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Nur zwei Filme („Sin Nombre“, „Jane Eyre“) und eine herausragende Serien-Staffel („True Detective“ mit Woody Harrelson und Matthew McConaughey) benötigte der kalifornische Filmemacher Cary Fukunaga, um sich in Hollywood festzusetzen. Das auf einem Roman von Uzodinma Iweala basierende Kriegsdrama „Beasts of No Nation“ ist aus vielerlei Gründen ein Ereignis.

PD: Ich bin mir im Endeffekt gar nicht so sicher, ob ich die Distributions-Strategie von Netflix so toll finde. Einerseits war es mir nun bereits möglich den neuen Film von Fukunaga zu sehen. Andererseits hätte ich das auch gerne auf der großen Leinwand gesehen.

YP: Cary Fukunaga hat hier auch nichts anderes gemacht, als einen Film für die große Leinwand zu drehen. Augenscheinlich wird das bereits nach fünf Minuten vom Film, sehr gut stellt man sich die Totalen auf der Kinoleinwand vor. Einerseits war das ein befremdliches Gefühl, einen soeben erschienenen und aktuellen Film zu streamen, andererseits kostet mich ein Kinoticket so viel wie das Netflix-Monatsentgelt. Und dann kommt da natürlich die Bequemlichkeit hinzu den Film jederzeit sehen zu können. Aber Kino ist eben Kino und diese Erfahrung kommt hierbei natürlich irgendwie abhanden.

PD: Darin liegt auch ein großer Reiz von „Beasts of No Nation“. Natürlich wäre die Geschichte des zum Dasein des Kindersoldaten gezwungenen Agu (Abraham Attah) schon allein aufgrund seiner Thematik interessant, aber die Möglichkeit per Streaming mehr oder weniger zeitgleich mit anderen Filmfans auf der Welt den Film zu sichten, macht das Projekt zu einem hoch interessanten Experiment in Sachen Distributionspolitik. Immerhin hat Netflix hier auch einen schwer verdaulichen Kriegsfilm für den Direktvertrieb gewählt und keine beschwingte romantische Komödie.

Dass Fukunaga seine ganze visuelle Kraft, die man ja schon von „Sin Nombre“, „Jane Eyre“ und der 1. Staffel „True Detective“ kennt, aufzeigt, hilft, dass man seine neueste Arbeit nicht rein auf den Vertriebs-Effekt hin reduziert. Wenngleich ich bis zur Begegnung zwischen dem Commandant (Idris Elba) und Agu benötigte, um wirklich in den Film hinein gezogen zu werden.

YP: Was hast du gegen beschwingte romantische Komödien? Wenn sie gut und gut gemacht sind, dann locken mich diese auch ins Kino.

Ich habe mir auch die Frage gestellt, ob ich den Film wohl auch im Kino gesehen hätte, wenn ich hierzulande die Möglichkeit gehabt hätte. Mit dem Hintergrund, dass ich ihn auf Netflix streamen kann. Allerdings kann ich die Frage natürlich nicht beantworten, auch wenn ich das Kino immer vorziehe. In den USA lief der Film ja auch – parallel zum Streaming-Angebot auf Netflix in 31 ausgewählten Kinos – Box Office Mojo zufolge – an. Was natürlich auch taktisch klug ist, sollte der Film Relevanz in der Award Season erlangen (was ich mir durchaus vorstellen kann, da sowohl Attah als auch Elba fantastisch spielen). Netflix bietet hier etwas noch nicht wirklich Dagewesenes an und vergrämt auch bestimmt die Front der Filmverleiher. Das ist auch ein mutiger Schachzug und gewissermaßen auch vorausblickend. Filmverleihern ist auch geraten, flexiblere Zukunftsmodelle in Betracht zu ziehen. Es muss nicht immer ein Entweder-Oder sein, manche Dienste können auch parallel existieren (Videotheken gibt es übrigens auch noch ein paar).

PD: Natürlich ist nichts gegen eine gut gemachte romantische Komödie einzuwenden, aber es macht doch einen Unterschied, mit welchem Exklusivmaterial der Streamingdienst seine Kunden anlocken will. Dass Netflix auch andere Seher bedienen will, zeigen sowohl der Vertrag für Adam Sandler oder die Fortsetzung zu „Crouching Tiger, Hidden Dragon“.

In Wien gibt es, wenn ich das richtig im Kopf habe, nur noch 12 Videotheken. Das ist ein aussterbendes Gewerbe, welches sich eventuell mit Spezialisierung retten kann.

Um aber auf den Film zurückzukommen. Es hängt für mich schon auch immer davon ab, inwieweit ein Film in den Kinos verfügbar ist und ob auch nicht zu viele andere interessante Werke meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die visuell einprägsame Arbeit von Fukunage hätte mich aber wohl dennoch ins Kino gezogen. Alleine der Wechsel der Farbpalette inmitten einer Kampfszene, sollte man entweder auf der großen Leinwand oder auf seinem Bildschirm zu Hause in völliger Dunkelheit sehen. Da verzeihe ich dann auch inhaltliche Schwächen und Längen.

YP: Zur Länge von „Beasts of No Nation“. Tatsächlich dauert der Film 2 Stunden und 17 Minuten. Das ist eine stolze Länge. Zu meinem Erstaunen wird die Story rund um Agu sehr flüssig erzählt, ohne große Konzentrationseinbrüche von meiner Seite. Mir gefällt auch der gesamte Aufbau und die Einleitung. Wenn ich mich über gespürte Längen aufrege und etwas zu bemängeln habe, dann betrifft es den Teil in der Mitte, als Agu auf die anderen Kämpfer trifft.

PD: Gerade diese Passagen haben mir wieder besser gefallen. Die Einleitung mit dem glücklichen Leben, umgeben von nigerianischen UN-Soldaten, war mir ein wenig zu langsam erzählt. Zudem wurde ich das Gefühl nicht los, dass hier nur das unschuldige Kind aufgebaut wurde, damit der Bruch zum mit Drogen vollgepumpten Kindersoldaten umso drastischer erscheint.

Dass diese Wandlung funktioniert, liegt auch im großartigen Spiel von Abraham Attah begründet. Er benötigt keine großen Gesten, sondern lässt seine Augen sprechen. Ganz langsam wird sein Blick immer dumpfer. Selbst am Ende, wenn er wieder in Sicherheit ist, spürt man, dass Agu nur sehr schwer die Kriegserlebnisse verarbeiten wird können.

YP: Gerade seine Kindheit wird für mich aber nicht als dramaturgisches Mittel gesehen, sondern einfach als eine Kindheit – durch den präsenten Krieg ohnehin  im Ausnahmezustand. Von unschuldig sind wir weit entfernt. Durch die stationierten UN-Soldaten wird hier auch der Krieg von der ersten Minute an thematisiert. Sie haben keine Schule und verbringen tagein tagaus mit irgendwelchen witzigen Spielen und unterhalten sich selbst. (Die Episode mit dem ausgehöhlten Fernsehgerät ist grandios). Weil die Kamera ohnehin nur Agu begleitet, können wir quasi auch seine Beobachtungen teilen. Alleine daran sieht man, wie reif und wenig unbekümmert er für sein Alter ist.

PD: Unbekümmert ist die Kindheit natürlich nicht, aber mir war sie zu sehr nur ein Mittel zum Zweck. Da du Agus Blickwinkel ansprichst, dieser wird ja nicht immer stringent eingehalten. Immer wieder wechseln wir auch in die Perspektive des von Idris Elba beeindruckend dargebotenen Commandant, der ebenso manipulative Vaterfigur, wie auch betrogener Militär ist. Die Perspektive des Commandant hätte Fukunaga nützen können, um ein wenig Licht in den Konflikt zu bringen.

Stattdessen bleibt alles sehr vage und undeutlich. Es werden Truppen- und Allianznamen durch die Gegend geworfen, so dass es kaum möglich ist, sich wirklich in diesen Konflikt einzufühlen. Er bleibt zu sehr rein auf der symbolischen Ebene, für alle Kriege die je in Afrika stattgefunden haben und stattfinden.

YP: Ziemlich zum Schluss hin gibt es das Zitat vom sterbenden Lieutenant, der sagt: „Das war alles für nichts“. Wie Krieg nun mal in seiner Natur nicht anders sein kann als umsonst. Da war es gar nicht notwendig, diesen Konflikt für das Publikum zu sehr in seine Details zu zerlegen, für Agu war das einfach vage und undeutlich. Und genau das hat Fukunaga für mich gut umgesetzt und gezeigt. Alles für Nichts.