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~ Dialoge über aktuelle und weniger aktuelle Kinofilme

Film Im Dialog

Monatsarchiv: Januar 2014

Das radikal Böse

31 Freitag Jan 2014

Posted by filmimdialog in Filmdialoge

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Das radikal Böse, Drittes Reich, Nationalsozialismus, Shoah, Stefan Ruzowitzky

Stefan Ruzowitzky meldet sich wieder zurück, jedoch nicht mit einem neuen Spielfilm, sondern mit dem Dokumentarfilm „Das radikal Böse“, in welchem er der Frage nachgeht, wie einfache Soldaten geradezu blind den Befehl zur Massentötung unschuldiger Zivilisten ausüben konnten. Ob der Oscar-Preisträger diese Frage beantworten kann und ob es überhaupt weiterer Filme zum Thema Holocaust bedarf, sind nur zwei Fragen, die wir in unserem Dialog aufwerfen.

YP: Bist du eigentlich übersättigt vom Thema Zweiter Weltkrieg? Vor allem hierzulande, wo die Vergangenheitsbewältigung noch nie so gut funktioniert hat?

PD: Übersättigt bin ich eher von kitschigen Weltkriegsmelodramen. Wenn ein Film sich aber intelligent mit dem Thema auseinandersetzt, sehe ich mir das gerne an. Die Vergangenheitsbewältigung hat in Österreich ja so gut wie nicht stattgefunden, dennoch kommt der essay-hafte Dokumentarfilm von Ruzowitzky für mich nicht über gute Absichten hinaus.

Was die Übersättigung angeht: Mir scheint sogar, dass man noch intensiver die historischen Werke aus den Zeiten des Dritten Reiches betrachten soll, um die perfiden Propagandastrategien zu analysieren. Stattdessen sehen wir aber zumeist eher Nazisploitation.

YP: Ich bin auch der Meinung, dass es so gut wie keine Vergangenheitsbewältigung gegeben hat. Stefan Ruzowitzky konzentriert sich in seinem Dokumentarfilm fast nur auf die Darstellung der Täter, die damals durch die Ukraine marschiert sind und Jüdische Frauen und Kinder erschossen haben. Das ist auch ein Teil der Geschichte, den wir damals im Geschichtsunterricht gar nicht durchgenommen haben. Übersättigt bin ich nicht, ganz im Gegenteil, es mangelt am Verständnis. Dem Begreifen, wie so etwas passieren konnte. Heutzutage und bei dem Rechtsruck besonders, (den es in Österreich schon immer gegeben hat). Das ist unbegreiflich. Filme wie „Das radikal Böse“ oder auch „Die Fälscher“ helfen mir zu verstehen. Bzw. sind sie ein Versuch des Verstehens. Zugänge.

PD: Mit dem Begriff „Verstehen“ wäre ich aber nach Filmen wie „Das radikal Böse“ eher vorsichtig. Ruzowitzky findet zwar interessante Zugänge zu dem Thema, wie normale Soldaten zu Massenmördern werden konnten, aber ein wirkliches Verständnis ergibt sich dadurch nicht. Eine Ahnung dessen, welche psychologischen Prozesse, vor allem innerhalb einer militärischen Gruppe, ablaufen, die gibt es. Das sind auch die besten Sequenzen, wenn (Militär)-Psychologen, darüber sprechen, welch innerer Druck auf den Soldaten lastet, wenn sie einen Befehl (so grausam er auch erscheinen mag) verweigern.

YP: Ich sehe Ruzowitzkys Filmessay auch nicht als gegeben an. Wenn ich mich mit einem Thema wie dem Holocaust auseinandersetzen möchte, gibt es viele Blickwinkel. Daraus ergibt sich dann mein persönlicher Zugang. Außerdem habe ich – trotz der vielen geboteten Zugänge – etwas für mich mitgenommen: Das radikal Böse ist im Menschen selber zu finden bzw. das Böse ist menschlich. Das ist so universell.

PD: Dennoch versucht sich Ruzowitzky daran, dieses „Böse“ im Menschen greifbar zu machen und dies mit zum Teil unkonventionellen Mitteln, die nicht immer zum Gelingen des Films beitragen. Der Split-Screen-Effekt etwa, verliert mit Fortdauer an ästhetischer Wirkung und scheint nur mehr irritierend. Die nachgestellten Experimente (ein wenig erinnerte das an „Dogville“), sind ebenfalls ästhetisch ansprechend, aber sie tragen kaum zu einer Vertiefung der Thematik bei. Wenn etwa die Ergebnisse des Rorschach-Tests nicht präsentiert werden, „weil sie zu schockierend waren“, dann hatte das schon etwas von ATV-Edutainment.

Wirklich beeindruckend, war die Tonebene. Die von den Darstellern vorgetragenen Tagebucheinträge, waren sehr interessant. Mir erschien der Dokumentarfilm teilweise auch eher wie ein gutes Hörbuch und weniger wie ein guter Film.

YP: Die Ergebnisse wurden nicht präsentiert, weil es sich dabei um stinknormale Männer ohne irgendwelche Auffälligkeiten gehandelt hat. Ich stimme mit dir überein, dass die Experimente nicht notwendig waren, aber Ruzowitzky hat einen sehr ansprechenden kurzweiligen Film zu einem nicht so leicht zugänglichen Thema gemacht. Das war keine typische Histrory-Channel-Doku. Bewundernswert, die Zugänge, die er dazu gefunden hat. Einfach toll, wie die jungen Soldaten immer wieder in die Kamera schauen, während die Tagebucheinträge von Schauspielern vorgelesen werden. Und was die Machart betrifft habe ich nichts daran auszusetzen. Ruzowitzky hat Mut und Geschick im Handwerk gezeigt.

PD: Ambition, Mut und Geschick. Ja, sicher, das spreche ich ihm auch gar nicht ab, aber es hat nicht so recht funktioniert. Die auf ästhetischer Ebene ansprechenden Inszenierungsarten (etwa der Split-Screen, die Darsteller in die Kamera sehen lassen), wurden einfach derart oft wiederholt, dass bei mir eine Übermüdung einsetzte. Zu den Darstellern kann man auch gar nicht viel sagen, denn sie spielen ja nicht. Sie sind anwesend. Das wirkliche Schauspiel, findet auf der Tonebene statt. Das war ein Kniff, den ich sehr interessant und auch beeindruckend fand. Die Gesichter der Soldaten, bleiben unverbindlich und leer, egal ob sie lächeln oder starr in die Kamera blicken. Die Tonebene hingegen, hat es geschafft, die Briefe und persönlichen Einträge greifbar zu machen.

Dennoch bleibt „Das radikal Böse“ ein wenig hinter seinen eigenen Ansprüchen zurück, eben weil die Experimente (ästhetisch ansprechend aber inhaltlich zu oberflächlich) einfach hinein geworfen aber nicht vertieft werden. Das ist dann zum Teil ein ziemlich wilder Mischmasch.

YP: Ich widerspreche dir auf vielen Ebenen. Selten sehe ich sowas in einer Dokumentation, für mich hat es funktioniert. Die Archivaufnahmen, einerseits die tatsächliche Erschießungen, andererseits die „Jiddischland“-Archivaufnahmen waren im wahrsten Sinne atemberaubend. Die Darsteller hatten nichts zu spielen, weil es nicht darum ging, etwas vorzuspielen, sie sollten doch nur da sein. Das Vorgetragene mit der Tonebene ist das Kernstück, die Interviews mit den Experten waren spitze und gut ausgewählt. Mein Punkt ist der: Ruzowitzky hätte was anderes machen können, hat er aber nicht, sondern einen wichtigen Filmbetrag geleistet, noch dazu einen Dokumentarfilm. Für mich ist „Das radikal Böse“ auf vielen Ebenen gelungen.

Vor allem hat mich der Film zum Nachdenken angeregt. Ich bin aus dem Kino gegangen und habe mir gedacht: Diese Soldaten sind dann heimgefahren, falls sie überlebt haben und haben diese offenen Wunden mitgenommen, die sind zu riesigen Narben geworden. Und wir leben in einer österreichischen Gesellschaft, wo viele Menschen vom Thema Holocaust übersättigt sind.

Welche Filme fallen dir sonst noch ein?

PD: Den Film bezeichne ich auch nicht als missglückt, sondern einfach nicht tiefgehend genug. Das Talent und das Händchen für Bildsprache sieht man Ruzowitzky an, aber die Ästhetik steht oftmals über dem Inhalt. So erschien es mir. Da bin ich dann wohl doch zu sehr ein „Freund“ des nüchternen Dokumentarfilms. Gerade deshalb haben mir auch die sehr fein ausgewählten Archivaufnahmen aus „Jiddischland“ gut gefallen. Dass die Darsteller nichts zu spielen hatten, habe ich übrigens positiv angemerkt.

Einen Filmemacher zu loben, dass er sich einem wichtigen Thema annimmt, ist mir aber nicht genug. Das befreit den Film doch nicht automatisch davon, qualitativ überzeugen zu müssen. Von dem Standpunkt aus, wäre jeder Film über den Holocaust, oder auch einfach „nur“ über ein Thema von humanitärem Interesse, automatisch mit mehr Lob zu beschenken. Dann müsste ich auch Uwe Bolls „Darfur“ toll finden, nur weil er eben einen Film über die Vorgänge in Darfur gedreht hat.

Bessere Dokus, auf die Schnelle: „Hotel Terminus“, „Shoah“.

YP:Und zu „Shoah“. Wie viele Menschen haben den gesehen?

PD: Wie viele werden „Das radikal Böse“ sehen? Klarerweise kann man den Film sicher toll im Schulunterricht einsetzen, aufgrund seiner Länge. Ein Film, der mich heute noch fasziniert, ist Alexander Kluges „Brutalität in Stein“ (1961). Ein Kurz-Dokumentarfilm, der die Architektur der Nazis, mit Tondokumenten verbindet. Ein ähnlicher Kniff wie jener von Ruzowitzky.

YP: In Österreich wollen den viele vielleicht gar nicht sehen! Das ist schade. Beim Publikumsgespräch mit Ruzowitzky nach der Premiere im Urania gab es kaum Fragen seitens des Publikums. Ruzowitzky meinte im profil-Interview auch, dass „Die Fälscher“ nicht berauschend lief.

PD: Da ist aber das generelle Image-Problem des österreichischen Films zu thematisieren. Den aktuellen Preisträger des Österreichischen Filmpreises („Deine Schönheit ist nichts wert…“) haben auch nur etwas mehr als 5000 Besucher gesehen.

Diana

24 Freitag Jan 2014

Posted by filmimdialog in Filmdialoge

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Biopic, Diana, Naomi Watts, Naveen Andrews, Oliver Hirschbiegel, The Queen

Die stets zuverlässige Naomi Watts als Princess of Wales, unter der Regie von Oliver Hirschbiegel, der mit „Der Untergang“ und „Das Experiment“ bereits bewiesen hat, dass er sein Fach beherrscht. Da sollte doch nichts schief gehen, oder dabei zumindest ein ansehnlicher Film entstehen. Sollte! Weshalb am Biopic „Diana“ aber so gut wie gar nichts zusammen passt und wer dafür die Verantwortung trägt, das sind unsere Themen im dieswöchigen Dialog.

PD: Zu meiner Freude wurde „Diana“ für einen Preis nominiert.

YP: Das kann ich schwer glauben. Da kommen doch nur die Razzies in Frage?

PD: Ja, Naomi Watts wurde als „Worst Actress“ nominiert. Mich freut zwar die Ehre für diesen Film, aber es trifft ausgerechnet die einzige Beteiligte, die wohl am wenigsten dafür kann.

YP: Sie konnte wirklich nichts dafür und wenn ich etwas Positives am Film bemerke, dann ihre Leistung als Diana. Ich habe schon ausführlich über „Diana“ für filmering geschrieben. Was würdest du sagen, ist denn das größte Problem des Films. Das Drehbuch?

PD: Problematisch sind sowohl das Drehbuch von Stephen Jeffreys (basierend auf einem Buch von Kate Snell) als auch die Inszenierung von Oliver Hirschbiegel. Das Drehbuch beschränkt sich zwar auf einen bestimmten Lebensabschnitt aus Dianas Leben, hat aber nicht mehr zu bieten als Boulevard-Geschichten und Gerüchte, die aufgewärmt werden. Zudem ist die Inszenierung von Hirschbiegel unglaublich uninspiriert. Er setzt die ganzen Vorgänge wie für einen kleinen Fernseher in Szene. Ich sah den Film zwar auf einer großen Leinwand, hatte aber das Gefühl einem „Fernsehfilm der Woche“ beizuwohnen. Nicht nur wegen der Qualität des Gebotenen, sondern eben auch aufgrund der Inszenierung. Die Platzierung der Kamera (und wie sie geführt wurde) ist einfach unzureichend. Naomi Watts hingegen versucht noch halbwegs aus dem schwachen Material etwas herauszuholen obwohl ihre Darbietung nicht gerade begeistert. Sie bietet biederes Handwerk, aber auf Basis dieses Drehbuchs und mit dieser Inszenierung konnte offenbar auch nicht mehr heraus schauen.

YP: Wenn ich daran denke, wie dicht und straff Hirschbiegels „Der Untergang“ ist. Bei „Diana“ schaut man ein wenig durch die Finger und fühlt sich richtig betrogen, dass man für diesen TV-Schmafu noch Geld ausgeben musste. Uninspiriert ist das Wort, das die ganze Machart des Films beschreibt. Ich habe früher im Fernsehen (meistens war das auf ARD oder ZDF) diverse Diana-Filme gesehen und so kam mir Hirschbiegels Film dann auch vor. Etwas Bekanntes und bereits Gehabtes in neuer und sehr teurer Kleidung.

PD: Genau dort wäre dieser Film auch besser aufgehoben gewesen, nur eben mit einer anderen und weniger populären Besetzung. Dann hätte man sich im Rahmen der TV-Inszenierung (die dann wohl auch günstiger ausgefallen wäre) vielleicht mehr angestrengt, um kreativ zu sein.

Dabei hatte man ja tatsächlich genügend Gelegenheiten, um aus diesem Stoff einen interessanten Film zu machen. Wenn das Interview von Diana mit der BBC zu ihrer gescheiterten Ehe und dem Verhältnis zu Charles und Camilla thematisiert wird, dann geht der Film tatsächlich in eine spannende Richtung. Dass Diana ihre Tränen, ihr Geständnis, alles kontrolliert und einstudiert hat, wäre einen guten Film Wert gewesen. So bleibt es aber eine etwas irritierend unglaubwürdige Notiz, in einem Film, der Diana als naives Dummchen (was sie laut einigen britischen Medien ja tatsächlich war) zeigt.

Wirklich Leid tat es mir um Naveen Andrews. Der war regelrecht verloren in dieser Rolle als Dr. Khan und hatte überhaupt nichts zu tun.

YP: Ich bin im Grunde nicht sonderlich an Diana interessiert, wobei sie als Medienfigur – bzw. Frau im Scheinwerferlicht – richtig spannend ist. Während der Sichtung habe ich mir die ganze Zeit gedacht: das ist doch lahm. Die wirkliche Diana, bzw. das Bild, das uns die Medien transportiert haben, ist doch viel spannender als dieser Abklatsch im Film. Für gewöhnlich übertreiben die Medien in ihrer Darstellung. Hier ist es so, dass ich lieber im Internet recherchiere als mir den Film zu geben. Vor allem: Kino kann das. Geschichten aus dem wahren Leben „verbessert“ egal in welchem Sinne, darzustellen. Was Hirschbiegel macht, geht nach hinten los.

PD: Der bessere Diana-Film wurde ja auch offenbar schon gedreht. „The Queen“ thematisiert das mediale Bild und das reale Bild von Diana (und eben von den Royals generell) sehr eindringlich und auf spannende Weise. Bei Hirschbiegel frage ich mich, was genau seine Motivation war, sich so uninteressiert zu geben. Genauso gut, hätte das als YouTube-Clipshow präsentiert werden können, mit einer Laiendarstellerin. Derart schlecht ist das Drehbuch.

Deshalb konzentrierte ich mich während des Films dann auch schon mehr auf Nebensächliches. Etwa dass Naomi Watts mit Langhaarperücke plötzlich wie Nicole Kidman aussah.

YP: Oder Liz Taylor. Sie sah eher wie sie aus.

PD: Ich musste eher an die Kidman denken und vor allem, dass die demnächst in „Grace of Monaco“ in der Titelrolle zu sehen sein wird.

YP: Ach, wie furchtbar! Wobei ich während ich die Kritik zu „Diana“ geschrieben habe, auch die ganze Zeit an Frears „The Queen“ denken musste und wie viel besser es doch ist, wenn man manch Thematik im Hintergrund lässt. Frears hatte in seinem Film auch eine größere Herausforderung zu bewältigen. Seine Figruen basierten auf Vorlagen, die allesamt noch am Leben sind. Trotzdem gelang es – auch dank des großartigen Drehbuchs – eine tolle Kinogeschichte zu zeigen. Ein Vergleich war für mich bei „The Queen“ irrelevant, weil das, was gezeigt wurde, einfach funktionierte. Bei „Diana“ liegt es dann näher, Vergleiche zu ziehen, weil das auf der Leinwand Gezeigte auch so lückenhaft ist.

PD: „The Queen“ muss ja beinahe automatisch als Vergleichsmaterial herhalten, da es sonst kaum brauchbare Arbeiten zu dem Thema gibt. Es sei denn, man zählt billige Dokudramen vom ZDF etc. dazu. Mich störte ja auch die Art und Weise, wie Hirschbiegel die Paparazzi und den Medienzirkus darstellte. Er schwankte so zwischen herber Kritik und platter Komik. Da wurde viel Potential hergeschenkt. Anzudeuten, dass Diana eventuell selbst für den ganzen Zirkus verantwortlich war (um ihren geliebten Doktor wieder zu erobern), ist zwar interessant, aber nicht wirklich gut durchdacht. Sollte es sich wirklich so abgespielt haben, dann hätte man den Film auch eher darauf fokussieren können. So bleibt es wieder, wie ein Gerücht in der Luft hängen, nach dem Motto: „Kann sein, muss nicht.“

Dann wieder gibt es Szenen, wie jene bei der Minenentschärfung. Wenn die Fotografenmeute gelangweilt zusieht, wie Diana über das Feld geht und erst die Apparate zückt, als es heißt, dass man dabei auch sterben kann. Das ist platte Komik, schlicht und ergreifend, um das Publikum zu einem Lacher zu bewegen. Für eine kritische Beobachtung braucht man mehr als einen nicht mehr ganz so frischen Gag.

YP: Mein neuer Zugang zu Filmen ist: Es ist Fiktion. Manchmal vergesse ich überhaupt darauf, dass die Geschichte auf wahren Tatsachen beruht, wie zB auch bei Scorseses „The Wolf of Wall Street“. Es ist mir einfach egal, wenn und weil die in sich geschlossene Narration tadellos funktioniert. Weiteres funktionierendes Beispiel: „12 Years a Slave“. Wo es dann wieder nicht so 100%ig funktioniert hat: „The Butler“. Da hapert es an so Manchem, und am Ende schweift es oft in den Kitsch ab.

PD: Genau das ist ja das Problem bei „Diana“. Hier wurde ein gewisser Zeitabschnitt gewählt und dann lückenhaft und in Vignetten dargestellt, der an eine Gerüchtesammlung aus einem Boulevard-Magazin erinnerte. Es wurden nicht nur keine ansprechenden Zugänge zu dem Thema gefunden (weder funktioniert es als Medien“satire“ noch als Melodram) und schon gar nicht wurde eine innere Struktur aufgebaut. Es springt von einem Ereignis zum nächsten.

YP: Und der Film ist sensationsgeil! Das hat dann immer einen etwas fragwürdigen Beigeschmack. Wobei, den Film hätte man trotz Sensationsgeilheit so anlegen können. Dafür dann Dianas Charakter privater ausarbeiten, im Sinne einer Charakterstudie.

PD: Wäre gar kein Problem gewesen, hätte Hirschbiegel einen rein auf Sensationen aufgebauten Film gedreht, aber es passt ja nichts zusammen. Die Liebesaffäre zwischen Dr. Khan und Diana schwankt immer zwischen Sensationsmasche und intimem Melodram. Das mag zwar ein Problem in der Realität gewesen sein, aber dieser Konflikt wird nicht hinreichend dargestellt. Viel mehr beginnt man sich über die Art und Weise des Films und nicht über die Probleme der beiden Charaktere im Film zu interessieren.

YP: Für mich war das eine unglaubwürdige und schwache Liebesgeschichte. Wenn ich das den Figuren nicht abkaufe, dass sie sich zueinander hingezogen fühlen, dann ist das Problem weitaus größer. Dann kann ich Entwicklungen nicht nachvollziehen und der gesamte Verlauf leidet darunter. Und ihm habe ich es nicht abgekauft. Wobei das bei Diana noch streitbar ist. Es war aber nicht charmant, was sie nicht alles für ihn tat, sondern im Grunde Teenager-Schwärmerei und unglaubwürdig obendrein. Mag die wahre Diana noch so naiv gewesen sein.

PD: Wenn der Film schon „Diana“ heißt, wird natürlich der Fokus eher auf Naomi Watts als Diana liegen. So bekam Andrews kaum Szenen um eine eigene Persönlichkeit aufzubauen. Er war entweder der fleißige Doktor, oder der herum keifende Liebhaber der mit der Beziehung wie sie ist, nicht klar kommt. Sollte Diana wirklich so ein naives Ding gewesen sein, und so kommt sie zumindest im Film rüber, dann schön. Darüber habe ich mir kaum Gedanken gemacht, da ihr filmisches Bild ohnehin so unglaublich zerrissen war, zwischen gerissener Medienmanipulatorin und einer Frau die kaum ein eigenes Leben führen kann.

YP: Aber der Film deutet doch an, dass sie die Medien sehr wohl in der Hand gehabt hat!

PD: Es gibt die eine oder andere Szene, in der Diana als gerissene Medienmanipulatorin gezeigt wird, aber wie ihr das Geschehen aus der Hand gleitet, wird gar nicht thematisiert.

Mir ist ja Naveen Andrews (spätestens seit „Lost“) sympathisch, aber ein besserer Schauspieler hätte wohl noch ein wenig mehr aus dem Charakter herausgeholt. Auch hier wurden aber wieder Chancen liegen gelassen. Wenn Dr. Khan mit seinem Onkel(?) darüber spricht, ob Diana von der Familie akzeptiert wurde, dann dreht sich das Gespräch auch kurz darüber, wie wichtig es für die islamische Welt wäre, wenn er Diana heiratet. Ein Nebensatz, der einfach so hinein geworfen und nie wieder weiter thematisiert wird. Stattdessen bekommen wir ein Treffen im nächtlichen Park und (erneut) einen Heulkrampf von Diana.

YP: Vorsicht, Spoiler!

PD: Spoiler: Diana stirbt am Schluss.

YP: Findest du es von Vorteil, wenn dir die Opening Credits eines Films mitteilen, dass es sich um ein auf wahren Begebenheiten basierendes Werk handelt. Wenn du diese Tatsache nicht schon im Vorhinein weißt. Ich gehe davon aus, dass du dir selten Filme ansiehst, wo du solche Infos noch nicht hast. Bei mir ist das meistens so. Manchmal wünschte ich, es würde nicht stehen, weil es ist in erster Linie NUR EIN FILM.

Dieses Lechzen nach Wahrheit!

PD: Hin und wieder habe ich das Gefühl, dass diese Anmerkung, ob vor oder nach dem Film, wie ein Freibrief wirkt, um auch noch die unglaubwürdigste oder aber auch schematischste Handlung zu rechtfertigen. Mir fiel das vor allem einst bei „Monster“ mit Charlize Theron auf, als ich bei einer Diskussion mit Freunden ein paar negative Aspekte anmerkte. Mir wurde stets ein „Das ist aber wirklich passiert“ entgegen geworfen. Diese Mentalität ist problematisch.

Ansonsten kann das schon auf einer wahren Begebenheit basieren, solange der Film gut gemacht ist, ist mir das egal. Im besten Fall beginne ich über die Hintergründe zu recherchieren. Wie etwa jetzt bei „12 Years a Slave“ oder „The Wolf of Wall Street“ oder gar bei „Pain & Gain“.

YP: Das erklärt oft meine Liebe zu Action-Filmen, Sci-Fi-Dramen, Horrorfilme usw. Wobei bei Letzterem das auch oft verwendet wird, meistens dann als Gag. Etwas zum Schmunzeln. Oft fühle ich mich von Filmen, die Anspruch auf Wahrheiten und Gegebenheiten haben, betrogen.

PD: Warum betrogen?

YP: Weil es NUR EIN FILM ist.

PD: Der eben auf einer wahren Begebenheit „basiert“.

YP: Es ist (mir) egal. Bei einem Roman frage ich mich das auch nicht. Nehmen wir Nabokovs „Lolita“ oder Romane und Erzählungen von Murakami. Jeder der schreibt, weiß doch, wie viel Tatsächliches, wirklich Erlebtes, in das Geschriebene reinfließt. Der Film verwendet es als Titel, ein Roman wirkt dann ganz anders, wenn er die Info vorausschickt.

PD: Ein Roman hat eventuell den Vorteil, durch einen längeren Einleitungstext darzulegen, dass es zwar auf einer wahren Begebenheit basiert, sich aber enorme Freiheiten heraus nimmt. Ein Film, doch ein visuelles Medium, kann „nur“ über Stilmittel vermitteln, dass Freiheiten heraus genommen wurden und im besten Fall wird dann gar nicht darauf hingewiesen, dass es eine wahre Geschichte ist, die erzählt wird.

Wobei es natürlich auch auf die Thematik ankommt. Bei „12 Years a Slave“ war es geradezu notwendig, da ja ein bestimmtes Buch adaptiert wurde, welches wieder die Abschrift eines Gesprächs zwischen Solomon Northup und einem Journalisten war.

YP: Es verändert die Rezeption von Grund auf und gänzlich.

PD: Das kommt doch auch auf die Qualität des Gezeigten an. Bei „Diana“ war mir zwar bewusst, dass hier eine „wahre Geschichte“ erzählt wird, aber nach dem Ende dieses schlechten Filmes, war mir völlig egal, worum es eigentlich ging. Ganz anders bei Filmen von hoher Qualität, da beginne ich über die Hintergründe nachzudenken und zu recherchieren. Das unterscheidet sich dann nicht grundsätzlich von „erfundenen“ guten Geschichten.

YP: Manchmal sind mir diese erfundenen Geschichten lieber. Das ist dann aber Geschmacksache!

Sherlock

17 Freitag Jan 2014

Posted by filmimdialog in TV

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BBC, Benedict Cumberbatch, Mark Gattis, Martin Freeman, Season 3, Sherlock, Stephen Moffat

In unserer Jubiläumsausgabe und dem 10. Dialog widmen wir uns der heißgeliebten BBC-Serie „Sherlock“. Einleitend soll gar nicht viel vorweggenommen werden, es geht hauptsächlich um eine Nachbesprechung der dritten Staffel, aber auch um persönliche Zugänge und Lesarten. Spoiler können nicht ausgeschlossen werden, wurden aber auf ein Minimum reduziert.

PD: Wann war deine erste Begegnung mit Sherlock Holmes?

YP: Meine erste Begegnung mit Sherlock Holmes war während meiner Schulzeit. Irgendwann als Teenager. Bestimmt habe ich schon vorher was gehört, aber damals bekam er Konturen und wurde ein Begriff. Dann mit 15 oder so, mussten wir „The Hound of the Baskervilles“ als Vorbereitung für ein Theaterstück im Vienna‘s English Theatre lesen. Und deine erste Begegnung mit ihm?

PD: Als Schulkind konnte ich noch relativ wenig damit anfangen aber durch ständige Verweise in Zeichentrickserien wurde das langsam immer konkreter. Schließlich war es dann als Teenager (ich glaube mit 12 oder 13 Jahren) der Film „The Hound of the Baskervilles“ aus dem Jahr 1959 mit Peter Cushing als Holmes und Christopher Lee als Graf, der mein Bild von Sherlock ziemlich einzementierte. Dank der Hammer-Studios musste von da weg ein Sherlock-Film immer in satten Farben und mit viel Grusel präsentiert werden.

YP: Vor ein paar Jahren habe ich im Rahmen eines Uni-Seminars fast alle Geschichten gelesen, das war noch vor den Guy Ritchie-Verfilmungen. Im Herbst 2011 bin ich dann in einem Artikel auf den neuen BBC-Sherlock aufmerksam geworden. Witzig war, was ich mir aufgrund des Fotos mit Freeman und Cumberbatch gedacht habe: Ein sehr atypischer Sherlock. Und so jung. Das hat meine Aufmerksamkeit erregt. Und seitdem vergehen kaum Monate, wo ich mich nicht mit dem Stoff befasse, die Serie schaue, oder die Geschichten von Sir Arthur Conan Doyle lese.

PD: Die Geschichten kenne ich noch viel zu wenig. Irgendwann habe ich dann die „Baskervilles“-Geschichte gelesen, einige kürzere Stories als Hörbuch oder Hörspiel kennen gelernt aber zunächst waren da noch einige billige Sherlock-Adaptionen und schließlich der Guy Ritchie-Film, der mir im ersten Moment ganz gut gefiel. Zumindest was die Paarung Robert Downey Jr. und Jude Law angeht. Die beiden machen ihre Sache schon ganz gut, aber nichts auf der Welt könnte mich in einen weiteren Sherlock-Film von Ritchie schleifen.

Als ich erstmals den Teaser für die BBC-Adaption sah, war ich ein wenig skeptisch, da mir die Versetzung von John Watson in die aktuellen Kriegsgebiete ein wenig arg platt und aufgesetzt erschien. Das war auch bei Ansicht der Pilotfolge noch so. Mir wirkte das zu bemüht modernisiert, aber es entwickelte sich sehr natürlich und alles griff flott ineinander. Dass Freeman einen modernen Watson spielt, so wie Cumberbatch einen modernen, jungen und sozial völlig unangepassten Sherlock, hat natürlich geholfen. Da haben Mark Gattis und Stephen Moffat genau die richtigen Kniffe gefunden, um die Charaktere in die Gegenwart zu transportieren. Deshalb war ja auch für mich die Wartezeit zwischen Staffel 2 und Staffel 3 so unerträglich lange …

YP: „The Reichenbach Fall“, also die letzte und dritte Folge der 2. Staffel habe ich mir Monate aufgehoben. Alle drei Folgen dieser Staffel sind im Jänner 2012 rausgekommen und ich habe die letzte Folge irgendwann im April oder Mai gesehen. Hast du eine Lieblings-Staffel bisher?

PD: Schwer zu sagen. Mir gefallen einzelne Episoden zum Teil besser, denn der Allgemeinheit. Meine nostalgische Verbundenheit zur Baskerville-Geschichte ist ein Grund, weshalb ich „The Hounds of Baskerville“ aus Staffel 2 sehr hoch einschätze. Höher als manch anderer. Mir gefällt aber vor allem das Muster, welches sie sich zurechtgelegt haben, Episode 1 – „A Scandal in Belgravia“ baut den Handlungsbogen und den Bösewicht auf, dann gibt es „zur Entspannung“ einen von diesem Haupthandlungsbogen völlig losgelösten Fall und in der letzten Episode kehrt man zum Hauptbösewicht zurück und löst alles auf. Dieser Aufbau der bislang drei Staffeln gefällt mir ganz gut. Mein liebster Cliffhanger ist aber jener von Staffel 1 auf Staffel 2. Da ist noch nicht wirklich klar, wie verrückt Moriarty wirklich ist.

YP: Und ich finde, das fehlt der letzten Staffel gänzlich. Ein ordentlicher Bösewicht. Es gibt keinen! Was mich am Ende der zweiten Staffel so gestört hat – nicht, dass ich für eine Sekunde angenommen habe, sie lassen Sherlock tatsächlich sterben – ist, dass sie Moriarty sterben lassen. Was ist ein Held ohne seinen ebenbürtigen Widersacher. Und Andrew Scott hat das so gut gemacht. Mein Problem mit der 3. Staffel ist ohnehin, die Ereignisse scheinen sich zu überschlagen. Vergessen wir nicht, dass es sich um einen Detektiv handelt. Ich habe nichts dagegen, wenn er Fälle tatsächlich auch löst. Hat das noch in “The Sign of Three“ – gut in die Hochzeitsgesellschaft eingebaut – funktioniert, in „His Last Vow“ kommt mir das alles etwas plump vor.

PD: Plump würde ich nicht sagen, aber man bemerkt richtig die Bürde, der alles auflösenden letzten Episode. Die Staffeln funktionieren ja im Grunde wie eine Filmtrilogie, mit drei Filmen á 90 Minuten. In diesem Sinne kommt es beinahe Mainstream-typisch zum alles erschlagenden Finale, das alles auflösen muss. Das war wieder sehr packend inszeniert, aber wenn mehr oder weniger alle 15 Minuten eine alles umwerfende Wendung eingebaut wird, stumpft man mit der Zeit ab. Den Bösewicht gab es in Staffel 3 schon, aber Moriarty ist eben eine eindrucksvolle Persönlichkeit, die kaum durch einen anderen Bösewicht „ersetzt“ werden kann. Magnussen ging schon eher in Richtung Bond-Bösewicht. Zudem verstärkte sich in „His Last Vow“ mein Eindruck, dass die 3. Staffel eher die Martin-Freeman-Show ist und weniger jene von Benedict Cumberbatch.

YP: Magnussen und sein „mind palace“ ist leider nicht vergleichbar mit den Dingen, die Moriarty so draufhatte.

PD: Es ist aber ein netter Gag. Sherlocks Gegenstück auf anderer Ebene. Ihm gar überlegen.

YP: Wenn du die Geschichten gelesen hättest, würdest du es vielleicht nicht als netten Gag sehen. In „A Study in Scarlett“ erklärt Sherlock Watson, wie sein Hirn funktioniert. Das macht er in der Serie auch. Doyle beschreibt das Gehirn als „a little empty attic, and you have to stock it with such furniture as you choose“. Das ist doch vergleichbar mit einem „mind palace“. Wenn Sherlock sich so viel merken kann, warum soll es nicht jemanden geben, der sich nicht noch mehr merken kann?

PD: Wenn ich die Filme – ich sträube mich Episoden zu schreiben – vergleiche, dann würde ich „His Last Vow“ auch als eine eher schwächere Arbeit einschätzen. Ungefähr auf einer Ebene mit der zweiten Episode von Staffel 1 („The Blind Banker“). Es war allerdings auch ein passender Abschluss zu einer Staffel, die bereits ein wenig überheizt begonnen hat. Dass man etwa in der ersten Episode der dritten Staffel mehrere Auflösungen zu Sherlocks „Tod“ anbietet, ist ja nichts weiter gewesen, als ein Zwinkern in Richtung Publikum. Wohl aber auch der weise Entschluss, sich nicht festzulegen, denn jede Auflösung des Cliffhangers, hätte nur für Enttäuschung gesorgt.

Dass man nun zum Abschluss derart die Ereignisse übereinander türmt und eine Wendung auf die andere folgen lässt – inklusive der zeitweise etwas nervig überdrehten Musik – ist da nur mehr symptomatisch. Das bedeutet ja nicht, dass es schlecht gewesen wäre. Es war einfach zu hektisch.

YP: Zuerst: Mir gefiel die erste Folge vielleicht sogar am besten in der Staffel, wenn, dann ist sie zumindest auf Augenhöhe mit der herrlich amüsanten „The Sign of Three“, das war was überraschend Anderes in Sherlock. Die Hochzeit und trotzdem ein paar Fälle. Da sieht man auch wieder toll, wie Sherlock arbeitet. Wie sein Gehirn funktioniert. Uns werden da Bilder geboten, die sind großartig!

Dann noch: Die letzte Folge funktioniert für mich auf so vielen Ebenen nicht. Zuerst einmal der Sexismus in der Serie. In der ersten Staffel hielt es sich noch in Grenzen, ich hätte mir nicht gedacht, dass sie nach der Irene-Adler-Folge („A Scandal in Belgravia“) das fragwürdige Frauenbild noch toppen können, aber es ist geschehen. 1. Sherlock und Janine. 2. Sherlock und Mary. 3. Sherlock und Molly. 4. Sherlock und Mrs. Hudson. Sicher, mir ist durchaus bewusst, dass sich Sherlock mit keiner Menschenseele wirklich versteht und bei Frauen ist er sowieso unsicher und so weiter. Aber nicht für einen Augenblick habe ich ihm das mit Janine abgekauft und zweites, warum muss er alle Frauen so überführen?

PD: Interessant. Ich habe da überhaupt keinen Sexismus wahr genommen. Mrs. Hudson ist eher eine schrullige Landlady, die auch von Watson nicht wirklich für voll genommen wird, der sie aber mit mehr Zurückhaltung behandelt. Sherlock behandelt Frauen ja genauso wie Männer, da sehe ich in der Figur von Sherlock, so wie sie Cumberbatch anlegt, keinen Sexismus. Die bereits in „The Sign of Three“ angedeutete Geschichte mit Janine kann man noch diskutieren, aber es ist ja auch nur ein Mittel zum Zweck. Wie gesagt, Sherlock verhält sich auch gegenüber Männern entsprechend respektlos und führt sie allesamt vor.

Was man vorwerfen kann, ist dass selbst die starken Frauen (Irene, Mary) am Ende doch wieder die Hilfe der Männer benötigen. Molly ist ja vom ersten Auftritt an, als das hoffnungslos in Sherlock verknallte Mädel festgelegt worden. Es wäre eine Überraschung, wenn ihr ein wenig mehr Persönlichkeit zugestanden würde.

YP: In „The Sign of Three“ – bevor sie die Tür zu Sholtos Hotelzimmer eintreten – sagt Sherlock zu Watson „Get your woman under control“, Molly wird sowieso als liebestolle Witzfigur dargestellt und sein Verhalten gegenüber Mr. Hudson lässt auch zu wünschen übrig. Das ist nur in dieser Staffel, von den anderen abgesehen.

PD: Gut, der Satz trieft vor Sexismus und einem entsprechenden Weltbild. Mrs. Hudson macht er aber schon seit dem ersten Film fertig, das ist weniger Sexismus, sondern einfach nur der Charakter von Sherlock, und Molly, ja, die ist als die liebestolle Witzfigur dargestellt. Es wäre vor allem bei Molly schön, wenn man ihr etwas mehr Hintergrund geben würde. Bislang fungiert sie hauptsächlich als Comic Relief. Mit Mary habe ich kein Problem. Eher mit der Art und Weise, wie ihre Probleme wieder gelöst werden. In der Geschichte die „His Last Vow“ zugrunde liegt, wird ja Magnussen/Milverton anders „erledigt“.

YP: Sherlock kaufe ich das mit Janine einfach nicht ab. Dass er das als vernunftgesteuerter Mensch kann: Liebe und Zuneigung derart vorzutäuschen, dass es dem Gegenüber – in dem Falle Janine – nicht auffällt. Es deutet darauf hin, dass er es sich stets mit äußerst leichtgläubigen Exemplaren des weiblichen Geschlechts zu tun hat. Diese Unglaubwürdigkeit war das Problem für mich in „His Last Vow“. Es war schon so unglaubwürdig in der Irene-Adler-Folge.

PD: Das kaufe ich Sherlock aber genauso ab wie ich es Moriarty abkaufe. Damit habe ich weniger Probleme. Wie oben schon einmal erwähnt: Für mich war diese Staffel vor allem von einem großartigen Martin Freeman geprägt.

YP: Genau! Cumberbatch ist so richtig in den Hintergrund getreten in dieser Staffel. Freeman spielt so facettenreich und vielseitig, jede Folge legt er nach Bedarf anders an. Das ist unglaublich gut. Sympathisch ist er mir schon seit „Love Actually“ gewesen, aber seit „Sherlock“ gehört er definitiv zu meinen Lieblingsdarstellern. Natürlich als Figur, der seine Emotionen und Empfindungen auch ausleben darf, hat er eine ordentliche Bandbreite und die nutzt er diesmal auch richtig aus.

PD: Cumberbatch hat ja den „Nachteil“, dass man seine großartiges Spiel als Sherlock nun schon bei sechs Mal á 90 Minuten bewundern durfte und wie es eben so ist, wird man es einfach gewohnt, während Freeman in dieser Zeit zwar gut aber eben bei weitem nicht mit so vielen Varianten auftrumpfen konnte. Stattdessen wurde er eingeklemmt zwischen Sherlock und schließlich Moriarty (Andrew Scott gefiel mir ja auch erst bei der zweiten Ansicht, zunächst war er mir viel zu überdreht). Diesmal darf Freeman schon in „The Empty Hearse“ zeigen, was er alles drauf hat. Die tiefen seelischen Wunden, die ihm die Ereignisse in „The Reichenbach Fall“ zugefügt wurden und der Versuch, ein normales und bürgerliches Leben zu starten, was ihm aber nun mal nicht gelingt. Herrlich.

…und die Dialogzeile: „I don’t shave for Sherlock Holmes“ ist ja jetzt schon eingeprägt in die Fangemeinde. Freeman ist mir in der Vergangenheit auch in „Love Actually“ und in „Hitchhiker’s Guide to the Galaxy „aufgefallen aber nie so positiv wie nun in „Sherlock“.

YP: Zusammenfassend: Mein größtes Problem mit und in „Sherlock“ ergibt sich im Frauenbild. Und da bewegen sich Stephen Moffat und Mark Gattis auch weit weg von Sir Arthur Conan Doyle. Ging es dem letzteren in seinen Schilderungen um die Abenteuer von zwei Junggesellen in einer frauenreduzierten Gesellschaft im viktorianischen England um die Jahrhundertwende, hauen die BBC-Macher ordentlich hin. Für mich wird da ein rückständiges Frauenbild vermittelt.

PD: Da kann ich nicht ganz zustimmen. Zwar sind die Frauencharaktere bei weitem nicht so gut ausgearbeitet wie die Männer aber als Frauenfeindlich würde ich das nicht bezeichnen. Irene Adler und Mary Watson sind schon starke Charaktere, aber die Auflösung aller Probleme wird dann in die Hände von Sherlock oder Watson gelegt. Das ist eher ein Problem. Die Gewichtung. Es wird viel zu sehr auf die Gottgleichen Fähigkeiten von Sherlock vertraut. Mrs. Hudson und Molly sind nun einmal Comic Relief, das sind aber auch Lestrade oder auch der Sherlock-Fanboy Anderson. Die Gewichtung geht einfach in Richtung Sherlock und Watson und eben der Bösewichte.

YP: Lass es mich das so ausdrücken: In keinem für mich realitätsnahen Szenario verliebt sich eine selbstbewusste Lesbe in einen asexuellen Über-Detektiv, egal wie intelligent sie sein mag und für wie sexy sie Intelligenz einstuft (Zitat Irene Adler in der ersten Folge der zweiten Staffel: „Brainy is the new sexy“). Das sind reine Männerfantasien. Aber „Sherlock“ ist modere Fiktion. Und Steven Moffat wird ja wohl noch träumen dürfen.

M – Eine Stadt sucht einen Mörder

10 Freitag Jan 2014

Posted by filmimdialog in Filmdialoge

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Schlagwörter

1931, Fritz Lang, M, Metropolis, Peter Lorre, Stummfilm, Thea von Harbou, Tonfilm

„M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ gehört zu den besten 100 Filmen aller Zeiten (Platz 56 laut Sight & Sound Poll 2012), ist einer der ersten deutschsprachigen Tonfilme, überhaupt Fritz Langs erster Tonfilm, einer der ersten Filme mit einem Serienkiller als Gegenstand. Fritz Lang zeigt uns, wie eine ganze Großstadt einen Killer sucht und verurteilt. Mag er nun Distanz gewahrt haben, seine Bilder tun es jedenfalls nicht: ungewöhnlich für die damalige Darstellung waren die vielen Großaufnahmen von Gesichtern. Dieses Meisterwerk war im Dezember 2013 in einer restaurierten Fassung und Kino-Neuaufführung in Wien zu sehen. Diesen Umstand haben wir uns zum Anlass genommen und wollen den im Jahre 1931 erschienen Film an dieser Stelle besprechen.

YP: Sehr atypisch am Film ist – es gibt keinen besonderen Protagonisten, sondern viele Darsteller.

PD: Mir schien, dass Lang eher an einer Dokumentation über die Stadt interessiert war, den schlicht an einem Gut-Böse-Thriller. „Berlin. Eine Großstadtsinfonie“ frei nach Lang.

YP: Eine finstere Großstadtsinfonie wohl eher!

PD: Finster, ja, aber das ist wohl sicher auch gewollt. Der politische Hintergrund wird immer wieder gerne betont und wenn man den Film im Einklang mit den politischen Ereignissen in Deutschland sieht, dann kann man „M“ sehr einfach in Verbindung zur zusammenbrechenden Weimarer Republik setzen.

YP: Oder: In der Dämmerung zum Nationalsozialismus. Die Menschen im Film sind so voller Wut …

PD: … und Angst.

YP: Das Eine führt zum Anderen … Mir hat das Bestreben nach Selbstjustiz Angst gemacht. Wir leben in einer Gesellschaft, in der dieser Zugang bzw. Umgang nicht mehr so üblich ist bzw. geregelter ist. In Amerika wiederum sieht das heutzutage auch noch anders aus.

PD: Einerseits gefällt mir an „M“, dass er eben dies sehr deutlich zu Tage treten lässt. Die Massenhysterie und wie die Bevölkerung auf eine schleppende polizeiliche Ermittlung reagiert, alles selbst in die Hand nimmt. Da legt Lang bereits für Jahrzehnte fest, wie Serienkillerthriller á la „Zodiac“ ablaufen werden. Doch, ich widerspreche. Der Zugang zur Selbstjustiz ist auch heute noch sehr tief in unserer Gesellschaft drinnen. Dafür gibt es immer wieder traurige Beispiele. Das ist nichts rein Amerikanisches.

YP: Die Grenzen zwischen Exekutive und Judikative scheinen aufgehoben. Lang räumt der Unterwelt genauso viel Raum ein wie dem Polizei-Apparat.

PD: Was die Grenze zwischen Exekutive und Judikative angeht: Da wurde ja auch gut gezeigt, wie die Polizei einerseits von halbgaren Hinweisen überschwemmt wird und andererseits keine wirklich sinnvolle Hilfe von der Bevölkerung erwarten konnte. Auf der anderen Seite, das organisierte Verbrechen, welches auf eigene Faust eine Hetzjagd veranstaltete. Die konnten sich natürlich über Regeln hinweg setzen.

YP: Nein, du hast mich missverstanden. Natürlich ist Selbstjustiz eine universelle Regung des Menschen. Wie auch immer. Das ist nichts rein Amerikanisches. Was ich ungünstig formuliert habe, ist: Die Welt, in der die Figuren im Film leben, ist weniger reguliert. Ich tue mir schwer diesen Gedanken in Worte zu fassen. Lang zeigt eine Gesellschaft, die 10 Jahre später die Mitschuld an der Hetze und am Mord von Millionen von Juden trägt. Diesen Beigeschmack hat der Film. Da wir in einer Gesellschaft leben, für die das heute unvorstellbar ist. Bzw. passé. Vergangenheit, die man hinter sich gelassen hat.

PD: Wie schon erwähnt, darin sehe ich eine große Stärke des Films. Die Darstellung einer in sich zusammenbrechenden politischen Ordnung. Nur so ist auch zu erklären, wie sehr sich die organisierten Verbrecher „geruhsam“ auf die Jagd nach dem Kindermörder machen können, denn der Glaube der Bevölkerung an die Macht des Polizeiapparats ist dahin. Natürlich sind die Motive der Bordellbesitzer etc. viel handfester, was ja auch schön gezeigt wird. Wenn die Polizei Razzien durchführt und so nebenbei andere „Geschäfte“ stört, dann haben die Organisierten keine Ruhe und nur deshalb machen sie sich auf die Suche.

YP: Das ist zweifelsohne die Stärke des Films. Ich fand es beängstigend und besonders effektiv, gänzlich ohne Effekthascherei.

PD: Was mich jedoch weniger begeisterte, war die „Organisation der Bettler“. Das fand ich immer schon sehr unglaubwürdig und auch ein wenig an den Haaren herbei gezogen. Erst durch die Lektüre der Graphic Novel „M“ von Jon Muth, in der erwähnt wird, dass es eine derartige Organisation tatsächlich gab, hat sich dieser Kritikpunkt in Luft aufgelöst.

YP: „M“ ist eine der ersten deutschen Tonfilmproduktionen, Langs erster Tonfilm. Davor hat er sich einen Namen als Stummfilmregisseur gemacht. Findest du, dass sieht man dem Film an? Für mich ist es eher beeindruckend, wie er den Übergang zum Tonfilm schafft. Wobei der Film einige komplett stumme Szenen beinhaltet.

PD: Darauf wollte ich auch schon zu sprechen kommen. Das war zwar die erste Tonfilmproduktion, allerdings, wie bei anderen (etwa US-Filmen) dieser Zeit, die den Übergang von Stumm- zu Tonfilm machten, ist gerade dieser Kontrast sehr schön. Hätte „M“ nicht diese stummen Szenen, dann würden sie vielleicht gar nicht so intensiv und stimmungsvoll wirken. Dass sich viele Szenen stumm abspielen, macht einen Teil ihrer Wirkung aus. Selbst wenn Lang das nur „passiert“ ist und gar nicht so geplant war. „Dracula“ von Tod Browning hat etwa auch einige stumme Szenen mitten im Tonfilm. Auch sehr stimmungsvoll.

YP: Aber wirklich stumm waren Stummfilme ohnehin nie.

PD: Umgangssprachlich kann man „Stumm“ dazu sagen, aber natürlich waren sie nie komplett stumm. Etliche Billigproduktionen aus den USA, die heute gemeinfrei verfügbar sind, sind ja auch Zeugen davon, wie der Wechsel vom Stumm- zum Tonfilm, eine Herausforderung für viele Darsteller war. Der Dialog wird oft gestelzt und völlig unrealistisch intoniert.

„M“ mag da zwar auch gerade am Beginn einer Entwicklung gestanden haben, aber man hat nie das Gefühl ein falsches Wort oder eine falsche Betonung zu hören.

YP: Ach, die Sprache im Film. Das ist auch ein interessanter Punkt. Heutzutage machen die meisten Schauspielerinnen und Schauspieler eine Sprachausbildung, das Gesprochene in Filmen unterscheidet sich oft stark von der Alltagssprache. Die Sprache ist klarerweise ein Merkmal. Ich hatte gelegentlich Schwierigkeiten, die Dialoge – von denen es glücklicherweise nicht allzu viele gab – zu verstehen. Jeder Darsteller bzw. Charakter spricht einen anderen Dialekt. Vielleicht steht das für die sprachliche Vielfältigkeit der damaligen Millionenstadt Berlin. Ehrlich gesagt denke ich eher, daran ist kein Gedanke verschwendet worden. Schließlich wurden diese Aspekte in Stummfilmen nicht berücksichtigt.

PD: Eventuell ist das aber auch der intensiven Recherche von Fritz Lang und seiner Frau Thea von Harbou zu verdanken, dass die Darsteller auch so sprachen, wie ihnen „der Schnabel gewachsen“ war. Gute Filmemacher schaffen es ja, einen authentischen Klang zu vermitteln. Etwas, dass in aktuellen Produktionen im deutschsprachigen Raum leider viel zu selten zu hören ist. Bei den „wichtigen“ Charakteren hingegen, ist es schon eine klare, ein wenig hheaterhafte Sprache. Ob Peter Lorre oder Gustaf Gründgens, die haben ein sehr klares und beinahe bühnenhaftes Deutsch, was aber nicht stört. Ihre Charaktere werden ja auch nicht als „Berliner Typen“ präsentiert, die dürfen dann schon auch etwas geschliffener sprechen. Zumindest was die Aussprache angeht. Die Mutter zu Beginn des Films habe ich aber auch kaum verstanden, erst beim zweiten Anlauf war mir klar, was sie sagt.

YP: Und dieses Stakkato-Deutsch einiger Figuren. Das hat sicher nicht zum Positivbeispiel der deutschen Sprache im Ausland beigetragen.

PD: Na als Image-Film dient „M“ ohnehin nicht. Eher als Beispiel hoher Filmkunst. Zum Glück ging es Lang nicht darum, die Menschen in Berlin offensiv positiv darzustellen.

Alleine die Szene mit dem kleinen Kind, welches den Herrn nach der Uhrzeit fragt und dem darauf sich zusammen rottenden Mob, der den Herrn beinahe ermordet, ist nicht gerade dazu geeignet, um Tourismuswerbung zu betreiben.

PD: Wo steht „M“ im Vergleich zu anderen Filmen von Fritz Lang für dich?

YP: Hm, das ist eine gute Frage. Doch einer seiner bedeutendsten Filme. Neben „Metropolis“. „M“ ist wohl sein wichtigster Film.

PD: „Metropolis“ halte ich bis heute nur in ausgewählten Abschnitten aus. Die Ambition und der Einfluss des Filmes auf das Sci-Fi-Genre in allen Ehren aber so wirklich gefallen hat mir „Metropolis“ noch nie. „M“ ist sicher sein wichtigster und womöglich bester Film, auch wenn ich den zweiteiligen „Dr. Mabuse“ da auch sehr hoch einschätze. Von seinen US-Produktionen kenne ich leider zu wenige. „Die Nibelungen“ finde ich auch ganz toll.

YP: Lange war Lang für mich DER Stummfilmregisseur.

PD: Stimmt. Ich verbinde ihn auch sehr mit seinen großen Stummfilmen, die er in Deutschland drehte.

YP: Das Emigrieren und die USA-Filme sind in meiner Lang-Rezeption hintergründig für mich.

PD: Die Emigration. Das ist ein Punkt der beim Durchsehen der Lang-Biographie zwar vorkommt aber den ich kaum wirklich bewusst vor mir habe, wenn ich einen seiner Stummfilme sehe. Ganz im Gegensatz zu Hauptdarsteller Peter Lorre. Bei ihm denke ich sofort daran, dass er nach „M“ in die USA floh und nach seiner Rückkehr den unterschätzten „Der Verlorene“ gedreht hat. Da ist das viel offensichtlicher, für mich.

YP: Ich habe die restaurierte neue Fassung im Actor’s Studio gesehen im Dezember. Die Fassung wurde so gut es ging an die Weltpremiere restauriert, aber es gibt die Originalversion nicht mehr, es wurde so oft geschnitten und was verändert!

PD: Ein echtes Lang-Schicksal. Auch „Metropolis“ ist ja bis heute nicht in seiner Ur-Fassung zu sehen, zu oft wurde daran herum geschnitten und gedoktert. „M“ litt auch unter dem Verbot, welches durch die NSDAP auferlegt wurde und als der Film wieder erlaubt wurde, wurde auch entsprechend daran herum gearbeitet, ohne Langs Einverständnis.

YP: Fritz Lang war übrigens Wiener. Auf jeden Fall lag sein ehemaliges Wohnhaus in der Nähe meines Studentenwohnheims, wo ich fast täglich vorbeigekommen bin.

PD: Stimmt. Habe ich ganz vergessen. Er hat in Österreich keine großen Filme gedreht, wie etwa Michael Kertesz (Michael Curtiz). Lang sehe ich vor allem als deutschen Filmemacher, wohl auch wegen „M“, der mehr als jeder andere Film Berlin porträtiert. Mehr noch als Ruttmanns „Berlin.

Only Lovers Left Alive

03 Freitag Jan 2014

Posted by filmimdialog in Filmdialoge

≈ 2 Kommentare

Schlagwörter

Anton Yelchin, Jim Jarmusch, John Hurt, Mia Wasikowska, Only Lovers Left Alive, Tilda Swinton, Tom Hiddleston, Vampire

Jim Jarmusch ist zurück. Während sein Thriller „The Limits of Control“ kaum überzeugen konnte, kann er mit seinem Liebesfilm unter Vampiren – „Only Lovers Left Alive“ – wieder begeistern. Was genau macht Jarmuschs Werke aus und was genau zieht er aus dem Vampirmythos beziehungsweise kann er dem Mythos abgewinnen? All dies und mehr behandeln wir in unserem neuen Dialog.

YP: „Only Lovers Left Alive“ steht so diametral zu „True Blood“ und „Twilight“, dass die Darstellung unterschiedlicher nicht sein kann. Lebens-Melancholie statt Glamour und Hetze. Jarmuschs Film zeigt Vampirdasein, wie ich es mir vorstelle. „True Blood“ unternimmt zwar den Versuch, Vampire zu sozialisieren, scheitert aber auf ganzer Ebene und macht Monstren aus ihnen. Und „Twilight“ ist süßer Kitsch.

PD: Jarmusch beginnt ja zwar mit den gotischen und blutroten Schriftzeichen, wie sie auch aus einem Hammer-Film stammen könnten, aber mir gefällt vor allem, dass es sich hier ja gar nicht um einen Vampirfilm handelt. Es ist mehr ein Film der zufällig von unsterblichen Intellektuellen bevölkert wird.

YP: Genau das meine ich. Allein die ständigen Aussagen, was die Blut-Beschaffung betrifft: „That’s not the 15th Century“ usw. Obwohl der sinnliche Akt des Bluttrinkens gänzlich weggefallen ist, ist das ein sinnlicher Film für mich. Diese Vertrautheit! Das ist einfach nur schön.

PD: Wer in den Film geht, weiß ja genau, dass es sich um einen Vampirfilm handelt, aber Jarmusch lässt sich ja auch auffällig viel Zeit, bis er das Geheimnis seiner Charaktere offenbart. Es gibt zwar Andeutungen und Hinweise (etwa wenn Adam mit Ian über die kaputte Toilette spricht), aber erst wenn Eve und Marlowe sich unterhalten, ist es klar, dass man es hier mit Vampiren zu tun hat.

YP: Aber das ist auch so nebensächlich, die Vampir-Tatsache. Vielmehr geht es um Ewiglebende und Junggebliebene. Der Film strotzt ja von witzigen Szenen und Anekdoten. Wenn Eve zum Beispiel das Hochzeitsfoto mit Adam in der Hand hält und anmerkt, wie jung sie nicht bei ihrer dritten Hochzeit ausgesehen hätten. Sowas ist dann herrlich. Und ein typischer Genre-Film ist das sowieso nicht, für mich geht es da ausschließlich um Unsterblichkeit. Eine Parabel auf das ewige Leben ist das und nachvollziehbar auch noch.

PD: Darin liegt die ganze Stärke. Zwar hat man Spaß daran, ständig sich selbst daran zu erinnern, dass sie Vampire sind – und Jarmusch lässt ja auch immer wieder auf der Meta-Ebene diese Hinweise bzw. Erinnerungen für den Zuseher fallen – aber genau genommen ist es ein Film über die Vergänglichkeit der Dinge. Tom Hiddleston und Tilda Swinton passen da so perfekt in dieses Konzept. Adam ist kaum in der Lage, die Gedankenlosigkeit der „Zombies“ zu ertragen, während Eve sich mit dem zeitlosen Dasein arrangiert hat.
Alleine der Koffer, den sie mit Büchern vollstopft, ist eine einzige Erinnerung daran, wie viele wunderschöne Geschichten es zu entdecken gibt.

YP: Einerseits haben wir es mit einem sehr atypischen Vampir-Film zu tun, andererseits mit einer wunderschönen Liebesgeschichte, wie man sie im Kino nicht oft sieht.

PD: Ich musste da an „The Fountain“ denken. Bei Aronofsky sollte es um eine Liebe über die Jahrhunderte gehen, was nicht ganz funktioniert hat. Bei „Only Lovers Left Alive“ funktioniert dies mit einem kurzen Video-Telefonat und wir sind davon überzeugt, dass die beiden zusammen gehören.

YP: Welcher Gedanke mir auch immer wieder gekommen ist: Adam und Eve sind wohl seit Jahrhunderten zusammen und arrangieren sich, auch die Fernbeziehung scheint kein Problem für die beiden zu sein. Obwohl sie doch so unterschiedliche Wesenszüge haben. Und die Kurzlebigkeit des menschlichen Lebens macht aus Menschen bösartige Geschöpfe. Man müsste doch annehmen, gerade wenn man sich eine Ewigkeit kennt, ist man sich irgendwann überdrüssig. Aber Menschen neigen eher dazu, das so zu handhaben und oft handelt es sich dabei um Zeitspannen von Jahrzehnten und nicht um Jahrhunderte.

PD: Ein sehr romantischer Gedanke, der aber durch die Ankunft von Eves Schwester Ava (Mia Wasikowska) und durch Adams gutmütigen Assistenten Ian (Anton Yelchin) ja widerlegt wird.
Da ist Ava (die mich ein wenig an Kirsten Dunst in „Interview with the Vampire“ erinnerte) die impulsive und ihre Handlungen nicht kontrollierende Boshafte, während der Mensch Ian ein „guter Kerl“ zu sein scheint.
Ava war auch dann jener Punkt, an dem der Film ein wenig zu sehr ins Formelhafte und Genretypische kippte.

YP: Ja, aber das ist dann jugendliche Torheit bei Ava. Wie in „True Blood“, die frisch gebissenen und verwandelten Vampire, die ihre Kräfte oder ihre Triebe noch nicht so im Griff haben. So wirkte Ava auf mich.

PD: Allerdings wird auch davon gesprochen, dass Ava vor etwa 80 Jahren irgendeine Dummheit begangen hat. Das scheint mir doch ein wenig zu lange her, um dann noch von jugendlicher Torheit zu sprechen. Sie dürfte im Gegensatz zu Adam und Eve einfach ein boshafterer Charakter sein.

YP: Adams Figur war auch irgendwie so unnahbar. Ich schätze, Tom Hiddleston hat den Künstlertypen, den Musiker perfekt verkörpert. Ich hab nicht einmal an Loki denken müssen bei seiner Performance. Seine Figur ist eindeutig eine Hommage an Gary Oldman in „Bram Stoker’s Dracula“, zudem ist da noch ein bisschen Kurt Cobain dabei und die moderne Variante: Jared Leto.

PD: Interessant, dass du Jared Leto erwähnst, denn ich war mit meiner Freundin im Kino und sie musste die ganze Zeit an Leto denken. Sie hätte auch kein Problem damit gehabt, hätte er die Rolle gespielt, so sehr erinnerte Hiddleston an ihn.
Als Adam kurz ein Geigensolo zum Besten gab, musste ich auch an den „Teufelsgeiger“-Film denken und dachte mir nur, wie gut Hiddleston dafür passen würde.
Adam ist wirklich sehr stark als leidender Künstler angelegt, der zwar Kunst erschafft, aber das Lob dafür nicht hören will bzw. sich dagegen sträubt, denn eine Reaktion auf seine Arbeit möchte er ja sehr wohl. John Hurt als Marlowe oder Kyd wieder, war eher der eitle Künstler, der am Erfolg hing. So nahm ich ihn zumindest wahr und zudem sieht niemand besser verlottert aus, denn John Hurt.

YP: Nein, Jared Leto wollte ich nicht in dieser Rolle sehen, da ich kein Fan von ihm bin. Und Hiddleston ist ein wunderbarer Schauspieler. Leto hätte da überhaupt nicht gepasst, er ist – wie soll ich sagen – bestimmt nicht Kamerascheu. Es hat jemanden gebraucht, der durch sein Äußeres das Musikerimage romantisch darstellt, das macht Tom Hiddleston überzeugend. „Der Teufelsgeiger“ ist mir bei dieser Szene nicht in den Sinn gekommen, ich habe den Film wohl verdrängt. Eine der schlimmsten Kinoerfahrungen 2013.

PD: Leto kann ich mir schon ganz gut darin vorstellen, aber Hiddleston hat schon perfekt gepasst. Er zeigt diesen Schwermut und diese leidende Aura. Tilda Swinton hat mich derweil wieder an ihre Rolle in „Orlando“ erinnert.
Beim „Teufelsgeiger“ war auch eher Paganini generell gemeint … den Film habe ich ja (wohl zum Glück) gar nicht gesehen.

YP: Tilda Swinton ist eine Grande Dame und steht über den Dingen. Auch als Eve war sie das für mich. Alleine die Leichtigkeit, die sie als Eve an den Tag legt. Wie sie mit ihrem suizidgefährdeten Ehemann spricht. Mit ihrer Schwester. Oder mit Marlowe. Eine großartige Figur.

PD: Sie wirkte wie eine Elfe. Dass sie gar ein nach Blut dürstender Vampir sein könnte, kam mir kaum in den Sinn. Dagegen waren die menschlichen Charaktere entweder naiv-tapsig (Ian) oder auf eine unangenehm-lustige Weise hinterlistig (Jeffrey Wright als Dr. Watson).
Wirklich schön fand ich, wie Jarmusch und Kameramann Yorick Le Saux den Schauplatz Detroit einfingen. Eine völlig leere Stadt, scheinbar ausgestorben und schon fast an einen Kriegsschauplatz erinnernd. Wie Adam und Eve da mit dem Auto in der Nacht hindurch fahren und Eve daran erinnert, dass auch diese Stadt wieder auferstehen wird … das war nicht nur wunderschön, sondern an unwahrscheinlicher Stelle optimistisch.

YP: Mit dem ewigen Grundsatz: Wo es Wasser gibt, gibt es auch Menschen. Und das ist ja ein ander Mal auch noch ein Thema im Film. Das waren wirklich schöne Bilder.
Was mir gerade auch noch einfällt: Eve hat es ja mit Adam und Marlowe mit Künstlern zu tun. Der eine musiziert und der andere schreibt. Sie verkörpert eine Frau, die das Leben aufsaugt. Die Bücher, die Menschen, die Geschichten – wie du das oben schon mal erwähnt hast. Eben noch einmal die Leichtigkeit, mit der sie ihr ewiges Leben sieht und nimmt. Sowohl Adam als auch Marlowe umgibt eine Schwermut. Eve nicht. Geht es darum, dass Kunst aus Schmerz entsteht? Eve ist dann eher eine Lebenskünstlerin.

PD: Interessanter Punkt. Eve scheint ja wirklich mehr Freude am Leben zu haben und da passt sie auch nach Tanger, mehr denn Adam, der dort ein wenig deplatziert wirkt.
Es schien mir aber nicht so, als ob Marlowe schwermütig gewesen wäre. Der wirkte eher wie ein äußerst lebhafter und das Dasein bejahender Charakter, nur dass er auch schon sehr alt ist und am Ende seiner Kräfte. Marlowe schien ja mit seinen Arbeiten eher im Reinen zu sein. Er schenkte seine Werke der Welt auch nicht völlig anonym, während Adam seine Werke anderen Künstlern entweder aufdrängte (der Dialog zu Schubert etwa) oder in aller Heimlichkeit in die Underground-Szene bringt.

YP: Obwohl: Erinnere dich nur an die eine Hamlet-Erwähnung von Marlowe. So ganz zufrieden scheint er ja doch nicht zu sein.

PD: Na ja, in so einem langen Leben wirst du ohne einige Enttäuschungen auch nicht sein können.
Zudem schien es mir ja eher, als hätte er seinen „Hamlet“ noch besser schreiben können, hätte er Adam da schon gekannt.

YP: Ist das für dich ein typischer Jarmusch-Film?

PD: Ein sehr typischer, aber auch überraschend zugänglicher und humorvoller. Ich habe mir kürzlich wieder seinen Western „Dead Man“ angesehen und war überrascht, wie viel absurder Humor sich bei Jarmusch auch da wieder findet. So hätte es mich gar nicht so überraschen dürfen, dass auch bei seinen Vampiren Humor zu finden ist. Außerdem bewegt sich Jarmusch in Territorien, die er kennt. Die Underground-Clubs, der Soundtrack, die Charaktere. Es ist nicht unglaublich neu, für seine Verhältnisse und nach der starken 1. Hälfte baut der Film auch ein wenig ab (ich mochte Ava einfach nicht) aber es ist eben ein starker Film von ihm. Bei weitem nicht so verkopft und zerfahren wie etwa „The Limits of Control“.

YP: Ich mache es mir leicht, darum habe ich dich diese Frage beantworten lassen. Ich habe nicht alle Filme von ihm gesehen, aber ich habe mir schon gedacht: Made by Jarmusch. Die Handschrift ist eindeutig auszumachen. Und ja, dieser Humor wieder. Der sanft eingestreute und ein wenig absurde.

PD: Es gibt nur wenige Jarmusch-Filme, die ich ganz und gar nicht aushalte. Etwa „Mystery Train“, den habe ich gar nicht zu Ende sehen können, oder seine Neil-Young-Doku „Year of the Horse“.

YP: Der Score bzw. Soundtrack ist fantastisch! Grandios.

PD: Ja, der Soundtrack ist spitze und zum Teil ja von seiner eigenen Band geschrieben. Da drängt sich dann natürlich der Gedanke, es handle sich bei Adam um ein Jarmusch-Alter-Ego richtig auf.

YP: Einmal im Film ist mir der Gedanke auch gekommen, habe ihn dann jedoch nicht weiter verfolgt. Jetzt fällt mir nicht ein, bei welcher Szene, aber von autobiografischen Metaphern dürfen wir doch wohl ausgehen.
Ich möchte noch anmerken, ich halte „Only Lovers Left Alive“ für einen zeitlosen Film. In 20 Jahren wird er mir auch noch gefallen.

PD: Ich glaube, der wird in einigen Jahren eine breite Anhängerschaft haben. Das ist ein Film, den man im Laufe der Zeit entdeckt.
Genau genommen ist es ja eine Gemeinheit wenn ein solch guter Film, so spät im Jahr gebracht wird. Nun ist meine Top 10 aus der Vorwoche völlig im Eimer.

YP: Guter Einwand. Ich habe mir gedacht, dass ich einfach „Captain Phillips“ raus werfe. Dann würde ich wahrscheinlich die Titel ein wenig hin und her schieben, aber zumindest wäre „Only Lovers Left Alive“ bei mir in den Top 10 der besten Filme 2013.

PD: Lustig, dass bei dir auch „Captain Phillips“ hinaus fliegen würde, denn „Rush“ mag zwar nicht ganz so gut wie der Greengrass-Thriller, sein aber der ist mir einfach zu sympathisch, um ihn aus den Top 10 fliegen zu lassen. Zudem ist so eine Top 10-Liste ja nicht in Stein gehauen, eher ein Anreiz zur Diskussion und zur Reflexion.

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