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~ Dialoge über aktuelle und weniger aktuelle Kinofilme

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Schlagwort-Archiv: Stummfilm

White God – Fehér isten

16 Freitag Okt 2015

Posted by filmimdialog in Filmdialoge

≈ Ein Kommentar

Schlagwörter

bullhead, fehér isten, kornél mundruczó, Matthias Schoenaerts, Stummfilm, szelíd teremtés: a frankenstein-terv, white god

Der ungewöhnliche Film des ungarischen Regisseurs  Kornél Mundruczó ist nichts für schwache Nerven. Darin werden auf zwei Plotebenen zwei Coming-of-Age-Geschichten erzählt. Einerseits geht es darin um 13-järigen Lili, andererseits um eine Odyssee ihres Hundes Hagen. Beide verlieren sich aus den Augen, um in einem noch nie gesehenen Showdown zusammenzufinden.

YP: Mich hat „White God“ sehr aufgewühlt und emotional mitgenommen. Einen Großteil der Filmminuten sehen wir Hagen dabei zu, wie er sich – erst einmal von Lilis Vater neben der Autobahnauffahrt ausgesetzt – in den Straßen von Budapest gegen andere Hunde und Menschen behaupten muss, um schließlich wie in einer Traumsequenz seinen Feldzug gegen alles Unrecht, was ihm zugestoßen ist, anzutreten.

PD: Mundruczó lässt gar keinen Zweifel aufkommen, worum es ihm in seiner Hunde-Fabel geht. Wenn im Treppenhaus die Nachbarn von Lilis Vater sofort darauf hinweist, dass ein nicht reinrassiger Hund hier nichts zu suchen hätte, ist die Stoßrichtung sehr rasch vorgegeben. Die feindselige Atmosphäre die jeden Lebensbereich durchzieht, vom Wohnhaus über die Schule hin zu den Hinterhöfen, taucht die aktuelle ungarische Gesellschaft in kein freundliches Licht.

Hagens Irrweg, nachdem er ausgesetzt wurde, war für mich der verstörenste Teil des Films.

YP: Herrenlose Hunde bzw. Straßenhunde sind gesellschaftlich unerwünscht. Nicht reinrassige Hunde haben einen noch geringeren Stellenwert. Verstörend war für mich vor allem der Teil, wo Hagen in die Hände des Trainers gerät. Und diese perverse Faszination mit dem Tier, welches man dann respektlos und bestialisch behandelt, wie es nur der Mensch fertig bringt. Fertig gemacht hat mich am meisten die Tatsache, wie man aus einem Hund wie Hagen – diesem treuherzigen, unverdorbenen, gutgesinnten Haustier – eine Kampfbestie macht. Die Schläge und der Terror, dem er dann ausgesetzt war, schienen halb so schlimm, wie das Ergebnis, seine Transformation. Und der Zwiespalt, dem er dann bei seiner Irrfahrt ausgesetzt war. Als Hagen in der letzten Szene wieder auf Lili trifft – beide von Grund auf verändert, dann schwingt in den Blicken beider so viel Vorwurf mit. Das Schöne an dieser Parabel war doch, wie zugestoßenes Unrecht und Leid Berge versetzen kann. Nach all dem Horror schwingt so viel Hoffnung mit.

PD: Für mich war der Weg hin zu seiner endgültigen Veränderung zum Kampfhund schwerer zu ertragen, denn dann das Ergebnis zu sehen. Hagen im Ring beim Kampf den gegnerischen Hund zerfleischend zu sehen, war zu erwarten und so hatte ich damit weniger zu kämpfen, denn mit den brutalen Erziehungsmethoden, denen er ausgesetzt war. Was auch schön zeigte, dass es in der Macht des Menschen liegt, wie sich das Tier entwickelt oder auch wozu man es macht. Deshalb war ich auch erleichtert, als er aus dieser Hundekampf-Arena fliehen konnte.

Der Aufstand der Hunde, die dann mordend durch die Stadt zogen und sich zu großen Teilen an ihren Peinigern rächten, war deshalb aber auch nur zum Teil von reinigender Wirkung für den Zuseher. Denn so sehr man mit den gepeinigten Tieren litt und den Bösewichten (darunter Regisseur Mundruczó als Imbissbuden-Betreiber) ihr blutiges Ende wünschte, so schnell geriet die Gewalt auch außer Kontrolle. Man konnte sich nie wirklich sicher sein, wann die Hunde wieder unter Kontrolle gebracht werden würden.

YP: Verstehe mich nicht falsch, ich fand die Bilder zum Teil unerträglich und beklemmend. Aber nicht so sehr die rohe Gewalt an sich, als einfach nur die Tatsache, was für ein Hund Hagen nach dieser Behandlung wird. Unvorstellbar, wie seine zugängliche und vertrauliche Art zu einem vom Menschen gemachten Tier wird, in all der möglichen Bestialität. Hunde sind da besonders empfänglich für alle Empfindungen des Menschen. Kein Wunder, begleiten sie den Menschen seit Jahrtausenden als Haustiere. Das Wichtigste, was der Film nach Außen transportiert und offenlegt: wie der Mensch mit den Tieren umgeht. Seien es die Hunde darin oder die Rinder. Die Message ist unüberhörbar. Allerdings wird sie nie die Personen erreichen, um die es hier geht.

PD: So eindringlich die Geschichte von Hagen war, so wenig nahm mich hingegen Lilis Schicksal ein. Ihre Rebellion gegen den Musiklehrer oder wie sie bei der Party einschläft und von der Polizei aufgeweckt wird, all das interessierte mich nicht sonderlich. Hingegen war ich fasziniert von der Dreier-Beziehung zwischen Lili, ihrem Vater und Hagen. Denn ihr Vater Dániel (Sándor Zsóter) war exakt ein so wunderbar zwischen den Erwartungen seines Umfelds und seinen eigenen moralischen Vorstellungen zerissener Charakter. Wie er Hagen behandelte, hatte weniger damit zu tun, dass er diesen Hund nicht mochte, sondern dass er durch sein Umfeld ständig darauf aufmerksam gemacht wurde, wie wenig dieses Tier in seiner Umgebung geduldet war.

Es ist aber wie schon bei seinem letzten Film „Szelíd teremtés: A Frankenstein-terv“, dass Regisseur Mundruczó mit seiner Botschaft wohl kaum die Menschen erreichen wird, von denen er möchte, dass sie sich Gedanken um Diskriminierung und Unterdrückung machen sollten.

YP: In vielen Rezensionen zum Film ist immer wieder davon die Rede, wie „White God“ die politische Lage in Ungarn widerspiegeln soll. Für mich ist diese Lesart fast zu einfach und nur weil es sich gerade anbietet, würde ich das nicht sofort ins Auge fassen. Zwar ist allgemein bekannt, wie sich Ungarn unter Orban entwickelt hat, aber dieser Film hat etwas Utopisches. Mir ist der Vergleich Minderheiten mit den Hunden zu einfach. Mundruczó erzählt eine Parabel – schreckt dabei auch nicht vor der Abbildung von Gewalt zurück und dabei appelliert er hauptsächlich an den Menschen und wie ihm der Respekt vor seiner Umwelt und den Tieren darin abhanden gekommen ist (hat er die jemals besessen? Wage ich zu bezweifeln). Die Hunde instrumentalisiert er als Sinnbild dieses abhandengekommenen Respekts.

PD: Die Lesart als politische Parabel – nicht nur auf das aktuelle Ungarn sondern generell auf den Umgang mit Minderheiten – finde ich nicht zu einfach, sondern es ist die Ebene, die mir am deutlichsten hervor tritt. Die Stärke des Films ist aber eben genau die, dass sich verschiedene Interpretationen anbieten.

So kann die Odyssee von Hagen und die Suche von Lili nach ihrem Hund, auch als Variation des „Lassie Comes Home“-Thema gesehen werden.

Wenn ich so darüber nachdenke, dann wirken die Szenen von Hagen im Kampf mit einem anderen abgerichteten Hund auch ein wenig wie die Kampfszenen von Matthias Schoenaerts in „De rouille et d’os“. Da hat Jaques Audiard Mitleidlos auf die Gewalt hingehalten und Menschen gezeigt, deren Umstände es erzwingen, sich wortwörtlich durchzuboxen. Hagen wird zu diesem Dasein gezwungen und bricht aus, als er die Möglichkeit der Flucht erkennt.

YP: Von der Intensität erinnerte mich der Film irgendwie auch an Michaël R. Roskams „Bullhead“ – auch mit Matthias Schoenaerts in der Hauptrolle. Darin geht es doch gewissermaßen auch um eine Coming-of-Age-Geschichte.

Lilis ruhigere Plotlinie gefiel mir – auch als Kontrast zu Hagens abenteuerlicher Reise durch Budapest – sehr gut und ist mir auch in Erinnerung geblieben. Sie, irgendwie gefangen zwischen Kindheit und Pubertät, zwischen beiden Elternteilen hin- und hergeschoben, hat im Grunde nur Hagen als Vertrauensseele. Und dann wird dieser von ihrem Vater, den sie ohnehin kaum leiden kann, ausgesetzt. Der Film hat Momente, die frei vom Kitsch vorüberziehen, dann aber wieder einige, die zu sehr mit einer Prise Rührung angereichert sind. Mich hat das keineswegs gestört.

Und neben all der mittlerweile üblichen Methoden, derer sich Filmemacher aus der Animation-Trickkiste bedienen, ist es hierbei wichtig, anzumerken, dass „White God“ gänzlich ohne Computeranimierte Tricks auskommt. Was man sieht, wurde tatsächlich so gefilmt. Alles andere ist Schnitt, Montage und Licht. Manchmal – und in diesem Fall – ist es eine Wohltat für geschundene Kino-Augen, wenn sich das Kino auch mit Innovation zurückhält und dabei einfach nur Geschichten erzählt und zeigt.

Sunrise: A Song of Two Humans

18 Freitag Apr 2014

Posted by filmimdialog in Filmdialoge

≈ Ein Kommentar

Schlagwörter

1927, f.w. murnau, melodram, Stummfilm, sunrise

Wenn es nach dem 2012 durchgeführten „Sight & Sound“-Poll geht, dann ist „Sunrise: A Song of Two Humans“ von F.W. Murnau der beste Stummfilm aller Zeiten, zumindest bis zur nächsten Umfrage in acht Jahren. Dass dieser Status, dem auf der Erzählebene betont simpel gehaltenem Melodram sehr wohl gerechtfertigt ist, versuchen wir in unserem neuesten Dialog zu erläutern.

YP: Rückblenden, Split-Screens, Überblendungen, Schuss-Gegenschuss, bewegliche Kamera: Diese dramaturgischen Handgriffe klingen nicht nach einem Stummfilm aus dem Jahr 1927 …

PD: 1927 war auch das Jahr, in dem sich der Stummfilm an seinem Höhepunkt befand, nur um schließlich durch die Ankunft des Tonfilms viel zu schnell von der Bildfläche zu verschwinden. Murnau hat die Kamera von ihrer starren Position befreit, das hat er bereits in „Der letzte Mann“ (1924) getan, aber in „Sunrise“ ist es geradezu perfekt umgesetzt.

YP: Damals und von William Fox nach Hollywood geholt befand sich F. W. Murnau auch am Zenit seines Schaffens. Er hatte freie Hand, und das sieht man „Sunrise“ auch an. Es ist eine durch und durch US-amerikanische Produktion, aber der Einfluss von Murnaus Gefolgschaft aus Europa liest sich in den Credits. Und diese Detailverliebtheit, diese opuleten Settings. Der Plot – adaptiert nach dem Roman „Die Reise nach Tilsit“ von Hermann Sudermann – ist nicht sonderlich originell und viel zu melodramatisch, aber den Status, den „Sunrise“ im Kanon der Filmgeschichte hat, ist fast gänzlich der technisch-filmischen Ebene zuzuschreiben.

PD: Das ist auch mein einziges Problem mit „Sunrise“, den ich auf technischer Ebene für ebenso wichtig erachte wie etwa „Citizen Kane“. Die Handlung ist sehr einfach, wie eine Fabel, aber manche Abschnitte sind einfach zu lange ausgewalzt, ohne dass sie dem Betrachter viel über die betont simpel gehaltenen Charaktere – die ja ganz bewusst nur The Man und The Wife genannt werden – erzählen. Etwa der Ausflug in die Stadt, die Jagd nach dem Schwein. Das dauert alles ein wenig zu lange.

YP: Das fand ich allerdings nicht so fatal und hat meinen Filmgenuss nicht geschmälert. Es gibt dafür einige dramatische Höhepunkte. Schnell wird man von den Ereignissen gefesselt. Tatsächlich zieht es sich ein wenig hin, aber wir sind im Jahre 2014 einfach ein anderes Tempo gewöhnt.

PD: Der Gesamteindruck wird kaum geschmälert, aber es bleibt dennoch etwas, wo meine Gedanken ein wenig zu wandern beginnen. Bei meinem liebsten Murnau-Film, seiner Adaption von Goethes „Faust“, passiert mir das nicht.

YP: Außerdem war es beabsichtigt, die Figuren allgemein zu halten, was sich nicht nur in deren Namen äußert: The Man, The Woman, The Woman from the City.

PD: Doch es stimmt, es gibt viele dramatische Höhepunkte. Sei es die Bootsfahrt in die Stadt, in der sich das Schicksal des Ehepaares dramatisch vorentscheidet, oder auch die abschließende Begegnung zwischen dem Mann und der Verführerin. Das wird von Murnau grandios eingefangen. Sehr stimmungsvoll und voller Spannung.

YP: Die Begegnung im Sumpf ist sehr düster gehalten. Es liegt auch eine Schwarz-Weiß-Malerei vor. Die Frau ist in hellem Gewand gekleidet, die Verführerin hat ein schwarzes Seidenkleid an. Subtilität war nicht wirklich notwendig, da Murnau eine Geschichte über zwei Menschen gemacht hat, die Allgemeingültigkeit haben soll und auch hat.

PD: Die Simplizität der Charaktere und der Handlung stören mich auch gar nicht, sondern nur die Länge der Ereignisse in der Stadt. Dass sich der Mann und die Frau dort verschiedenen Genüssen hingeben oder auch Gefahren ausgesetzt sind, wird mir zwischenzeitlich einfach ein wenig zu lang ausgewalzt.

Was aber in jeder einzelnen Szene auffällt, ist der Einsatz von Toneffekten. Es ist ein Stummfilm, aber Murnau hat sehr bewusst mit Effekten daraufhin gearbeitet, dass die Stimmungen und Atmosphäre der Schauplätze auch über den Ton wahrgenommen werden können.

YP: Das stimmt, das war wirklich gut eingefügt in den Stummfilm. Das Geplaudere der Menschenmassen auf diesem Jahrmarkt und im Restaurant. Die Geräuschkulisse ging schon in Richtung Tonfilm.

PD: Wie die Kamera auch in den Szenen im ländlichen und sumpfigen Gelände dahin zu schweben scheint, ist einfach wunderschön anzusehen. In seiner Rezension zu „Sunrise“ hat Roger Ebert ein wenig näher erläutert, wie dieser Effekt entstehen konnte.

Was mich besonders freut, ist die seit ein paar Jahren neu aufgekommene Wertschätzung für Stummfilme.

YP: Es heißt auch, dass „Sunrise“ und „La passion de Jeanne d’Arc“ zu den zwei letzten wirklich großen Stummfilmen zählen. Gänzlich unterschiedlich und trotzdem gebührende Vertreter des Mediums.

PD: Das würde ich so gar nicht stehen lassen. Es sind ja auch noch danach großartige Vertreter des Stummfilms entstanden, wie Dziga Vertovs „Mann mit der Kamera“ (1929) oder die Charlie Chaplin-Filme, der sich bis zu „The Great Dictator“ strikt weigerte in den Tonfilm hinüber zu wechseln.

YP: Wenn man das auf die Kontinente verteilt. „Sunrise“ ist eine Hollywood-Studioproduktion, „La Passion“ ist europäisch und Vertov hatte dann auch ganz einen anderen Zugang. Wobei es Chaplin und Murnau bestimmt leichter hatten, solche Filme zu drehen.

PD: Ja, das auf jeden Fall. Murnau bekam sämtliche Freiheiten und wäre „Sunrise“ ein finanzieller Erfolg geworden, wer weiß wozu er noch imstande gewesen wäre. So kamen dann leider nicht mehr ganz so überzeugende Werke wie „Tabu“ (1931) hinten nach.

Was mich auch fasziniert, ist dass „Sunrise“ einen Oscar als Best Picture gewann, allerdings in der Kategorie Unique and Artistic Production. Der andere Oscar-Gewinner „Wings“ erhielt ihn für „Best Production“ und heute gilt das bombastische Weltkriegsmelodram „Wings“ als offizieller erster Oscar-Gewinner in der Kategorie Best Picture. Das wirft auch ein Licht auf das Selbstverständnis der Academy.

YP: Und wenn ich einige aktuelle Best Picture Siegerfilme mit „Sunrise“ vergleiche, ist es so selbstbezeichnend für den Weg, den die Industrie eingeschlagen hat.

PD: Auch unter dem Eindruck des finanziellen Erfolgs bzw. Misserfolgs.

YP: In dem Sight & Sound Poll von 2012 liegt „Sunrise“ VOR „Man with the Movie Camera“ und „La passion de Jeanne d’Arc“, was mich auch ein wenig überrascht.

PD: Was mich dabei mehr überraschte, war die Tatsache dass sich auf Platz 11 mit „Panzerkreuzer Potemkin“ bereits der nächste Stummfilm in dieser Wertung befand.

Unter den ersten 11 Filmen befinden sich vier Stummfilme. Das ist ein überraschend hoher Wert, zeigt aber vor allem den neuen hohen Stellenwert des Stummfilms.

YP: Genau.

PD: Es werden auch immer mehr beinahe vergessene Werke ausgegraben oder einen neuen Betrachtung unterzogen, wie etwa das 1927/1928 entstandene Stummfilm-Trio „Underworld“/“The Last Command“/The Docks of New York“ von Josef von Sternberg.

YP: Wohlgemerkt, das ist eine sehr subjektive Wertung, aber tatsächlich spielt der Stummfilm auch in meinem Filmverständnis eine sehr große Rolle.

PD: Was mir aber auch diesmal bei „Sunrise“ auffiel war, dass ich mit dem Herzen doch mehr an „Faust“ und „Nosferatu“ hänge. Das mag wohl auch damit zusammen hängen, dass ich die beiden Filme als Teenager sah und „Sunrise“ erst später im Laufe des Studiums kennen lernte.

YP: Nein, das ist mir nicht passiert. Ich entdecke einen Film jedes Mal von Neuem. Den letzten Murnau habe ich vor viel zu langer Zeit gesehen, da würde ich den Film um eine ehrliche Bewertung bringen, würde ich irgendwelche sentimentalen Erinnerungen mit hineinnehmen.

PD: Der Sentimentalität kann ich mich nicht ganz entziehen. Das schmälert auch gar nicht meinen Eindruck von „Sunrise“, aber es schleicht sich doch immer der Gedanke ein …

M – Eine Stadt sucht einen Mörder

10 Freitag Jan 2014

Posted by filmimdialog in Filmdialoge

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Schlagwörter

1931, Fritz Lang, M, Metropolis, Peter Lorre, Stummfilm, Thea von Harbou, Tonfilm

„M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ gehört zu den besten 100 Filmen aller Zeiten (Platz 56 laut Sight & Sound Poll 2012), ist einer der ersten deutschsprachigen Tonfilme, überhaupt Fritz Langs erster Tonfilm, einer der ersten Filme mit einem Serienkiller als Gegenstand. Fritz Lang zeigt uns, wie eine ganze Großstadt einen Killer sucht und verurteilt. Mag er nun Distanz gewahrt haben, seine Bilder tun es jedenfalls nicht: ungewöhnlich für die damalige Darstellung waren die vielen Großaufnahmen von Gesichtern. Dieses Meisterwerk war im Dezember 2013 in einer restaurierten Fassung und Kino-Neuaufführung in Wien zu sehen. Diesen Umstand haben wir uns zum Anlass genommen und wollen den im Jahre 1931 erschienen Film an dieser Stelle besprechen.

YP: Sehr atypisch am Film ist – es gibt keinen besonderen Protagonisten, sondern viele Darsteller.

PD: Mir schien, dass Lang eher an einer Dokumentation über die Stadt interessiert war, den schlicht an einem Gut-Böse-Thriller. „Berlin. Eine Großstadtsinfonie“ frei nach Lang.

YP: Eine finstere Großstadtsinfonie wohl eher!

PD: Finster, ja, aber das ist wohl sicher auch gewollt. Der politische Hintergrund wird immer wieder gerne betont und wenn man den Film im Einklang mit den politischen Ereignissen in Deutschland sieht, dann kann man „M“ sehr einfach in Verbindung zur zusammenbrechenden Weimarer Republik setzen.

YP: Oder: In der Dämmerung zum Nationalsozialismus. Die Menschen im Film sind so voller Wut …

PD: … und Angst.

YP: Das Eine führt zum Anderen … Mir hat das Bestreben nach Selbstjustiz Angst gemacht. Wir leben in einer Gesellschaft, in der dieser Zugang bzw. Umgang nicht mehr so üblich ist bzw. geregelter ist. In Amerika wiederum sieht das heutzutage auch noch anders aus.

PD: Einerseits gefällt mir an „M“, dass er eben dies sehr deutlich zu Tage treten lässt. Die Massenhysterie und wie die Bevölkerung auf eine schleppende polizeiliche Ermittlung reagiert, alles selbst in die Hand nimmt. Da legt Lang bereits für Jahrzehnte fest, wie Serienkillerthriller á la „Zodiac“ ablaufen werden. Doch, ich widerspreche. Der Zugang zur Selbstjustiz ist auch heute noch sehr tief in unserer Gesellschaft drinnen. Dafür gibt es immer wieder traurige Beispiele. Das ist nichts rein Amerikanisches.

YP: Die Grenzen zwischen Exekutive und Judikative scheinen aufgehoben. Lang räumt der Unterwelt genauso viel Raum ein wie dem Polizei-Apparat.

PD: Was die Grenze zwischen Exekutive und Judikative angeht: Da wurde ja auch gut gezeigt, wie die Polizei einerseits von halbgaren Hinweisen überschwemmt wird und andererseits keine wirklich sinnvolle Hilfe von der Bevölkerung erwarten konnte. Auf der anderen Seite, das organisierte Verbrechen, welches auf eigene Faust eine Hetzjagd veranstaltete. Die konnten sich natürlich über Regeln hinweg setzen.

YP: Nein, du hast mich missverstanden. Natürlich ist Selbstjustiz eine universelle Regung des Menschen. Wie auch immer. Das ist nichts rein Amerikanisches. Was ich ungünstig formuliert habe, ist: Die Welt, in der die Figuren im Film leben, ist weniger reguliert. Ich tue mir schwer diesen Gedanken in Worte zu fassen. Lang zeigt eine Gesellschaft, die 10 Jahre später die Mitschuld an der Hetze und am Mord von Millionen von Juden trägt. Diesen Beigeschmack hat der Film. Da wir in einer Gesellschaft leben, für die das heute unvorstellbar ist. Bzw. passé. Vergangenheit, die man hinter sich gelassen hat.

PD: Wie schon erwähnt, darin sehe ich eine große Stärke des Films. Die Darstellung einer in sich zusammenbrechenden politischen Ordnung. Nur so ist auch zu erklären, wie sehr sich die organisierten Verbrecher „geruhsam“ auf die Jagd nach dem Kindermörder machen können, denn der Glaube der Bevölkerung an die Macht des Polizeiapparats ist dahin. Natürlich sind die Motive der Bordellbesitzer etc. viel handfester, was ja auch schön gezeigt wird. Wenn die Polizei Razzien durchführt und so nebenbei andere „Geschäfte“ stört, dann haben die Organisierten keine Ruhe und nur deshalb machen sie sich auf die Suche.

YP: Das ist zweifelsohne die Stärke des Films. Ich fand es beängstigend und besonders effektiv, gänzlich ohne Effekthascherei.

PD: Was mich jedoch weniger begeisterte, war die „Organisation der Bettler“. Das fand ich immer schon sehr unglaubwürdig und auch ein wenig an den Haaren herbei gezogen. Erst durch die Lektüre der Graphic Novel „M“ von Jon Muth, in der erwähnt wird, dass es eine derartige Organisation tatsächlich gab, hat sich dieser Kritikpunkt in Luft aufgelöst.

YP: „M“ ist eine der ersten deutschen Tonfilmproduktionen, Langs erster Tonfilm. Davor hat er sich einen Namen als Stummfilmregisseur gemacht. Findest du, dass sieht man dem Film an? Für mich ist es eher beeindruckend, wie er den Übergang zum Tonfilm schafft. Wobei der Film einige komplett stumme Szenen beinhaltet.

PD: Darauf wollte ich auch schon zu sprechen kommen. Das war zwar die erste Tonfilmproduktion, allerdings, wie bei anderen (etwa US-Filmen) dieser Zeit, die den Übergang von Stumm- zu Tonfilm machten, ist gerade dieser Kontrast sehr schön. Hätte „M“ nicht diese stummen Szenen, dann würden sie vielleicht gar nicht so intensiv und stimmungsvoll wirken. Dass sich viele Szenen stumm abspielen, macht einen Teil ihrer Wirkung aus. Selbst wenn Lang das nur „passiert“ ist und gar nicht so geplant war. „Dracula“ von Tod Browning hat etwa auch einige stumme Szenen mitten im Tonfilm. Auch sehr stimmungsvoll.

YP: Aber wirklich stumm waren Stummfilme ohnehin nie.

PD: Umgangssprachlich kann man „Stumm“ dazu sagen, aber natürlich waren sie nie komplett stumm. Etliche Billigproduktionen aus den USA, die heute gemeinfrei verfügbar sind, sind ja auch Zeugen davon, wie der Wechsel vom Stumm- zum Tonfilm, eine Herausforderung für viele Darsteller war. Der Dialog wird oft gestelzt und völlig unrealistisch intoniert.

„M“ mag da zwar auch gerade am Beginn einer Entwicklung gestanden haben, aber man hat nie das Gefühl ein falsches Wort oder eine falsche Betonung zu hören.

YP: Ach, die Sprache im Film. Das ist auch ein interessanter Punkt. Heutzutage machen die meisten Schauspielerinnen und Schauspieler eine Sprachausbildung, das Gesprochene in Filmen unterscheidet sich oft stark von der Alltagssprache. Die Sprache ist klarerweise ein Merkmal. Ich hatte gelegentlich Schwierigkeiten, die Dialoge – von denen es glücklicherweise nicht allzu viele gab – zu verstehen. Jeder Darsteller bzw. Charakter spricht einen anderen Dialekt. Vielleicht steht das für die sprachliche Vielfältigkeit der damaligen Millionenstadt Berlin. Ehrlich gesagt denke ich eher, daran ist kein Gedanke verschwendet worden. Schließlich wurden diese Aspekte in Stummfilmen nicht berücksichtigt.

PD: Eventuell ist das aber auch der intensiven Recherche von Fritz Lang und seiner Frau Thea von Harbou zu verdanken, dass die Darsteller auch so sprachen, wie ihnen „der Schnabel gewachsen“ war. Gute Filmemacher schaffen es ja, einen authentischen Klang zu vermitteln. Etwas, dass in aktuellen Produktionen im deutschsprachigen Raum leider viel zu selten zu hören ist. Bei den „wichtigen“ Charakteren hingegen, ist es schon eine klare, ein wenig hheaterhafte Sprache. Ob Peter Lorre oder Gustaf Gründgens, die haben ein sehr klares und beinahe bühnenhaftes Deutsch, was aber nicht stört. Ihre Charaktere werden ja auch nicht als „Berliner Typen“ präsentiert, die dürfen dann schon auch etwas geschliffener sprechen. Zumindest was die Aussprache angeht. Die Mutter zu Beginn des Films habe ich aber auch kaum verstanden, erst beim zweiten Anlauf war mir klar, was sie sagt.

YP: Und dieses Stakkato-Deutsch einiger Figuren. Das hat sicher nicht zum Positivbeispiel der deutschen Sprache im Ausland beigetragen.

PD: Na als Image-Film dient „M“ ohnehin nicht. Eher als Beispiel hoher Filmkunst. Zum Glück ging es Lang nicht darum, die Menschen in Berlin offensiv positiv darzustellen.

Alleine die Szene mit dem kleinen Kind, welches den Herrn nach der Uhrzeit fragt und dem darauf sich zusammen rottenden Mob, der den Herrn beinahe ermordet, ist nicht gerade dazu geeignet, um Tourismuswerbung zu betreiben.

PD: Wo steht „M“ im Vergleich zu anderen Filmen von Fritz Lang für dich?

YP: Hm, das ist eine gute Frage. Doch einer seiner bedeutendsten Filme. Neben „Metropolis“. „M“ ist wohl sein wichtigster Film.

PD: „Metropolis“ halte ich bis heute nur in ausgewählten Abschnitten aus. Die Ambition und der Einfluss des Filmes auf das Sci-Fi-Genre in allen Ehren aber so wirklich gefallen hat mir „Metropolis“ noch nie. „M“ ist sicher sein wichtigster und womöglich bester Film, auch wenn ich den zweiteiligen „Dr. Mabuse“ da auch sehr hoch einschätze. Von seinen US-Produktionen kenne ich leider zu wenige. „Die Nibelungen“ finde ich auch ganz toll.

YP: Lange war Lang für mich DER Stummfilmregisseur.

PD: Stimmt. Ich verbinde ihn auch sehr mit seinen großen Stummfilmen, die er in Deutschland drehte.

YP: Das Emigrieren und die USA-Filme sind in meiner Lang-Rezeption hintergründig für mich.

PD: Die Emigration. Das ist ein Punkt der beim Durchsehen der Lang-Biographie zwar vorkommt aber den ich kaum wirklich bewusst vor mir habe, wenn ich einen seiner Stummfilme sehe. Ganz im Gegensatz zu Hauptdarsteller Peter Lorre. Bei ihm denke ich sofort daran, dass er nach „M“ in die USA floh und nach seiner Rückkehr den unterschätzten „Der Verlorene“ gedreht hat. Da ist das viel offensichtlicher, für mich.

YP: Ich habe die restaurierte neue Fassung im Actor’s Studio gesehen im Dezember. Die Fassung wurde so gut es ging an die Weltpremiere restauriert, aber es gibt die Originalversion nicht mehr, es wurde so oft geschnitten und was verändert!

PD: Ein echtes Lang-Schicksal. Auch „Metropolis“ ist ja bis heute nicht in seiner Ur-Fassung zu sehen, zu oft wurde daran herum geschnitten und gedoktert. „M“ litt auch unter dem Verbot, welches durch die NSDAP auferlegt wurde und als der Film wieder erlaubt wurde, wurde auch entsprechend daran herum gearbeitet, ohne Langs Einverständnis.

YP: Fritz Lang war übrigens Wiener. Auf jeden Fall lag sein ehemaliges Wohnhaus in der Nähe meines Studentenwohnheims, wo ich fast täglich vorbeigekommen bin.

PD: Stimmt. Habe ich ganz vergessen. Er hat in Österreich keine großen Filme gedreht, wie etwa Michael Kertesz (Michael Curtiz). Lang sehe ich vor allem als deutschen Filmemacher, wohl auch wegen „M“, der mehr als jeder andere Film Berlin porträtiert. Mehr noch als Ruttmanns „Berlin.

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