Darren Aronofsky bedient sich in seinem neuesten Film „Noah“ eines sehr lockeren Umgangs mit dem alttestamentarischen und symbolischen Noah-Stoff. Sein Noah ist ein zerrissener Charakter, ein in seiner Entscheidungsfindung äußerst menschlicher. Im folgenden Dialog könnt ihr nachlesen, wie sich das auf den Film ausgewirkt hat.
Auch dieser Dialog beinhaltet einige Spoiler!
PD: Bibelfilme waren noch nie mein liebstes Genre und auch Darren Aronofsky konnte daran nichts ändern.
YP: Das nicht, aber er findet einen interessanten und anschaulichen Zugang. Von Anfang an schien das eher nach einer unbewältigbaren Aufgabe. Aronofsky baute mit „Noah“ seine eigene Arche und zeigt die Stolpersteine im Filmgeschäft auf.
PD: Gestolpert ist Aronofsky im Filmgeschäft schon etliche Male. Alleine die Hintergrundgeschichte zu „The Fountain“, einem Film der sehr viel mit „Noah“ teilt, ist eine einzige Odyssee.
Was er mit „Noah“ schafft, ist einige sehr gut aussehende Szenen im besten Stil von Katastrophenfilmen hinzubekommen. Viel mehr gibt es aber nicht zu bestaunen, trotz aller Ambition.
YP: Ich bewundere sowohl „The Fountain“ als auch „Noah“ für Aronofskys Ambitionen. Beide Filme haben unzugängliche Geschichten, kein lineares Storytelling, befassen sich mit universellen Themen. Wohingegen „The Wrester“ und „Black Swan“ kommerzieller angehaucht sind. Dabei natürlich kleiner in der Produktion ausfallen. Dass sich Aronofsky, nach „The Fountain“ überhaupt an einen Stoff wie „Noah“ herangetraut hat, ist mehr als erstaunlich. Umso mehr sehe ich im Endergebnis mehr als nur „einige sehr gut aussehende Szenen“. Er versucht darin, eine Bibelgeschichte einem hauptsächlich atheistischen Publikum zu zeigen. Das kaufe ich ihm ab.
PD: Seine Ambitionen spreche ich ihm auch gar nicht ab, die alleine machen aber noch keinen guten Film. So sehr ich „The Fountain“ schätzte, so simpel war ja dennoch seine grundlegende Aussage der Kraft der Liebe und des „Carpe diem“.
Dass Aronofsky sich die Bibelerzählung zum Bau der Arche und der Sintflut annimmt und diese um den Sündenfall und auch noch die Entstehung der Welt anreichert, ist natürlich interessant und bietet eben einige schöne Szenen. Etwa die Darstellung der Evolution oder den Garten Eden. Doch seine Inszenierung wechselte von klassischem Bibelepos über Fantasy-Film hin zu Sci-Fi-Abenteuer à la „Waterworld“. Das funktionierte für mich nur Stellenweise. Vor allem die Darstellung des Garten Edens hatte den Look eines verfilmten Comics. Sehr schön anzusehen.
YP: Ambition allein macht keinen guten Film daraus, das habe ich nicht gesagt. Ich war nur gefesselt und aufgeschlossen von dem, was mir präsentiert wurde. Mir war es auch egal, ob das ein Bibelepos ist – es war nie als solches angelegt. Es wurde eine Geschichte aus dem alten Testament adaptiert. Schön und gut. Aber keine moralische Grundauslegung, keine Lehrstunde, kein symbolischer Charakter, keine religiösen Metaphern.
PD: Bis auf Noah war auch keine einzige Figur ausgereift. Seine Frau (Jennifer Connelly) war immer nur besorgt, genau wie auch seine Adoptivtochter Ila (Emma Watson), sein Gegenspieler Tubal-Cain (Ray Winstone) war nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Noah war die am besten ausgearbeitete Figur und selbst da kamen große Lücken zum Vorschein. Russell Crowes Darstellung war wirklich gut, aber wie er etwa mit dem Konflikt des von Gott auferlegten Auftrags und seiner freien Willensentscheidung zu kämpfen hatte, hätte platter nicht ausfallen können.
Ob Bibelepos oder nicht, Aronofsky hat sich eine Geschichte aus dem Alten Testament (die in anderen Versionen ja schon früher existierte) heraus genommen, da ihn diese offenbar persönlich faszinierte. Weshalb soll ein Bibelfilm automatisch belehrend sein? Gerade die großen Produktionen mit Charlton Heston sind wenn überhaupt Spektakel ohne großen pädagogischen Anspruch. Da ist Aronofskys „Noah“ intelligenter, indem er seiner Adaption einige Facetten hinzufügt, aber so weit weg vom Spektakelkino alter Hollywood-Granden wie Cecil B. DeMille ist er nicht.
YP: Da stimme ich auch wieder nicht mit dir überein. Diese Hin und Her, diese Zwiespältigkeit, das war doch mehr als ersichtlich und kam oft zum Vorschein. Vor allem, weil nie klar war, woher seine Motivation – sein Antrieb – kommt. Außerdem Vorsicht beim Begriff Gott. Das ist nämlich das nächste Problem: Nicht ein einziges Mal fiel der Name Gottes. Im Film hieß es die ganze Zeit Creator. Und dieser Begriff ist nun seit weit auslegbar.
Eine Anmerkung: Aronofsky mag nun die Bibelgeschichte adaptiert haben und sehr sehr frei interpretiert haben. Aber der Creator steht in meinem Verständnis des Films nicht für den Begriff Gottes, den wir darunter verstehen.
PD: Was den Begriff des Creators angeht. Ob du nun Gott, Creator oder Spaghettimonster dazu sagst, ist ja einerlei. Es bleibt ein Wesen, welchem die Entstehung allen Lebens zugesprochen wird und welches derart erzürnt über „die Bosheit der Menschen“ ist, dass es die Welt in einer Sintflut ertränken will. Wie man dazu nun sagt, ist da doch nicht wichtig. Wie Noah seine „Befehle“ von Gott erhält, fand ich wieder sehr gut gelöst. Es ist kein brennender Dornbusch oder ein Erzengel oder eine Stimme die zu ihm spricht, sondern eine Vision. Das fand ich kreativ. Mir gefiel übrigens auch, wie Aronofsky das Geschehen auf der Erde darstellte. Auf einer Art Superkontinent, der doch sehr an Pangea angelehnt scheint.
YP: Ich bin mir nicht sicher, dass Noah Befehle vom „Schöpfer“ erhalten hat. Er war am Rande der Halluzination. Waren seine Eingebungen nur Träume, waren es Halluzinationen, oder doch freier menschlicher Wille? So wie ich das betrachtet habe, hat er gar keine Befehle entgegengenommen. Er verfolgte seine Visionen, die von den Geschichten um ihn herum genährt wurden. Geschichten, die ihm sein Vater erzählt hat. Oder sein Urgroßvater. Und Creator ist nur der Begriff, den sie verwendet haben. Auch geschickt gelöst war das, weil so Gott nicht adressiert wurde.
Auf der Szene auf der Arche, wo er seiner Familie die Geschichte der Weltentstehung erzählt. Das schaut mir nicht nach biblischer Schöpfung aus. Eher nach Evolution.
PD: Das wäre dann aber schon ein irrwitziger Zufall, dass all die Dinge passieren, genau so wie sie Noah vorhergesagt wurden. Zudem haben wir noch die versteinerten Wächter, die zwar mehr an Tolkien-Figuren erinnerten, aber dennoch gefallene Engel darstellten und die ebenso vom Schöpfer sprachen. Ich hatte auch keine Sekunde lang einen Zweifel daran, dass Aronofsky seinem Noah sehr wohl diese göttliche Eingebung gab. Erst als es darum ging, ob Ila ihre Kinder behalten darf oder nicht, kippt die Darstellung und man kann sich die Frage stellen, ob Noah ein radikaler Fundamentalist geworden ist, oder es doch einen göttlichen Befehl gibt. Im Gegensatz zum Bau der Arche, hat man aber nie eine Vision hierfür gesehen…
Die Entstehung der Welt war wie eine Vermischung von Evolution und biblischem Schöpfungsmythos. Das war auch schön gelöst.
YP: Die Steinriesen (die dann Richtung Himmel fahren) und der Samen, der spriesst, das ist so ziemlich Science-Fiction. Der Garten Eden wird auch gezeigt. Das ist halt der Rahmen für Noahs Werdegang. Ila und ihre Zwillinge, das wirkte dann mehr nach Ironie als nach Schicksal.
PD: …und eben als Fantasy- oder Science-Fiction-Film (was genau genommen ja eh jeder Bibelfilm ist) funktioniert es einfach nur bedingt. Denn abgesehen von der Rahmenhandlung, gibt es wenig, was von Interesse wäre. Das liegt eben auch in den Charakteren begründet die – bis auf Noah – schlicht langweilig sind. Gerade einmal Anthony Hopkins schafft es seinem Methusalem eine augenzwinkernde Ironie abzugewinnen. Ansonsten changieren die Darstellungen von eindimensional-gelangweilt (Ray Winstone, Jennifer Connelly) bis hin zu aufgesetzt-nervtötend (Logan Lehrman, Emma Watson).
YP: Bei mir war es eher so, dass ich länger brauchte, um in die Story einzusteigen, da es eben mit den Geschehnissen rund um Garten Eden beginnt. Aber dann war ich gefesselt.
Connelly hatte überhaupt eine sehr undankbare Rolle in „Noah“. Den ganzen Spaß hatte sowieso nur Crowe. Ich fand es schön, die beiden nach „A Beautiful Mind“ wieder in einem gemeinsamen Film zu sehen.
PD: … und Connellys zweite Zusammenarbeit mit Aronofsky nach „Requiem for a Dream“. Was ich mich frage, weshalb ist „Noah“ für dich keine Adaption?
YP: Ich kann nicht leugnen, dass „Noah“ nach einer Bibel-Geschichte kommt. Allerdings ist das so frei, ich sehe ja die Verbindungen, die du siehst, allesamt nicht. Das habe ich nicht einmal „Gott“ rausgelesen und alle anderen Phänomene schreibe ich dem Fantasy-Genre zu. Weil eine Bibel-Adaption so etwas wie „The Passion of Christ“ ist. Also eventuell christliche Propaganda-Filme. Aber ich sehe, dass – wenn man will – einige christliche Moralvorstellungen, Ideologien usw. rauszulesen sind. Aber aus agnostischen bzw. atheistischen Augen ist das nicht so.
PD: Gut, es ist kein Masochistenfest wie „Die Passion Christi“ aber es ist doch natürlich eine Adaption. Aronofsky arbeitet mit den entsprechenden Kapiteln aus dem Buch Genesis und fügt einige seiner eigenen Ideen hinzu, aber das bedeutet doch einen Stoff zu adaptieren. Wenn man will kann man aus jedem Film, viel heraus lesen. Ein Film der sich aber dezidiert einer Geschichte aus einem religiösen Text bedient, wird sich nun einmal damit auseinandersetzen müssen, was der ursprüngliche Text aussagt. Als Atheist sehe ich die gesamte Bibel als Sammlung alter Sagen, aber das heißt nicht, dass die Verfasser das auch so gesehen haben.
YP: Man findet mehr Gefallen am Film, lässt man die Bibelherkunft in der Filmanalyse weg. Nehmen wir „The Lord of the Rings“ als Vergleich her. Das lebt davon, dass es eine Adaption ist. Bei „Noah“ ist das irrelevant. Weil ein Vergleich mit dem Original – im Falle von „Noah“ – einfach die falsche Lesart ist für einen Film, der sehr sehr lose auf dem Original beruht. Eigentlich nur inspiriert davon ist.
PD: Gerade der Vergleich ist aber ein lohnenswerterer Zugang, denn „Noah“ als reinen Fantasyfilm zu sehen, denn dann sieht man auch Aronofskys freien und zum Teil kreativen Umgang mit dem Ursprungstext. Die Entstehung der Welt, die Wächter, der Garten Eden, die ökologische Katastrophe als Darstellung für die Bosheit des Menschen. Als reiner Fantasyfilm funktioniert „Noah“ eben nicht (gut genug), da alles außer dem Titelcharakter selbst uninteressant bleibt. Der Film für sich ist eine stilistisch eher unrhythmische Zusammenstellung von Katastrophenfilm im Fantasygewand, Melodram und Endzeit-Sci-Fi.