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alfred hitchcock, Citizen Kane, Joseph Cotten, Orson Welles, Rosebud, Sight and Sound, Touch of Evil, Vertigo, Xanadu
Orson Welles wäre dieses Jahr 100 Jahre alt geworden. Grund genug, um uns seinem aus 1941 stammenden und legendären Regiedebüt „Citizen Kane“ genauer zu widmen.
YP: Erstmals habe ich den Film mit offenen Augen während des Studiums gesehen. Alles davor (vor 2004) war mit geschlossenen und auch irgendwie zusammenhangslos. Auch als Teenager wusste ich um die filmhistorische Bedeutung und Reihung im Filmkanon (Sight and Sound-Poll), aber qualitativ einordnen konnte ich das damals nicht. Im Studium wurde dann der Film öfter in Seminaren in die Einzelteile zerlegt und der Stempel war endgültig drauf.
Wie oft hast du „Citizen Kane“ schon gesehen?
PD: Natürlich war mir Welles‘ Meisterwerk als Teenager ein Begriff, da ich eine abgegriffene Ausgabe eines Buches über die Filmhistorie besaß, in der die Qualität und Bedeutung von „Citizen Kane“ mehr als nur einmal hervorgehoben wurden. Insofern hatte es etwas von einer Schatzsuche, den Film auch endlich mal im Fernsehen zu sehen. Mit dem Studium und dem Aufkommen der DVDs wurde die Sichtung von „Citizen Kane“ ein wenig entmystifiziert, aber nicht weniger unterhaltsam.
Gerade das wachsende filmhistorische und analytische Wissen, welches durch das Studium vermittelt wurde, bescherte mir neue Perspektiven. Was ich allerdings bei meiner jüngsten Sichtung bemerkte, waren die vielen Zitate, die bei den Simpsons eingebaut wurden. Die herrliche „There is a man“-Szene läuft in meinem Kopf mittlerweile parallel mit jener für Mr. Burns ab. Wie oft ich ihn mittlerweile gesehen habe, kann ich kaum sagen. Mit Sicherheit mein am öftesten gesehener Film von Orson Welles. Noch vor „Touch of Evil“.
YP: Selbstverständlich war es mir möglich, den Film von vielen Seiten zu durchleuchten. Und bei jeder Sichtung kann man sich zB auf neue Aspekte konzentrieren. Es ist einer dieser Filme, wo eine Sichtung auch viel zu wenig ist.
Allerdings – und um da noch einmal auf deine erste Aussage zurückzukommen – es ist schon alles gesagt worden, überall kann das nachgelesen werden. Mit der ganzen Sekundärliteratur im Hintergrund trübt das ein wenig das eigene Bild, die eigene Rezepzion ist vorbelasted gewesen.
Diesen Film nach so vielen Jahren und so vielen Meinungen und so vielen Wertungen zu sehen, irritiert auch. Schön ist es trotzdem. Langweilig wird er nie, auch wenn er in Dauerschleife laufen würde.
PD: Das ist genau der Punkt. So oft man auch „Citizen Kane“ gesehen hat, er wird nie langweilig. Alleine der dynamische Beginn mit den Rückblicken auf das Leben von Charles Foster Kane könnte auch heute noch so in jedem Film eingebaut werden, ohne angestaubt zu wirken.
Aufgrund des historischen Ballasts muss ein „Erstseher“ aber auch ein wenig arbeiten, um hinter die dem Film so oft angehefteten Etiketten zu blicken. „Bester Film aller Zeiten“ ist schließlich etwas, womit man nur schwer konkurrieren kann. Auch wenn mittlerweile Hitchcock den Thron in der „Sight & Sound“-Umfrage eingenommen hat.
YP: Das ist aber ein Punkt, der mir erst nach der vielen Beschäftigung einleuchtete. Bevor ich mir mit diesem Film wissenschaftlich auseinandergesetzt habe, schien er mir fast überbewertet. Aber nach und nach und mit den Jahren ist die Reihung begründet. Allerdings und das dürfen wir nicht vergessen, spielt der eigene Filmgeschmack auch eine große Rolle. Da finde ich mich immer auf der „Vertigo“-Seite wieder. Oder es ist dann aber „Der Mann mit der Kamera“.
PD: Eventuell ist es die Ästhetik des Hollywood-Kinos dieser Zeit, aber ich neige immer ein wenig dazu, „Citizen Kane“ ganz oben auf diesem Ranking sehen zu wollen. So zeitlos Welles‘ Film über den Verlust der Jugend, das Zeitungswesen und die Macht mächtiger Männer in demokratischen Systemen auch ist, so sehr merkt man doch die Ästhetik der 1940er. Sei es nur an der Kleidung oder an der Ausdrucksweise.
Was mich bei meiner jüngsten Sichtung wieder überraschte war, wie wenig mich das Mysterium „Rosebud“ kümmerte. Es erschien mir wie ein etwas rührseliger und nostalgischer letzter Moment eines sterbenden Menschen. Nicht mehr, nicht weniger.
YP: Repräsentativ für die Ästhetik dieser Zeit ist dieser Film schon. Das Augenmerk liegt hier beim American Dream. Hinter den Kulissen zeichnet sich aber dieses System des damaligen Hollywoods deutlich ab, gut durch die Handlung hindurch spürbar und im film sichtbar.
Rührselig finde ich das nicht. Für mich zielt das All-About-Eve-Ending eindeutig darauf ab, eine Parabel zu sein. Kane wird schließlich sein eigenens Leben zu groß und er träumt nur von der Zeit, als er ein sorgloser unbekümmerter Junge ohne Zukunftsängste war. Oder: Wer den großen Traum lebt, träumt eigentlich vom einfachen Leben
PD: Macht das aber nicht ohnehin jeder? Gut, das erfahren wir dann erst im entsprechenden Moment, aber verklärt nicht jeder Mensch vor allem seine Kindheit?
„Rosebud“ als Symbol für den Moment, den Kane in diesem Moment im Sinn hat, das Zurückblicken auf die verlorene Kindheit die eingetauscht wurde gegen ein finanziell sorgenloses aber insgesamt auffallend kaltes Leben.
YP: Ist dir das zu simpel und zu einfach gestrickt? So habe ich das nicht betrachtet, ich denke nicht, dass jeder seine Kindheit verklärt, aber es gehört sicher zu den psychologischen Prozessen des Erwachsenseins (?). Welles führt dieses Leben des Charles Foster Kane vor und zeigt aber auch, dass das, was fehlt, das Ausschlaggebende ist. Allerdings hätte Kane auch einfach einheizen können, dann wäre es nicht so kalt geworden.
PD: Xanadu hat ohnehin die Atmosphäre eines verwunschenen Märchenschlosses. Man rechnet eher damit die böse Stiefmutter von Schneewittchen zu treffen und weniger reale Menschen. Dabei stehen sich Kane und seine zweite Frau Susan an diesem Punkt ihrer Beziehung nicht mehr nahe. Die Szene, in der sie sich kennenlernen, als Kane vom Schlamm bespritzt vor ihr steht und sie versucht durch ihren geschwollenen Kiefer hindurch sich mit ihm zu unterhalten, wirkt ebenso wie ein verklärter Traum.
YP: Ein bisschen lieblos sind aber alle zwischenmenschlichen Beziehungen in „Citizen Kane“. Ausnahmslos. Wobei mir seine erste Frau gut gefallen hat in dieser genialen Schuss-Gegenschuss-Kollage der gemeinsamen Jahre am Frühstückstisch. Ach, sympathisch ist er nicht, dieser Kane.
PD: Er mag nicht sympathisch sein, aber charmant. Er wickelt das Publikum ebenso um den Finger wie die Charaktere im Film und wie seine Ehefrauen, seine Kollegen (vor allem Joseph Cotton’s Leland) und Freunde, bemerkt auch das Publikum erst viel zu spät, wem man da aufgesessen ist.
YP: Das liegt aber an Orson Welles!
PD: Natürlich liegt das an Welles. Er spielt ja den Charakter, so wie er eben auch in „Touch of Evil“ der perfekte Bösewicht ist oder in „F for Fake“ das Publikum an der Nase herum führt.
YP: Orson Welles hat Charles Kane genauso gebraucht wie umgekehrt.