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Baltasar Kormákur, Emily Watson, Everest, Jason Clarke, John Hawkes, Josh Brolin, Nordwand, Touching the Void
Der Regisseur Baltasar Kormákur ist der wohl bekannteste isländische Regisseur außerhalb Islands. Bekanntheit erlangte er duch sein Debüt „101 Reykjavík“. Seitdem dreht er auch Thriller und Actionfilme mit Mark Wahlberg und Denzel Washington wie „Contraband“ oder „2 Guns“, wobei ihn „Everest“, auch der diesjährige Eröffnungsfilm der 72. Filmfestspiele in Venedig, bestimmt in höhere Gefilde katapultieren wird.
YP: „Everest“ war ein eigenartiges Sehvergnügen. Einerseits war ich stellenweise sehr unterhalten, andererseits musste ich auch nie wirklich die Luft anhalten – was der Trailer aber verspricht. Und ziemlich erfolgreich ist der Film an den Kinokassen – überraschender Weise – auch. Eines ist der Film auf jeden Fall: wunderschön abgefilmt.
PD: Hier kommen wohl mehrere Faktoren dazu, die diesen Film so erfolgreich werden ließen. Einerseits der Einsatz von 3D in einer Naturlandschaft, denn es wurde ja so gut es ging, an Originalschauplätzen gedreht, verbunden mit einer wahren Begebenheit. Jon Krakauer war zwar von „Everest“ wenig begeistert, aber der Kino-Besucher kann das ja nicht beurteilen, und lässt sich in diese „wahre Geschichte“ hineinziehen. Dass allein dies ein wichtiger Verkaufsfaktor ist, war auch schön an den Trailern zu sehen, die vor „Everest“ gezeigt wurden. Von „Black Mass“ bis zu „Bridge of Spies“ wurde der „Nach wahren Begebenheiten“-Faktor regelrecht ausgeschlachtet. Für mich wird das immer mehr zu einer Warnung.
Was nicht heißt, dass ich an „Everest“ keinen Spaß gehabt hätte. Es gibt ohnehin sehr wenige gute Filme über das Bergsteigen und dieser hier gehört zumindest Stellenweise dazu. Auch wenn die Intensität von „Touching the Void“ nie erreicht wird.
YP: Ich wusste nicht einmal, dass es dieses Genre außerhalb Österreichs überhaupt gibt: Bergfilme. Für mich gehört „Clouds of Sils Maria“ zu den besten Filmen, der in den Bergen spielt. Ein Kassenmagnet ist bestimmt im Fall von „Everest“ die Tatsache – wie du richtig anmerkst – da er sich auf wahre Begebenheiten beruft. Nun ist der Film anders auch gar nicht vorstellbar, es wird darin der Beginn des Mount-Everest-Tourismus thematisiert und darin skizziert. Eigentlich würde das auch ziemlich viel hergeben, aber so wirklich in Fahrt kommt der Film gar nicht. Es dauert ewig, bis etwas geschieht. Dann wirkt er durch die vieleln Nebenstränge richtig zerfahren. Alleine die Nebenhandlung mit Jake Gyllenhaals Figur hat mich verwirrt zurückgelassen. Mir bleiben aber schon ein paar starke Bilder und Eindrücke im Kopf, allerdings kann man die auch auf einer Hand abzählen. Insbesondere fand ich auch die Besetzung sowohl gut als auch sympathisch. Viel größer ist da die Enttäuschung darüber, dass hier viel Potential aufgrund eines schwachen Drehbuchs nicht gänzlich ausgeschöpft werden konnte. Das hätte ein viel besserer Film werden können.
PD: Als Genre hat der Bergfilm aber doch gerade in unseren Breiten eine große Tradition. Man denke nur an die Werke mit Luis Trenker & Leni Riefenstahl und auch in den vergangenen Jahren wurde mit Filmen wie „Nordwand“ zumindest versucht, den Bergfilm ein wenig von seiner Blut- und Boden-Vergangenheit zu befreien.
Da du die Darsteller ansprichst. Das war mir viel zu oberflächlich. Hier bekommen wir keine Schauspieler serviert, sondern Typen deren Leinwand-Image den Rest des Filmes durchzuhalten hat. Josh Brolin als großmäuliger Texaner, John Hawkes als der schüchterne Typ, Jason Clarke als Herzensguter Bergführer und Jake Gyllenhaal als der coole Kerl mit dem man auf ein Bier gehen mag. Das hat mit Schauspiel recht wenig zu tun, aber es erleichtert die Identifikation und es ist auch nicht wirklich viel Hintergrund nötig, um sich auf den Film einzulassen. Die Hauptdarstellerinnen sind ohnehin die Natur und die Tragik.
YP: Dass diese Figuren oberflächlich waren und irgendwelche platten Klischees erfüllten, war für die Story leider fatal. Zwar habe ich es geschafft, mit den Figuren mitzufühlen, doch leider – und nachdem der Film nie so richtig in die Gänge kam – war das dann irrelevant. Ab der zweiten Hälfte habe ich mich nur noch auf die Naturgewalten konzentriert. Zwar braucht der Film fast 60 Minuten, um die Beziehungen der Figuren zueinander aufzubauen, um diese dann mit der ersten Lawine zu zerstören. Irgendwann hört man einfach auf, sich um das, was sich auf der Leinwand abspielt, zu kümmern. Der Film lässt einen kalt. Das war für mich ein großes Versäumnis.
PD: Was „Everest“ bei mir bewirkte, war sich mit dem Thema des Massentourismus auf den Gletschern zu beschäftigen. Dass es Adrenalinjunkies gibt, die sich auf Abenteuer-Bergsteigen einlassen, war mir bewusst. Wie sehr dies aber wie ein All-inclusive-Urlaub organisiert zu sein scheint, wusste ich nicht. Da hat der Film bei mir das Interesse geweckt, sich ein wenig mehr mit dem Thema auseinander zu setzen.
YP: Jetzt, wo du dieses Thema ansprichst, komme ich nicht umhin, meinen Senf dazuzugeben. „Everest“ ist auch ein sehr Testosteron-geladener Film, der vor Männlichkeit – wie sie von unserer Gesellschaft Jahrhunderte, sogar Jahrtausende definiert wurde – strotzt. Ich sehe das so: Der Mann, als fragiles Wesen, braucht etwas übermenschlich Großes, um seiner Existenz eine überlebensgroße Bedeutung zu geben. Bzw. gehen die Figuren alle und bei vollem Bewusstsein ein Selbstmord-Risiko ein. Die sind auf Ego-Trip und merken es selber nicht.
PD: Das trifft aber nicht nur auf die Männer zu, immerhin Yasuko Namba (Naoko Mori) auch eine Frau mit dabei. Zudem „erobern“ auch immer mehr Frauen diese Männerbastion für sich. Da denke ich zuerst natürlich an die Österreicherin Gerlinde Kaltenbrunner.
Die tieferen Gründe, weshalb Mann sich auf eine Bergexpedition aufmacht, die sehr wohl auch mit seinem Tod enden kann, sind mir ohnehin nicht klar. Das hat ja nichts von einer Wanderung im Gebirge, sondern ist rein auf das Ziel „Gipfelerstürmung“ hin ausgelegt.
Kormákurs Version der Geschehnisse am „Everest“ war für mich vor allem ein Action-Trip, in dem die Beteiligten sich kaum bewusst waren, dass sie ihr Leben riskieren. Ob aus Geltungssucht oder fehlgeleitetem Geschäftssinn.
YP: Aber gerade die Figuren von Josh Brolin und John Hawkes planen den Trip auf Teufel-komm-raus.
PD: Der von John Hawkes gespielte Doug Hansen sucht offenbar nach einem Sinn in seinem Leben und diesen sieht er in der Besteigung des Berges. Wie viel Sinn man darin erkennen mag, bleibt jedem Zuseher überlassen zu beurteilen. Was mich eher faszinierte, war die Gedankenlosigkeit von Tourenführer Rob (Jason Clarke), der weit über die eigentlich anvisierte Zeit hinaus, die Bergsteiger auf den Gipfel führte. Egal ob die Umstände dafür sprachen oder nicht. Leider wurde dies aber wohl auch aus Rücksicht auf die Hinterbliebenen nur gestreift. Ein Satz von Helen Wilton (Emily Watson), dass der Tourenanbieter nicht noch ein Jahr ohne Gipfelbesteigung überstehen würde, war alles was an Auseinandersetzung mit der Thematik ins Feld geführt wurde.
YP: Das sagt sich so leicht: suchen beide einen Sinn des Lebens. Fernab der eigenen Realität und der eigenen Möglichkeiten. Den sie dann auch noch zufällig fernab der eigenen Familie und des Lebens, wie sie es sich woanders aufgebaut haben und welches auf einmal keinen greifbaren Wert besitzt. Das fand ich furchtbar. Dass es doch diese eine Bergbesteigung braucht, um dem Leben – welches in den Augen der beiden Männer bisher wenig an Sinn beinhaltete – plötzlich einen zu verleihen. Und dabei konnte ich Rob am ehesten verstehen. Der war auch fit, das körperlich und mental durchzustehen. Schließlich war das sein Broterwerb und die anderen Teilnehmer wollten etwas für ihr Geld erleben. Und da gebe ich dir Recht: Helen Wiltons Satz fasst das auch genau so zusammen: Sie zahlen für die Gipfelbesteigung, da sollte diese schon im Preis inbegriffen sein. Auch wenn man dabei draufgeht. Aber man stirbt mit ruhigem Gewissen und hinter dir die Sintflut oder Lawine.