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~ Dialoge über aktuelle und weniger aktuelle Kinofilme

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Schlagwort-Archiv: alfred hitchcock

Citizen Kane

05 Dienstag Mai 2015

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alfred hitchcock, Citizen Kane, Joseph Cotten, Orson Welles, Rosebud, Sight and Sound, Touch of Evil, Vertigo, Xanadu

Orson Welles wäre dieses Jahr 100 Jahre alt geworden. Grund genug, um uns seinem aus 1941 stammenden und legendären Regiedebüt „Citizen Kane“ genauer zu widmen.

YP: Erstmals habe ich den Film mit offenen Augen während des Studiums gesehen. Alles davor (vor 2004) war mit geschlossenen und auch irgendwie zusammenhangslos. Auch als Teenager wusste ich um die filmhistorische Bedeutung und Reihung im Filmkanon (Sight and Sound-Poll), aber qualitativ einordnen konnte ich das damals nicht. Im Studium wurde dann der Film öfter in Seminaren in die Einzelteile zerlegt und der Stempel war endgültig drauf.

Wie oft hast du „Citizen Kane“ schon gesehen?

PD: Natürlich war mir Welles‘ Meisterwerk als Teenager ein Begriff, da ich eine abgegriffene Ausgabe eines Buches über die Filmhistorie besaß, in der die Qualität und Bedeutung von „Citizen Kane“ mehr als nur einmal hervorgehoben wurden. Insofern hatte es etwas von einer Schatzsuche, den Film auch endlich mal im Fernsehen zu sehen. Mit dem Studium und dem Aufkommen der DVDs wurde die Sichtung von „Citizen Kane“ ein wenig entmystifiziert, aber nicht weniger unterhaltsam.

Gerade das wachsende filmhistorische und analytische Wissen, welches durch das Studium vermittelt wurde, bescherte mir neue Perspektiven. Was ich allerdings bei meiner jüngsten Sichtung bemerkte, waren die vielen Zitate, die bei den Simpsons eingebaut wurden. Die herrliche „There is a man“-Szene läuft in meinem Kopf mittlerweile parallel mit jener für Mr. Burns ab. Wie oft ich ihn mittlerweile gesehen habe, kann ich kaum sagen. Mit Sicherheit mein am öftesten gesehener Film von Orson Welles. Noch vor „Touch of Evil“.

YP: Selbstverständlich war es mir möglich, den Film von vielen Seiten zu durchleuchten. Und bei jeder Sichtung kann man sich zB auf neue Aspekte konzentrieren. Es ist einer dieser Filme, wo eine Sichtung auch viel zu wenig ist.

Allerdings – und um da noch einmal auf deine erste Aussage zurückzukommen – es ist schon alles gesagt worden, überall kann das nachgelesen werden. Mit der ganzen Sekundärliteratur im Hintergrund trübt das ein wenig das eigene Bild, die eigene Rezepzion ist vorbelasted gewesen.

Diesen Film nach so vielen Jahren und so vielen Meinungen und so vielen Wertungen zu sehen, irritiert auch. Schön ist es trotzdem. Langweilig wird er nie, auch wenn er in Dauerschleife laufen würde.

PD: Das ist genau der Punkt. So oft man auch „Citizen Kane“ gesehen hat, er wird nie langweilig. Alleine der dynamische Beginn mit den Rückblicken auf das Leben von Charles Foster Kane könnte auch heute noch so in jedem Film eingebaut werden, ohne angestaubt zu wirken.

Aufgrund des historischen Ballasts muss ein „Erstseher“ aber auch ein wenig arbeiten, um hinter die dem Film so oft angehefteten Etiketten zu blicken. „Bester Film aller Zeiten“ ist schließlich etwas, womit man nur schwer konkurrieren kann. Auch wenn mittlerweile Hitchcock den Thron in der „Sight & Sound“-Umfrage eingenommen hat.

YP: Das ist aber ein Punkt, der mir erst nach der vielen Beschäftigung einleuchtete. Bevor ich mir mit diesem Film wissenschaftlich auseinandergesetzt habe, schien er mir fast überbewertet. Aber nach und nach und mit den Jahren ist die Reihung begründet. Allerdings und das dürfen wir nicht vergessen, spielt der eigene Filmgeschmack auch eine große Rolle. Da finde ich mich immer auf der „Vertigo“-Seite wieder. Oder es ist dann aber „Der Mann mit der Kamera“.

PD: Eventuell ist es die Ästhetik des Hollywood-Kinos dieser Zeit, aber ich neige immer ein wenig dazu, „Citizen Kane“ ganz oben auf diesem Ranking sehen zu wollen. So zeitlos Welles‘ Film über den Verlust der Jugend, das Zeitungswesen und die Macht mächtiger Männer in demokratischen Systemen auch ist, so sehr merkt man doch die Ästhetik der 1940er. Sei es nur an der Kleidung oder an der Ausdrucksweise.

Was mich bei meiner jüngsten Sichtung wieder überraschte war, wie wenig mich das Mysterium „Rosebud“ kümmerte. Es erschien mir wie ein etwas rührseliger und nostalgischer letzter Moment eines sterbenden Menschen. Nicht mehr, nicht weniger.

YP: Repräsentativ für die Ästhetik dieser Zeit ist dieser Film schon. Das Augenmerk liegt hier beim American Dream. Hinter den Kulissen zeichnet sich aber dieses System des damaligen Hollywoods deutlich ab, gut durch die Handlung hindurch spürbar und im film sichtbar.

Rührselig finde ich das nicht. Für mich zielt das All-About-Eve-Ending eindeutig darauf ab, eine Parabel zu sein. Kane wird schließlich sein eigenens Leben zu groß und er träumt nur von der Zeit, als er ein sorgloser unbekümmerter Junge ohne Zukunftsängste war. Oder: Wer den großen Traum lebt, träumt eigentlich vom einfachen Leben

PD: Macht das aber nicht ohnehin jeder? Gut, das erfahren wir dann erst im entsprechenden Moment, aber verklärt nicht jeder Mensch vor allem seine Kindheit?

„Rosebud“ als Symbol für den Moment, den Kane in diesem Moment im Sinn hat, das Zurückblicken auf die verlorene Kindheit die eingetauscht wurde gegen ein finanziell sorgenloses aber insgesamt auffallend kaltes Leben.

YP: Ist dir das zu simpel und zu einfach gestrickt? So habe ich das nicht betrachtet, ich denke nicht, dass jeder seine Kindheit verklärt, aber es gehört sicher zu den psychologischen Prozessen des Erwachsenseins (?). Welles führt dieses Leben des Charles Foster Kane vor und zeigt aber auch, dass das, was fehlt, das Ausschlaggebende ist. Allerdings hätte Kane auch einfach einheizen können, dann wäre es nicht so kalt geworden.

PD: Xanadu hat ohnehin die Atmosphäre eines verwunschenen Märchenschlosses. Man rechnet eher damit die böse Stiefmutter von Schneewittchen zu treffen und weniger reale Menschen. Dabei stehen sich Kane und seine zweite Frau Susan an diesem Punkt ihrer Beziehung nicht mehr nahe. Die Szene, in der sie sich kennenlernen, als Kane vom Schlamm bespritzt vor ihr steht und sie versucht durch ihren geschwollenen Kiefer hindurch sich mit ihm zu unterhalten, wirkt ebenso wie ein verklärter Traum.

YP: Ein bisschen lieblos sind aber alle zwischenmenschlichen Beziehungen in „Citizen Kane“. Ausnahmslos. Wobei mir seine erste Frau gut gefallen hat in dieser genialen Schuss-Gegenschuss-Kollage der gemeinsamen Jahre am Frühstückstisch. Ach, sympathisch ist er nicht, dieser Kane.

PD: Er mag nicht sympathisch sein, aber charmant. Er wickelt das Publikum ebenso um den Finger wie die Charaktere im Film und wie seine Ehefrauen, seine Kollegen (vor allem Joseph Cotton’s Leland) und Freunde, bemerkt auch das Publikum erst viel zu spät, wem man da aufgesessen ist.

YP: Das liegt aber an Orson Welles!

PD: Natürlich liegt das an Welles. Er spielt ja den Charakter, so wie er eben auch in „Touch of Evil“ der perfekte Bösewicht ist oder in „F for Fake“ das Publikum an der Nase herum führt.

YP: Orson Welles hat Charles Kane genauso gebraucht wie umgekehrt.

Les Diaboliques

20 Freitag Feb 2015

Posted by filmimdialog in Filmdialoge

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alfred hitchcock, Ascenseur pour l'échafaud, Gone Girl, Henri-Georges Clouzot, Les Diaboliques, Nouvelle Vague, Pickpocket, Psycho, Véra Clouzot

„Les Diaboliques“ von Henri-Georges Clouzot gilt als einer der wichtigsten Thriller, der je gedreht wurde und hat angeblich Alfred Hitchcock angestachelt, um sich die Krone des „Meister des Suspense“ wieder zurück zu holen. Doch vermag der mittlerweile 60 Jahre alte Film das moderne Kinopublikum und uns heute noch zu überraschen?

PD: Obwohl ich „Les Diaboliques“ nun schon einige Male gesehen habe, überrascht mich der Film doch immer wieder.

YP: Der Plot macht auch die die eine oder andere überraschende und unerwartete Wendung. Insgesamt bleibt er natürlich bis zu Schluss, sogar bis zur letzten Minute extrem spannend.

PD: Das beginnt ja schon damit, dass Ehefrau und Geliebte sich so gut verstehen. Während die Lehrerkollegen sich darüber echauffieren, kippt man überraschend schnell in dieses Bündnis mit hinein. Kein Wunder, bei dem Ekel, welches Michel (Paul Meurisse) ist. Im Gegensatz dazu gefiel mir die Darstellung von Véra Clouzot weniger. Vor allem ihre Sterbeszene enstpringt einer Schauspielschule aus alten Zeiten.

YP: Dass sich die Geliebte von Michel, Nicole (Simone Signoret) und seine Frau Christina (Véra Clouzot) so gut verstehen, macht eine/n ja auch ein wenig stutzig. Natürlich wir diese ungewöhnliche Freundschaft auch mit dem Werdegang noch skurriler. Jeder spielt jedem was vor. Das kann ein wenig anstrengend werden.

PD: Das hat mich bei der erneuten Betrachtung dieses Thrillers fasziniert: der Plot ist im Grunde unlogisch aber auch völlig zweitrangig. Man ergötzt sich an den Charakteren. Michels Grausamkeiten gegenüber seinem Umfeld, die eiskalte Nicole und die mit der Situation völlig überforderte Christina. Zudem gefiel mir auch Charles Vanel als Kommissar Fichet, von dem Roger Ebert schrieb, dass er die Vorlage für Peter Falks Columbo darstellt. Der einzige Charakter der ja nicht vorgibt etwas anderes zu sein, ist Christina. Selbst der Kommissar spielt ihr.

YP: Sich einer Logik entziehend würde ich jetzt vielleicht nicht sagen, überladen ist die bessere Bezeichnung. Es ist so dermaßen vollgespickt mit Twists, dass der nächste Twist den vorhergehenden überschreibt. So richtig kauft man Christina und Nicole das Komplott nicht ab. Ahnt ständig eine Verschwörung, aber dann kommt es sowieso anders. Ich finde schon, dass Christina was vorspielt, vielleicht nicht auf den ersten Blick wie Michel oder Nicole. Sie spielt nur die genügsamere Rolle, weil der Charakter ihrer Figur bis zum Schluss hin- und hergerissen bleibt.

PD: Da spielt vielleicht die „Vorbildung“ ein wenig mit, denn man weiß ja um ihr Schicksal. Eventuell war ich deshalb nicht so sehr davon überzeugt, dass sie etwas vorspielt. Es ist ja doch offensichtlich, dass sie mit der Situation nicht zurecht kommt. Etwa als der Pool ausgelassen wird und Michels Leiche dann doch nicht zu finden ist. Bei dem großen Finale bleibt zwar die wunderschön gruselige Einstellung mit dem aus der Wanne steigenden Michel und den Kontaktlinsen im Gedächtnis, aber man fragt sich schon, ob das wirklich alles so machbar ist und vor allem, ob es tatsächlich der „einfachste“ Weg war, um Christina und ihr schwaches Herz zu fordern.

YP: Scheinbar schon, denn als Publikum muss ma dan einfach mitspielen, um dem Film das abzukaufen. Mir ging es es neuerdings bei „Gone Girl“ genauso. Da muss man sich dem Film und dessen Plot einfach hergeben, sonst hat man nichts davon.

PD: Das ist eben der Reiz eines Thrillers, wenn er auch trotz des Wissens um die Wendungen und die Auflösung funktioniert. Das macht für mich „Les Diaboliques“ (oder das oft in diesem Zusammenhang zitierte „Psycho“) aus, dass man sich den Charakteren und der Entwicklung der Handlung widmen kann. Man beginnt auf andere Details zu achten. Etwa dass sich Christina und Nicole in einer reinen Männerwelt bewegen. Sie sind umgeben von Schülern und von missgünstigen Kollegen und Michel quält sie nach Belieben.

YP: Vielmehr als an „Psycho“ von Hitchcock erinnert mich dieser Film an „Ascenseur pour l’échafaud“ („Fahrstuhl zum Schafott“) von einem Landsmann von Clouzot, Louis Malle, aber vielleicht liegt es einfach nur an der zeitlichen Nähe zur französischen Nouvelle Vague. Was mich auch an „Les Dialoliques“ so beeindruckt, ist seine Zeitlosigkeit. Der Film feiert heuer mittlerweile nun sein 60-jähriges Jubliläum und trotzdem zählt er für mich zu den interessantesten Kriminalfilmen des letzten Jahrhunderts. Es ist auch naheliegend zu behaupten, dass dieser Film unweigerlich auch den Stil des Kriminalfilms ab 1960 mitbestimmt hat.

PD: Daran hatte ich noch gar nicht gedacht, aber es stimmt. Die zeitliche Nähe lässt einen an die anderen großen französischen Thriller denken. Auch wenn sie inhaltlich und stilistisch sich unterscheiden, so stehen sie für eine ganz bestimmte Art des französischen Kinos. In dem Zusammenhang fällt mir auch noch „Pickpocket“ von Robert Bresson ein. Alles Filme die vor allem als Charakterstudien funktionieren. Man vergesse auch nicht „Le salaire de la peur“ den Clouzot nur zwei Jahre zuvor drehte.

Kein Wunder, dass man ihn auch immer ein wenig in Bezug zu Hitchcock setzt. Dabei kenne ich von Clouzot keine anderen Filme, während ich beinahe alle Hitchcock-Arbeiten gesehen habe.

YP: Der Name Henri-Georges Clouzots ist – jetzt auch ausgenommen von Filmmenschen – für die restliche Bevölkerung nicht so gängig wie der Alfred Hitchcocks, oder sogar Jean-Luc Godards und Francois Truffauts. Was natürlich schade ist, weil mit „Le Diaboliques“ haben wir es mit einem filmgeschichtlich sehr frühen Thriller / Kriminalfilm zu tun, der Jahre vor „Psycho“ in die Kinos kam. Ich plädiere dafür, dass mehr Menschen sowohl Clouzot als auch „Les Diaboliques“ kennenlernen.

Mir gefallen auch die beiden Protagonistinnen Nicole und Christina, die im Mittelpunkt der Geschichte stehen. Mir scheint das aus heutiger Sicht beeindruckend. Protagonistinnen in Filmen gab es natürlich schon, allerdings sind Frauen, die einen Mord an einem (ihrem?) Mann planen und ausüben, eine Rarität. In diesem Falle ist es sogar die Ehefrau mit der Liebhaberin der Mannes, da ist der Spaß doppelt so groß.

PD: Der Fokus auf den beiden Frauen ist schon recht ungewöhnlich, vor allem wenn man bedenkt dass der Film 1955 entstand.
In „Le salaire du la peur“ hatte Clouzot eine rein männliche Geschichte erzählt, voller Schweiß und Anstrengungen. Dagegen wirkt zwar die Schule in „Les Diaboliques“ ein wenig schäbig, aber die beiden Frauen scheinen über alle Widrigkeiten erhaben zu sein. Auch war in der Dokumentation „L’enfer d’Henri-Georges Clouzot“, zum gescheiterten Film mit Romy Schneider, schön zu sehen, dass er die weiblichen Charaktere immer als wunderschön, aber auch unterschwellig gefährlich in Szene setzte.

Dein Plädoyer für mehr Clouzot und überhaupt mehr französische Filme, kann ich nur unterschreiben.

Tom à la ferme

12 Freitag Sept 2014

Posted by filmimdialog in Filmdialoge

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alfred hitchcock, Claude Chabrol, J'ai tué ma mère, Laurence Anyways, Les amours imaginaires, Mommy, Pierre-Yves Cardinal, Tom à la ferme, Wong Kar-Wai, Xavier Dolan

Der frankokanadische Filmemacher Xavier Dolan ist mit gerade einmal 24 Jahren bereits ein Stammgast bei den Filmfestspielen dieser Welt. Nach seinem Regiedebüt 2009 mit „J’ai tué ma mère“, hat er im Jahresabstand neue Filme vorgelegt. Während sein jüngstes, bei den Filmfestspielen von Cannes in diesem Jahr mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnete Werk „Mommy“ noch auf einen Kinostart in Österreich wartet, ist sein Psychodrama/Psychothriller-Hybrid „Tom à la ferme“ aktuell in den Kinos zu sehen. Was den Reiz der Filme dieses jungen Mannes ausmacht, behandeln wir näher in unserem aktuellen Dialog.

PD: Als ich „Tom à la ferme“ sah, musste ich mir stets in Erinnerung rufen, dass der Star/Autor/Regisseur Xavier Dolan erst 24 Jahre alt ist und hier bereits seinen vierten Langfilm vorlegt. Beeindruckend.

YP: Orson Welles war im gleichen Alter als er „Citizen Kane“ gedreht hat. Und „Citizen Kane“ wird stets als Meisterwerk der Filmgeschichte gehandelt. Nun scheinen mir Dolans Filme allesamt gelungen, aber bei Weitem nicht dort angelangt, wo Welles war. Heutzutage ist es für Filmemacherinnen und Filmemacher insgesamt schwieriger, sich zu behaupten.

PD: Wenngleich ich keinem seiner Filme die ich bislang sah (mir fehlen ja noch „Les amours imaginaires“ und sein neuester „Mommy“) als Meisterwerke betiteln würde, bin ich doch von der gleichbleibenden hohen Qualität beeindruckt.

YP: Dolan ist talentiert und eventuell privilegiert. Das reicht doch aus.

PD: Er hat auf jeden Fall dasselbe Sendungsbewusstsein und Selbstbewusstsein wie Welles.

YP: Die Qualität stimmt. Und – was mich immer sehr beeindruckt – wenn sich jemand an ungewohntes Terrain herantraut. Dolans Filme sind vielschichtig und vielseitig. Besonders „Tom à la ferme“. Das ist doch ein Psychothriller, wie er das Filmherz schneller schlagen lässt.

PD: „J’ai tué ma mère“ hat mich sehr unerwartet getroffen. Der ist roh und verspielt. Deshalb hat mich „Laurence Anyways“ nicht so beeindruckt wie viele andere seiner Fans. Da stilisierte er zuweilen, nur um zu zeigen was er kann.

Bei „Tom à la ferme“ hatte ich erstmals das Gefühl, dass er sich an etwas wagt, was ihm fremd erscheint. Die Geschichte entstammt nicht seiner Feder und es ist ein merkwürdiger Mix aus Psychodrama und Psychothriller. Ich wusste oft nicht, ob ich lachen oder mich fürchten soll.

YP: Ich mag auch das flockige und sehr stark an Wong Kar-Wais Werk angelehnte „Les amours imaginaires“ mit den stilistischen Zeitlupen und den opulenten Farben. Seine ersten drei Filme sind dann doch identitätsstiftende Coming-of-Age-Dramen. Wobei „Tom à la ferme“ vielmehr mit den Konventionen des Genres spielt.

PD: Als Coming-of-Age-Dramen kann man alle seiner Filme, dich ich bislang sah, bezeichnen. Auch „Laurence Anyways“. Der Begriff bezieht sich ja nicht unbedingt aufs biologische Alter. Der geistige Reifeprozess, die innere Suche nach dem Selbst ist doch genauso einbezogen.

YP: Es ist fast unverschämt, wie offensichtlich sich Dolan an Kar-Wai bzw. Hitchcock oder Chabrol anlehnt. Aber es macht auch Spaß. Nur ist es so, dass man nicht nach Zitaten suchen muss, sie sind wie Watschen im Gesicht. Sofort präsent.

PD: Es scheint mir aber, als wäre sein Stil rund um „Laurence Anyways“ sehr exakt ausgearbeitet. Bei „J’ai tué ma mère“ ist es noch ein wenig roh und wirkt, als würde er nach einer Ausdrucksform suchen. Das treibt er in „Laurence Anyways“ auf die Spitze. Das war dann aber auch ein Punkt, der mich ein wenig abgestoßen hat.

Da hatte ich mit dem viel strafferen „Tom à la ferme“ viel mehr Freude. Bei seinem Thriller, der mich zeitweilig an die stilisierten Melodramen Douglas Sirks erinnerte, ist er in seiner Genre-Brechung viel konzentrierter.

YP: Aber in „Tom à la ferme“ ist auch Hitchcock nicht übersehbar.

PD: Gerade die Hitchcock-Verweise finde ich ein wenig schwierig. Klar, es gibt da ein unausgesprochenes Geheimnis, welches langsam aufgedeckt wird, aber es scheint mir mehr in Richtung Chabrol zu gehen. Die heile Familienwelt. Dolan versetzt die ganze Szenerie vom gutbürgerlichen Kreis aufs Land. Wie er mit den Aufnahmen des Landlebens spielt, die Klischees die man darüber im Kopf hat verwendet. Das ist auch interessant.

YP: Hitchcock findet sich aber auch hauptsächlich in den Einstellungen wieder. Dramaturgisch funktioniert „Suspense“ bei Hitchcock ein wenig anders. Und Chabrol ist im Aufbau des Plots wiederzufinden.

PD: Das dachte ich mir auch. „Suspense“ wird bei Dolan völlig anders benutzt. Da ist er auch wieder näher an Chabrol.

YP: Dolan hat in „Tom à la ferme“ gemeinsam mit dem Schriftsteller Michel Marc Bouchard dessen Theaterstück ausgearbeitet. Auch wenn die Handlung oft im Freien vor sich geht, gibt es stets ein beklemmendes und einengendes Gefühl. Dann gibt es aber wieder sehr viele Autoszenen, alles auf engstem Raum.

PD: Ein recht eigenwilliges Stilmittel war, die veränderte Aspect Ratio, wenn die Ereignisse sich verdichteten. Das war eine ebenso interessante Methode um den Zuseher auf die Dramatik hinzuweisen, wie es aber auch gleichzeitig ein wenig zu platt erschien. Da kam mir wieder Dolans Vorliebe für stilistische Spielereien in die Quere.

YP: Und wie die Figuren zueinander stehen, es ist so ein wahnsinniges Hin und Her. Kaum vorhersehbar, was den Film für eine weitere Sichtung qualifiziert. Der von Dolan verkörperte Tom ist auch ein sehr unsympathischer Charakter. Stets habe ich mich gefragt, ob er Lebensmüde ist, warum er den diesen Hof nicht verlässt. Was er dort verloren hat, wenn er doch so unwillkommen ist. Das machte dann auch den Reiz aus zwischen Tom und Francis. Es ist eine sehr wuchtig erzählte Geschichte.

PD: Die Beziehungen zwischen Tom und Francis (herrlich gespielt von Pierre-Yves Cardinal) sowie jene zwischen Tom, Francis und Agathe waren sehr interessant. Bis zum Schluss quälte mich die Frage, weshalb Francis seine Mutter beim Vornamen nennt und welche Erziehung dahinter stecken muss, dass der starke und geradezu psychopathische Mann, sich so von seiner Mutter herunter putzen lässt. Sie aber gleichzeitig niemals „Mutter“ nennt.

Bei Tom war mir so, als wäre er ein Opfer des „Stockholm Syndroms“. Je länger er dem Martyrium ausgesetzt wurde, desto mehr schien er sich in der Rolle am Hof zu gefallen.

YP: Nein, das ist mir zu salopp erklärt. Es herrscht ständig eine Wechselbeziehung zwischen Zuneigung und Abneigung seitens Francis und wir wissen gar nicht, was für ein Charakter dieser Tom ist.

PD: Das mag zu salopp gedacht sein, aber gerade da Tom ein so undurchsichtiger Charakter bleibt, fällt es mir schwer, eine andere Erklärung für sein Verhalten zu finden.

YP: Mir kommt auch vor, dass im Laufe des Films jede Figur ein wenig die Schalen ablegt, nur Tom nicht. Was wusste Tom von dieser Familie, was hat im Guillaume erzählt. Es bleibt alles so schwammig und unklar.

PD: Selbst die Beziehung zwischen Tom und Guillaume schien voller Rätsel zu sein. Wenn dann die erfundene Freundin Sarah auftaucht und Tom über den wahren Charakter Guillaumes aufklärt, glaubt man auch, dass dieses Versteckspiel vor der Familie ganz andere Gründe hatte.

YP: Ich glaube, da war viel Faszination vorhanden. Immerhin war das der Bruder des Liebhabers. Und wir wissen nicht, was Tom wusste. Vielleicht war ihm Guillaume so wichtig, dass er sich auf diese Familie einließ. Und dies trotz all der Gewalt, die von Francis ausging. Es gibt genauso viele zärtliche Momente im Film. Ich würde sagen, zwischen Gewalt und Zärtlichkeit war nicht viel Spielraum.

Erinnere dich nur an die Tanzszene.

PD: Auf die wollte ich gerade zu sprechen kommen. Francis scheint Tom da so nahe zu kommen und die beiden scheinen sich auch jeden Moment zu küssen, nur um dann sogleich auf ein geschwollenes und blaues Auge von Tom zu schneiden.

Bei Francis ist der Gedanke nahe, dass er mit seiner Sexualität nicht klar kam und dies, da sonst niemand zur Hand war, an Tom raus ließ. So wie er diesen Jungen in der Bar verprügelte.

YP: … und bald kommt Film Nummer Fünf in die Kinos.

PD: Mit etwas Glück sehen wir seinen in Cannes ausgezeichneten Film „Mommy“ schon auf der Viennale.

Zitat

„Always make th…

15 Freitag Nov 2013

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alfred, alfred hitchcock, audience, cinema, hitchcock, quote

„Always make the audience suffer as much as possible.“

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