – ziemlich nachvollziehbar. Mir scheint, als würde Kubrick sagen wollen: der einzige natürliche Feind der Ehe sind die Verlockungen und Versuchungen außerhalb dieser, aber diese gehören eben dazu.

PD: Allerdings unterlegt er den gemeinsamen Akt von Bill und Alice vor dem Spiegel, nach der Weihnachtsfeier, nicht ohne Ironie mit Chris Isaaks „Baby did a bad bad thing“. Zudem blickt Alice, während Bill ihren Hals küsst, in den Spiegel, als ob sie gar nicht dabei sein würde.

Diese von außen zugetragenen Versuchungen haben Dynamik in diese festgefahrene Ehe gebracht, die schließlich in dem Geständnis von Alice mündete und in der Folge in den „Abenteuern“ von Bill.

Da stellen sich mehrere Fragen: Ist eine Ehe von Außen bedroht oder kann sie von Außen auch revitalisiert werden? Wie viel Offenheit bedarf es in einer guten Ehe?

YP: Ach, ob gut oder schlecht ist doch irrelevant.

PD: Was mir nach all den Jahren auffiel: „Eyes Wide Shut“ ist im Kern wie ein Thriller aufgebaut.

YP: Ich finde, dass das zwar ein guter Ansatz ist, doch Bill ist in meinen Augen nur daran interessiert, herauszufinden, wohin ihn diese Abenteuer hinführen. Nicht, ob der tatsächlich dort oder irgendwo ankommt.

PD … und er bringt sich erst recht in Gefahr. Sobald er bei der Zeremonie eintritt, ist er in einer zwielichtigen Welt, die nie für seine Augen bestimmt war. So wie es auch nie für ihn bestimmt war, zu sehen, dass der Kostümhändler, seine Tochter feil bietet.

YP: Da bin ich nicht so sehr an der Auflösung der Ereignisse interessiert. Mir gefällt die Erzählung an sich. Es folgt ein Ereignis auf ein anderes. Gar nicht so sehr steht da eine Auflösung des Rätsels im Mittelpunkt.

PD: Darin ähnelt „Eyes Wide Shut“ auch „The Shining“. Die Lösung ist im Grunde sekundär. Die Inszenierung steht darüber.

YP: In den Szenen mit dem Kostümhändler nimmt Kubrick das „Lolita“-Topos mit hinein. Und unser Bill staunt nicht schlecht, er ist aber in gleicher Weise übermäßig angetan von der Tochter (Leelee Sobieski).

PD: Es ist aber auch wieder ein weiterer Schritt in eine Parallelwelt, die er so nicht kannte, und so auch nie hätte kennen gelernt, wäre er nicht auf diese mysteriöse Reise gegangen. Angefangen mit der Fantasie seiner Frau über das Liebesgeständnis der Tochter seines verstorbenen Patienten.

YP: Spannend ist natürlich auch das Motiv mit den Masken. Steht im Grunde auch synonym für die Masken, die wir im täglichen Leben aufsetzen. Die Masken bei der Zeremonie, die sehr bedrohlich wirken. Dann Bills Maske, die Alice auf Bills Kopfpolster legt. Dann auch noch die Wandmasken in Dominos Wohnung. Es erscheint mir stets wie die Suche nach den wahren Gesichtern.

PD: Domino ist ein sehr interessanter Charakter, den man schnell abhaken könnte, doch es liegt auch hier wieder so viel Doppelbödiges.

Eben, in den Masken, die zu sehen sind, aber auch in dem nicht Gesagten. Es war auch überraschend, als Bill zu Domino zurück möchte, und dann auf ihre Zimmerkollegin trifft, mit der er ohne zu zögern geschlafen hätte. Da war er an einem Punkt, an dem aus den Fantasien Wirklichkeit hätte werden können.

Inszenatorisch sticht natürlich die Orgie bzw. Zeremonie heraus. Wie sich da, in dem Moment, in dem der Film in dieses Anwesen tritt, die Tonart des Filmes verändert, ist beeindruckend und beängstigend zugleich.

YP: Ja, vor allem weil er bei Domino auf mehr Zärtlichkeit trifft als bei seiner Frau zu Hause.

Und die Orgie wirkt ja gerade wegen der anonymen und maskierten Gesichter umso bedrohlicher. Wobei wir annehmen, dass sich Bill ohnehin in diesem gesellschaftlichen Kreis bewegt. Das sind bestimmt Bekannten und Freunde von ihm dabei, die sich hinter einigen Masken versteckt haben.

PD: Da muss ich widersprechen. Mir schien es eher, als wären dies Kreise, in denen er sich nicht bewegt. Er kam auf die Weihnachtsfeier von Ziegler, weil er eine persönliche Einladung erhielt. Ansonsten scheint er in diesem Kreis als Arbeiter und nicht als Gleichgesteller gesehen zu werden. Deshalb hat er ja auch nie das Passwort für die Orgie erhalten.

Dass sich Bekannte von ihm hinter den Masken verbergen, davon kann man ausgehen, aber es nicht klar. Es bleibt im Dunkeln.

YP: Ich nehme Ziegler als Beispiel her.

PD: Ziegler sagt ja auch, in der wunderbaren Aussprache am Pool-Tisch: „If I told you their names… no, I’m not going to tell you their names… but if I did, I don’t think you’d sleep so well at night.“ Es deutet darauf hin, dass Bill nicht alle kennt.

Überrascht bin ich im Nachhinein, wie sehr mir Tom Cruise in der Rolle des mit seinem Ausweises stehts herum wedelnden Dr. Bill gefiel. Dessen Leistung gewinnt, wie der gesamte Film, mit den erneuten Sichtungen immer mehr an Qualität.

YP: Der Filmstar Tom Cruise ist in diesem Film ein richtiger Schauspieler.

PD: Er opferte – so wie Nicole Kidman – auch beinahe drei Jahre, um mit Kubrick arbeiten zu können und diese Zeit haben scheinbar alle genutzt.

YP: Das war damals ein Mammutprojekt für alle Beteiligen. Wie hat dir das New York im Film gefallen, es wurde ausschließlich in England gedreht?

PD: Gerade diese Straßenszenen erweckten für mich den Eindruck, als wäre man in einer Traumwelt gefangen. Inwieweit Kubrick hier die Realität einfangen wollte, war mir nicht so ganz klar.