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~ Dialoge über aktuelle und weniger aktuelle Kinofilme

Film Im Dialog

Monatsarchiv: April 2014

Nick-Hornby-Verfilmungen

25 Freitag Apr 2014

Posted by filmimdialog in Filmdialoge

≈ 3 Kommentare

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A Long Way Down, Aaron Paul, About a Boy, American Pie, Colin Firth, Fever Pitch, High Fidelity, Hugh Grant, Imogen Poots, Nicholas Hoult, Nick Hornby, Pierce Brosnan, Stephen Frears, Toni Collette

„A Long Way Down“ ist nach „Fever Pitch“ (1997 und 2005), „High Fidelity“ (2000) und „About a Boy“ (2002) nun die vierte filmische Adaption eines Nick-Hornby-Romans. Und wo Nick Hornby draufsteht, erwartet man sich unter anderem eine bitterböse Komödie mit tragischen Elementen oder eine bitterböse Tragödie mit komischen Elementen. Folgend wollen wir erläutern, welcher dieser Filme den Vorlagen gerecht wird oder nicht.

PD: Was hast du zuerst entdeckt? Nick-Hornby-Romane oder Nick-Hornby-Adaptionen?

YP: Das muss ziemlich zeitgleich passiert sein. Insofern zeitgleich, als ich es gar nicht einordnen kann. Kann aber sein, dass ich Anfang 2000 „High Fidelity“ gesehen habe, dann gelesen. Dann kam „About A Boy“. Und damals habe ich auch „Fever Pitch“ gelesen und „How to be good“, noch ein Lesebuch („Mein Leben als Leser“). Das war eine kurze Phase.

PD: Bei mir war es zunächst die von Stephen Frears inszenierte Adaption von „High Fidelity“ die mich auf Hornby aufmerksam machte. Durch den Film bin ich zum Roman „Fever Pitch“ gekommen, der mich als Fußball-Fan natürlich sofort gefesselt hat. Danach kam der Film mit Colin Firth und so weiter.

YP: Wie viele Nick Hornby-Bücher hast du gelesen?

PD: Gelesen habe ich „Fever Pitch“ mehrmals, aber von seinen anderen Büchern sind mir bislang nur „High Fidelity“ und „31 Songs“ untergekommen.

YP: Es ist spurlos an mir vorbeigegangen, dass Hornby das Drehbuch zu „An Education“ geschrieben hat.

PD: Das ist mir sehr bewusst gewesen und war ehrlich gesagt der Grund, weshalb ich überhaupt ein Interesse an diesem Film entwickelte.
Wirklich in meinem Unterbewusstsein festgesetzt hat sich der Name Hornby allerdings erst mit dem Film „About a Boy“. Dabei ist es noch nicht einmal die beste der Adaptionen.

YP: „About a Boy“ hat aber so einen unglaublichen Charme, den der Film seinen beiden Hauptdarstellern Hugh Grant und Nicholas Hoult zu verdanken hat. Vor allem Grant schafft den Spagat zwischen komischer und irgendwie doch tragischer Figur – der einsame End-Dreißiger ohne Ziel vor Augen, dessen geregelter Tagesablauf aus Fernsehen besteht.

PD: Das ist aber auch der zentrale Charakter, wie wir ihn in „Fever Pitch“, „High Fidelity“ und „About a Boy“ kennen lernen. Hornby hat hier den Typ Mann nachempfunden, der es noch nicht geschafft hat, erwachsen zu sein. Rob (John Cusack) ist in „High Fidelity“ doch auch auf seine Weise ohne jede Zukunftsperspektive und Paul (Colin Firth) lebt in „Fever Pitch“ nur nach Saisonplänen. Große Kinder, wie wir sie später in Judd Apatow-Filmen zu sehen bekommen.

YP: Die neue Adaption „A Long Way Down“ bleibt allerdings hinter meinen Erwartungen zurück. Für mich funktioniert dieses Figur-Gefüge nicht. Außerdem mangelt es dem Film an Humor. Ein Problem für mich: Wenn die Figuren über etwas lachen, worüber ich nicht lachen kann. Oder nur lachen, um zu lachen obwohl nichts lustig war.

PD: Was mich zunächst daran interessierte war, dass mit „A Long Way Down“, oberflächlich betrachtet, das typische Gefüge der Hornby-Geschichten durchbrochen wurde. Hier ging es nicht um das erwachsene Kind und die Frau die ihn zu einer reiferen Person werden lässt.

Da ich den Roman (noch) nicht gelesen habe, kann ich auch nicht sagen, ob es nicht auch ein Problem der Handlung ist, aber so wie Pascal Chaumeil sie inszeniert, bleibt alles sehr flach, sehr unentschlossen und auch wenig unterhaltsam. Das überträgt sich auch auf die Darsteller, die allesamt in ihrer „Komfortzone“ bleiben. Weder Pierce Brosnan, noch Toni Collette noch Aaron Paul oder Imogen Poots sind gefordert.

YP: Auch wenn sie mir gut in diesen Rollen gefallen, alle vier passen und spielen nicht schlecht, aber auch nicht um ihr Leben, eigentlich um gar nichts. Für mich ist ihre Motivation nicht nachzuvollziehen, so bleibt es mehr ein Großstadtmärchen als zugängliches Großstadtdrama.

PD: Genau darin liegt mein Problem. Sie scheinen allesamt zu wissen, dass sie in diese Charaktere hinein passen und entsprechend spielen sie es. Allesamt bleiben oberflächlich und leicht identifizierbar. So sehr, dass man am Ende des Films keinen Charakter beim Namen kennt, sondern sich nur an den oder die Darsteller erinnert.

Bei Toni Collette etwa, habe ich das Gefühl, sie schon dutzende Male in der Rolle der vom Leben gemarterten unscheinbaren Mutter gesehen zu haben, siehe: „The Sixth Sense“ oder „About a Boy“.

YP: Toni Collette und Pierce Brosnan werden aber auch nicht mehr die große Rollenauswahl vorgesetzt bekommen. Beide hatten früher bessere Jobaussichten. Allerdings, woran ich mich nicht so sehr störe, eher was mir in „A Long Way Down“ immens fehlt, ist dieser Hornby-Humor, der sich sowohl in „Fever Pitch“ als auch in „High Fidelity“ und „About a Boy“ zeigt. Nachdem ich die Vorlage nicht kenne, kann ich nicht sagen, ob es nur an der Verfilmung liegt.

PD: Ja, der Humor fehlt völlig. Anfangs lächelt man noch über die Zusammenkunft der vier Selbstmörder, aber dann ergeht sich die Handlung in vielen kleinen persönlichen Dramen, die dem ganzen Film seinen Charme nimmt.

„Fever Pitch“ wieder hat auch seine dramatischen Momente, aber der funktioniert als romantische Komödie ganz ordentlich, auch wenn der Charme des Buches kaum hinüber zu retten war.

YP: Dramatische Momente haben die anderen Filme auch, davon zu Genüge. In „High Fidelity“ haben wir den Tod von Lauras (Iben Hjejle) Vater und das Begräbnis. In „About a Boy“ den Selbstmordversuch von Fiona (Toni Collette). Wenn du an das Gespräch danach zwischen Marcus (Nicholas Hoult) und Fiona denkst, das ist zwar traurig, aber auch furchtbar witzig.

PD: Ja, in diesen beiden Filmen funktioniert die Balance aus Tragik und Humor einfach viel besser. Das mag auch an den Darstellern liegen, die auch mit mehr Einsatz agieren. Sowohl John Cusack als auch Hugh Grant schaffen es, den Zuseher mit in die Handlung hinein zu ziehen. Bei Cusack indem er sich direkt an die Zuseher richtet und bei Grant durch die Voice-Over.

YP: Hier als Beispiel die Szene, wo Fiona (Toni Collette) ins Restaurant stürmt und Will (Hugh Grant) zur Rede stellt.

PD: Das war gleichzeitig lustig und so unglaublich unangenehm. Grants Mimik ist grandios in dieser Szene.

YP: Auch wenn „High Fidelity“ der bessere Film ist, ich mag „About a Boy“ mehr. Der würde meine Nick-Hornby-Adaptionen-Liste anführen.

PD: Schwer zu entscheiden, da ich mit den Gesprächen zwischen Rob und seinen Angestellten und den ewigen Top-5-Listen einfach mehr Spaß habe. Die ganze Abgehobenheit wird auch schön getroffen, wie in dieser Szene etwa.

„Fever Pitch“ ist eine sympathische und sehr freie Adaption, die einfach aufgrund Colin Firths Darstellung viel Charme versprüht, aber im Grunde kein besonders guter Film ist.

YP: Nachdem ich den Roman kenne und schätze, fand ich die Verfilmung etwas glanzlos und sogar ein wenig langweilig.

PD: Bei „About a Boy“ hat mich überrascht, dass die Regisseure von „American Pie“ solch einen herzlichen und intelligenten Film zustande bringen konnten. Das hatte ich den Brüdern Weitz damals nicht zugetraut. Wobei ich auch „American Pie“ damals mochte, aber das war ja doch eher Schenkelklopferhumor.

YP: Teil eins von „American Pie“ hatte als Teenie-Komödie seine Reize. Bei „About a Boy“ sieht man, was mit dem richtigen Drehbuch möglich ist.

PD: Welches sie selbst geschrieben bzw. adaptiert haben. Mir gefällt etwa die Szene in der Marcus die Ente mit dem ganzen Brot „füttern“ wollte.

Das fehlt eben „A Long Way Down“ völlig. Ich könnte mir keine einzige nennenswerte Szene in Erinnerung rufen. Dabei ist da eine sympathische Besetzung am Werk.

YP: Wie gesagt, ich hatte eher das Gefühl da lachen zu müssen, wo die Figuren lachten. Das genügte mir nicht.

PD: Jetzt wo du es erwähnst. Als sie ihren Pakt auf die Rückseite des Abschiedsbriefes von Maureen (Collette) schrieben…das war ein amüsanter Moment, allerdings mehr für die Charaktere und weniger für den Zuseher.

YP: Oder die Tischszenen im Urlaub, da war nichts Lustiges dabei. Ich habe kaum was aus dem Film mitgenommen.

PD: Bei den Szenen im Urlaub musste ich kein einziges Mal lachen. Da war ich furchtbar gelangweilt und hätte mir gerne auch einen Cocktail geholt.

In „Fever Pitch“ lacht man aufgrund der auseinander klaffenden Erwartungshaltungen von Paul und seiner Freundin. Sein Anspruch, die Zeit für seinen Club frei zu halten, während sie mit ihm eine Familie gründen will und überhaupt keinen Zugang zum ganzen Themenkomplex „Fußball“ finden kann. Etwa wenn sie mit ihm in der Stehplatzkurve „gefangen“ ist.

YP: In „Fever Pitch“ ist schon die erste Einstellung witzig, wo die beiden Kinder mit dem Vater beim Essen sind. Dieser einsilbige Dialog.

PD: Die Beziehung zwischen Paul und seinem Vater hat ja auch etwas Bittersüßes. Diese Versuche von ihm, eine Beziehung zu ihm aufzubauen und am Ende gegen die Liebe zu Arsenal eingetauscht zu werden.

Sunrise: A Song of Two Humans

18 Freitag Apr 2014

Posted by filmimdialog in Filmdialoge

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1927, f.w. murnau, melodram, Stummfilm, sunrise

Wenn es nach dem 2012 durchgeführten „Sight & Sound“-Poll geht, dann ist „Sunrise: A Song of Two Humans“ von F.W. Murnau der beste Stummfilm aller Zeiten, zumindest bis zur nächsten Umfrage in acht Jahren. Dass dieser Status, dem auf der Erzählebene betont simpel gehaltenem Melodram sehr wohl gerechtfertigt ist, versuchen wir in unserem neuesten Dialog zu erläutern.

YP: Rückblenden, Split-Screens, Überblendungen, Schuss-Gegenschuss, bewegliche Kamera: Diese dramaturgischen Handgriffe klingen nicht nach einem Stummfilm aus dem Jahr 1927 …

PD: 1927 war auch das Jahr, in dem sich der Stummfilm an seinem Höhepunkt befand, nur um schließlich durch die Ankunft des Tonfilms viel zu schnell von der Bildfläche zu verschwinden. Murnau hat die Kamera von ihrer starren Position befreit, das hat er bereits in „Der letzte Mann“ (1924) getan, aber in „Sunrise“ ist es geradezu perfekt umgesetzt.

YP: Damals und von William Fox nach Hollywood geholt befand sich F. W. Murnau auch am Zenit seines Schaffens. Er hatte freie Hand, und das sieht man „Sunrise“ auch an. Es ist eine durch und durch US-amerikanische Produktion, aber der Einfluss von Murnaus Gefolgschaft aus Europa liest sich in den Credits. Und diese Detailverliebtheit, diese opuleten Settings. Der Plot – adaptiert nach dem Roman „Die Reise nach Tilsit“ von Hermann Sudermann – ist nicht sonderlich originell und viel zu melodramatisch, aber den Status, den „Sunrise“ im Kanon der Filmgeschichte hat, ist fast gänzlich der technisch-filmischen Ebene zuzuschreiben.

PD: Das ist auch mein einziges Problem mit „Sunrise“, den ich auf technischer Ebene für ebenso wichtig erachte wie etwa „Citizen Kane“. Die Handlung ist sehr einfach, wie eine Fabel, aber manche Abschnitte sind einfach zu lange ausgewalzt, ohne dass sie dem Betrachter viel über die betont simpel gehaltenen Charaktere – die ja ganz bewusst nur The Man und The Wife genannt werden – erzählen. Etwa der Ausflug in die Stadt, die Jagd nach dem Schwein. Das dauert alles ein wenig zu lange.

YP: Das fand ich allerdings nicht so fatal und hat meinen Filmgenuss nicht geschmälert. Es gibt dafür einige dramatische Höhepunkte. Schnell wird man von den Ereignissen gefesselt. Tatsächlich zieht es sich ein wenig hin, aber wir sind im Jahre 2014 einfach ein anderes Tempo gewöhnt.

PD: Der Gesamteindruck wird kaum geschmälert, aber es bleibt dennoch etwas, wo meine Gedanken ein wenig zu wandern beginnen. Bei meinem liebsten Murnau-Film, seiner Adaption von Goethes „Faust“, passiert mir das nicht.

YP: Außerdem war es beabsichtigt, die Figuren allgemein zu halten, was sich nicht nur in deren Namen äußert: The Man, The Woman, The Woman from the City.

PD: Doch es stimmt, es gibt viele dramatische Höhepunkte. Sei es die Bootsfahrt in die Stadt, in der sich das Schicksal des Ehepaares dramatisch vorentscheidet, oder auch die abschließende Begegnung zwischen dem Mann und der Verführerin. Das wird von Murnau grandios eingefangen. Sehr stimmungsvoll und voller Spannung.

YP: Die Begegnung im Sumpf ist sehr düster gehalten. Es liegt auch eine Schwarz-Weiß-Malerei vor. Die Frau ist in hellem Gewand gekleidet, die Verführerin hat ein schwarzes Seidenkleid an. Subtilität war nicht wirklich notwendig, da Murnau eine Geschichte über zwei Menschen gemacht hat, die Allgemeingültigkeit haben soll und auch hat.

PD: Die Simplizität der Charaktere und der Handlung stören mich auch gar nicht, sondern nur die Länge der Ereignisse in der Stadt. Dass sich der Mann und die Frau dort verschiedenen Genüssen hingeben oder auch Gefahren ausgesetzt sind, wird mir zwischenzeitlich einfach ein wenig zu lang ausgewalzt.

Was aber in jeder einzelnen Szene auffällt, ist der Einsatz von Toneffekten. Es ist ein Stummfilm, aber Murnau hat sehr bewusst mit Effekten daraufhin gearbeitet, dass die Stimmungen und Atmosphäre der Schauplätze auch über den Ton wahrgenommen werden können.

YP: Das stimmt, das war wirklich gut eingefügt in den Stummfilm. Das Geplaudere der Menschenmassen auf diesem Jahrmarkt und im Restaurant. Die Geräuschkulisse ging schon in Richtung Tonfilm.

PD: Wie die Kamera auch in den Szenen im ländlichen und sumpfigen Gelände dahin zu schweben scheint, ist einfach wunderschön anzusehen. In seiner Rezension zu „Sunrise“ hat Roger Ebert ein wenig näher erläutert, wie dieser Effekt entstehen konnte.

Was mich besonders freut, ist die seit ein paar Jahren neu aufgekommene Wertschätzung für Stummfilme.

YP: Es heißt auch, dass „Sunrise“ und „La passion de Jeanne d’Arc“ zu den zwei letzten wirklich großen Stummfilmen zählen. Gänzlich unterschiedlich und trotzdem gebührende Vertreter des Mediums.

PD: Das würde ich so gar nicht stehen lassen. Es sind ja auch noch danach großartige Vertreter des Stummfilms entstanden, wie Dziga Vertovs „Mann mit der Kamera“ (1929) oder die Charlie Chaplin-Filme, der sich bis zu „The Great Dictator“ strikt weigerte in den Tonfilm hinüber zu wechseln.

YP: Wenn man das auf die Kontinente verteilt. „Sunrise“ ist eine Hollywood-Studioproduktion, „La Passion“ ist europäisch und Vertov hatte dann auch ganz einen anderen Zugang. Wobei es Chaplin und Murnau bestimmt leichter hatten, solche Filme zu drehen.

PD: Ja, das auf jeden Fall. Murnau bekam sämtliche Freiheiten und wäre „Sunrise“ ein finanzieller Erfolg geworden, wer weiß wozu er noch imstande gewesen wäre. So kamen dann leider nicht mehr ganz so überzeugende Werke wie „Tabu“ (1931) hinten nach.

Was mich auch fasziniert, ist dass „Sunrise“ einen Oscar als Best Picture gewann, allerdings in der Kategorie Unique and Artistic Production. Der andere Oscar-Gewinner „Wings“ erhielt ihn für „Best Production“ und heute gilt das bombastische Weltkriegsmelodram „Wings“ als offizieller erster Oscar-Gewinner in der Kategorie Best Picture. Das wirft auch ein Licht auf das Selbstverständnis der Academy.

YP: Und wenn ich einige aktuelle Best Picture Siegerfilme mit „Sunrise“ vergleiche, ist es so selbstbezeichnend für den Weg, den die Industrie eingeschlagen hat.

PD: Auch unter dem Eindruck des finanziellen Erfolgs bzw. Misserfolgs.

YP: In dem Sight & Sound Poll von 2012 liegt „Sunrise“ VOR „Man with the Movie Camera“ und „La passion de Jeanne d’Arc“, was mich auch ein wenig überrascht.

PD: Was mich dabei mehr überraschte, war die Tatsache dass sich auf Platz 11 mit „Panzerkreuzer Potemkin“ bereits der nächste Stummfilm in dieser Wertung befand.

Unter den ersten 11 Filmen befinden sich vier Stummfilme. Das ist ein überraschend hoher Wert, zeigt aber vor allem den neuen hohen Stellenwert des Stummfilms.

YP: Genau.

PD: Es werden auch immer mehr beinahe vergessene Werke ausgegraben oder einen neuen Betrachtung unterzogen, wie etwa das 1927/1928 entstandene Stummfilm-Trio „Underworld“/“The Last Command“/The Docks of New York“ von Josef von Sternberg.

YP: Wohlgemerkt, das ist eine sehr subjektive Wertung, aber tatsächlich spielt der Stummfilm auch in meinem Filmverständnis eine sehr große Rolle.

PD: Was mir aber auch diesmal bei „Sunrise“ auffiel war, dass ich mit dem Herzen doch mehr an „Faust“ und „Nosferatu“ hänge. Das mag wohl auch damit zusammen hängen, dass ich die beiden Filme als Teenager sah und „Sunrise“ erst später im Laufe des Studiums kennen lernte.

YP: Nein, das ist mir nicht passiert. Ich entdecke einen Film jedes Mal von Neuem. Den letzten Murnau habe ich vor viel zu langer Zeit gesehen, da würde ich den Film um eine ehrliche Bewertung bringen, würde ich irgendwelche sentimentalen Erinnerungen mit hineinnehmen.

PD: Der Sentimentalität kann ich mich nicht ganz entziehen. Das schmälert auch gar nicht meinen Eindruck von „Sunrise“, aber es schleicht sich doch immer der Gedanke ein …

Noah

11 Freitag Apr 2014

Posted by filmimdialog in Filmdialoge

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Anthony Hopkins, Bibel, Darren Aronofsky, Emma Watson, Gott, Jennifer Connelly, Logan Lehrman, Noah, Russell Crowe, Schöpfer

Darren Aronofsky bedient sich in seinem neuesten Film „Noah“ eines sehr lockeren Umgangs mit dem alttestamentarischen und symbolischen Noah-Stoff. Sein Noah ist ein zerrissener Charakter, ein in seiner Entscheidungsfindung äußerst menschlicher. Im folgenden Dialog könnt ihr nachlesen, wie sich das auf den Film ausgewirkt hat.

Auch dieser Dialog beinhaltet einige Spoiler!

PD: Bibelfilme waren noch nie mein liebstes Genre und auch Darren Aronofsky konnte daran nichts ändern.

YP: Das nicht, aber er findet einen interessanten und anschaulichen Zugang. Von Anfang an schien das eher nach einer unbewältigbaren Aufgabe. Aronofsky baute mit „Noah“ seine eigene Arche und zeigt die Stolpersteine im Filmgeschäft auf.

PD: Gestolpert ist Aronofsky im Filmgeschäft schon etliche Male. Alleine die Hintergrundgeschichte zu „The Fountain“, einem Film der sehr viel mit „Noah“ teilt, ist eine einzige Odyssee.
Was er mit „Noah“ schafft, ist einige sehr gut aussehende Szenen im besten Stil von Katastrophenfilmen hinzubekommen. Viel mehr gibt es aber nicht zu bestaunen, trotz aller Ambition.

YP: Ich bewundere sowohl „The Fountain“ als auch „Noah“ für Aronofskys Ambitionen. Beide Filme haben unzugängliche Geschichten, kein lineares Storytelling, befassen sich mit universellen Themen. Wohingegen „The Wrester“ und „Black Swan“ kommerzieller angehaucht sind. Dabei natürlich kleiner in der Produktion ausfallen. Dass sich Aronofsky, nach „The Fountain“ überhaupt an einen Stoff wie „Noah“ herangetraut hat, ist mehr als erstaunlich. Umso mehr sehe ich im Endergebnis mehr als nur „einige sehr gut aussehende Szenen“. Er versucht darin, eine Bibelgeschichte einem hauptsächlich atheistischen Publikum zu zeigen. Das kaufe ich ihm ab.

PD: Seine Ambitionen spreche ich ihm auch gar nicht ab, die alleine machen aber noch keinen guten Film. So sehr ich „The Fountain“ schätzte, so simpel war ja dennoch seine grundlegende Aussage der Kraft der Liebe und des „Carpe diem“.
Dass Aronofsky sich die Bibelerzählung zum Bau der Arche und der Sintflut annimmt und diese um den Sündenfall und auch noch die Entstehung der Welt anreichert, ist natürlich interessant und bietet eben einige schöne Szenen. Etwa die Darstellung der Evolution oder den Garten Eden. Doch seine Inszenierung wechselte von klassischem Bibelepos über Fantasy-Film hin zu Sci-Fi-Abenteuer à la „Waterworld“. Das funktionierte für mich nur Stellenweise. Vor allem die Darstellung des Garten Edens hatte den Look eines verfilmten Comics. Sehr schön anzusehen.

YP: Ambition allein macht keinen guten Film daraus, das habe ich nicht gesagt. Ich war nur gefesselt und aufgeschlossen von dem, was mir präsentiert wurde. Mir war es auch egal, ob das ein Bibelepos ist – es war nie als solches angelegt. Es wurde eine Geschichte aus dem alten Testament adaptiert. Schön und gut. Aber keine moralische Grundauslegung, keine Lehrstunde, kein symbolischer Charakter, keine religiösen Metaphern.

PD: Bis auf Noah war auch keine einzige Figur ausgereift. Seine Frau (Jennifer Connelly) war immer nur besorgt, genau wie auch seine Adoptivtochter Ila (Emma Watson), sein Gegenspieler Tubal-Cain (Ray Winstone) war nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Noah war die am besten ausgearbeitete Figur und selbst da kamen große Lücken zum Vorschein. Russell Crowes Darstellung war wirklich gut, aber wie er etwa mit dem Konflikt des von Gott auferlegten Auftrags und seiner freien Willensentscheidung zu kämpfen hatte, hätte platter nicht ausfallen können.

Ob Bibelepos oder nicht, Aronofsky hat sich eine Geschichte aus dem Alten Testament (die in anderen Versionen ja schon früher existierte) heraus genommen, da ihn diese offenbar persönlich faszinierte. Weshalb soll ein Bibelfilm automatisch belehrend sein? Gerade die großen Produktionen mit Charlton Heston sind wenn überhaupt Spektakel ohne großen pädagogischen Anspruch. Da ist Aronofskys „Noah“ intelligenter, indem er seiner Adaption einige Facetten hinzufügt, aber so weit weg vom Spektakelkino alter Hollywood-Granden wie Cecil B. DeMille ist er nicht.

YP: Da stimme ich auch wieder nicht mit dir überein. Diese Hin und Her, diese Zwiespältigkeit, das war doch mehr als ersichtlich und kam oft zum Vorschein. Vor allem, weil nie klar war, woher seine Motivation – sein Antrieb – kommt. Außerdem Vorsicht beim Begriff Gott. Das ist nämlich das nächste Problem: Nicht ein einziges Mal fiel der Name Gottes. Im Film hieß es die ganze Zeit Creator. Und dieser Begriff ist nun seit weit auslegbar.

Eine Anmerkung: Aronofsky mag nun die Bibelgeschichte adaptiert haben und sehr sehr frei interpretiert haben. Aber der Creator steht in meinem Verständnis des Films nicht für den Begriff Gottes, den wir darunter verstehen.

PD: Was den Begriff des Creators angeht. Ob du nun Gott, Creator oder Spaghettimonster dazu sagst, ist ja einerlei. Es bleibt ein Wesen, welchem die Entstehung allen Lebens zugesprochen wird und welches derart erzürnt über „die Bosheit der Menschen“ ist, dass es die Welt in einer Sintflut ertränken will. Wie man dazu nun sagt, ist da doch nicht wichtig. Wie Noah seine „Befehle“ von Gott erhält, fand ich wieder sehr gut gelöst. Es ist kein brennender Dornbusch oder ein Erzengel oder eine Stimme die zu ihm spricht, sondern eine Vision. Das fand ich kreativ. Mir gefiel übrigens auch, wie Aronofsky das Geschehen auf der Erde darstellte. Auf einer Art Superkontinent, der doch sehr an Pangea angelehnt scheint.

YP: Ich bin mir nicht sicher, dass Noah Befehle vom „Schöpfer“ erhalten hat. Er war am Rande der Halluzination. Waren seine Eingebungen nur Träume, waren es Halluzinationen, oder doch freier menschlicher Wille? So wie ich das betrachtet habe, hat er gar keine Befehle entgegengenommen. Er verfolgte seine Visionen, die von den Geschichten um ihn herum genährt wurden. Geschichten, die ihm sein Vater erzählt hat. Oder sein Urgroßvater. Und Creator ist nur der Begriff, den sie verwendet haben. Auch geschickt gelöst war das, weil so Gott nicht adressiert wurde.
Auf der Szene auf der Arche, wo er seiner Familie die Geschichte der Weltentstehung erzählt. Das schaut mir nicht nach biblischer Schöpfung aus. Eher nach Evolution.

PD: Das wäre dann aber schon ein irrwitziger Zufall, dass all die Dinge passieren, genau so wie sie Noah vorhergesagt wurden. Zudem haben wir noch die versteinerten Wächter, die zwar mehr an Tolkien-Figuren erinnerten, aber dennoch gefallene Engel darstellten und die ebenso vom Schöpfer sprachen. Ich hatte auch keine Sekunde lang einen Zweifel daran, dass Aronofsky seinem Noah sehr wohl diese göttliche Eingebung gab. Erst als es darum ging, ob Ila ihre Kinder behalten darf oder nicht, kippt die Darstellung und man kann sich die Frage stellen, ob Noah ein radikaler Fundamentalist geworden ist, oder es doch einen göttlichen Befehl gibt. Im Gegensatz zum Bau der Arche, hat man aber nie eine Vision hierfür gesehen…
Die Entstehung der Welt war wie eine Vermischung von Evolution und biblischem Schöpfungsmythos. Das war auch schön gelöst.

YP: Die Steinriesen (die dann Richtung Himmel fahren) und der Samen, der spriesst, das ist so ziemlich Science-Fiction. Der Garten Eden wird auch gezeigt. Das ist halt der Rahmen für Noahs Werdegang. Ila und ihre Zwillinge, das wirkte dann mehr nach Ironie als nach Schicksal.

PD: …und eben als Fantasy- oder Science-Fiction-Film (was genau genommen ja eh jeder Bibelfilm ist) funktioniert es einfach nur bedingt. Denn abgesehen von der Rahmenhandlung, gibt es wenig, was von Interesse wäre. Das liegt eben auch in den Charakteren begründet die – bis auf Noah – schlicht langweilig sind. Gerade einmal Anthony Hopkins schafft es seinem Methusalem eine augenzwinkernde Ironie abzugewinnen. Ansonsten changieren die Darstellungen von eindimensional-gelangweilt (Ray Winstone, Jennifer Connelly) bis hin zu aufgesetzt-nervtötend (Logan Lehrman, Emma Watson).

YP: Bei mir war es eher so, dass ich länger brauchte, um in die Story einzusteigen, da es eben mit den Geschehnissen rund um Garten Eden beginnt. Aber dann war ich gefesselt.
Connelly hatte überhaupt eine sehr undankbare Rolle in „Noah“. Den ganzen Spaß hatte sowieso nur Crowe. Ich fand es schön, die beiden nach „A Beautiful Mind“ wieder in einem gemeinsamen Film zu sehen.

PD: … und Connellys zweite Zusammenarbeit mit Aronofsky nach „Requiem for a Dream“. Was ich mich frage, weshalb ist „Noah“ für dich keine Adaption?

YP: Ich kann nicht leugnen, dass „Noah“ nach einer Bibel-Geschichte kommt. Allerdings ist das so frei, ich sehe ja die Verbindungen, die du siehst, allesamt nicht. Das habe ich nicht einmal „Gott“ rausgelesen und alle anderen Phänomene schreibe ich dem Fantasy-Genre zu. Weil eine Bibel-Adaption so etwas wie „The Passion of Christ“ ist. Also eventuell christliche Propaganda-Filme. Aber ich sehe, dass – wenn man will – einige christliche Moralvorstellungen, Ideologien usw. rauszulesen sind. Aber aus agnostischen bzw. atheistischen Augen ist das nicht so.

PD: Gut, es ist kein Masochistenfest wie „Die Passion Christi“ aber es ist doch natürlich eine Adaption. Aronofsky arbeitet mit den entsprechenden Kapiteln aus dem Buch Genesis und fügt einige seiner eigenen Ideen hinzu, aber das bedeutet doch einen Stoff zu adaptieren. Wenn man will kann man aus jedem Film, viel heraus lesen. Ein Film der sich aber dezidiert einer Geschichte aus einem religiösen Text bedient, wird sich nun einmal damit auseinandersetzen müssen, was der ursprüngliche Text aussagt. Als Atheist sehe ich die gesamte Bibel als Sammlung alter Sagen, aber das heißt nicht, dass die Verfasser das auch so gesehen haben.

YP: Man findet mehr Gefallen am Film, lässt man die Bibelherkunft in der Filmanalyse weg. Nehmen wir „The Lord of the Rings“ als Vergleich her. Das lebt davon, dass es eine Adaption ist. Bei „Noah“ ist das irrelevant. Weil ein Vergleich mit dem Original – im Falle von „Noah“ – einfach die falsche Lesart ist für einen Film, der sehr sehr lose auf dem Original beruht. Eigentlich nur inspiriert davon ist.

PD: Gerade der Vergleich ist aber ein lohnenswerterer Zugang, denn „Noah“ als reinen Fantasyfilm zu sehen, denn dann sieht man auch Aronofskys freien und zum Teil kreativen Umgang mit dem Ursprungstext. Die Entstehung der Welt, die Wächter, der Garten Eden, die ökologische Katastrophe als Darstellung für die Bosheit des Menschen. Als reiner Fantasyfilm funktioniert „Noah“ eben nicht (gut genug), da alles außer dem Titelcharakter selbst uninteressant bleibt. Der Film für sich ist eine stilistisch eher unrhythmische Zusammenstellung von Katastrophenfilm im Fantasygewand, Melodram und Endzeit-Sci-Fi.

Her

04 Freitag Apr 2014

Posted by filmimdialog in Filmdialoge

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amy adams, Her, Joaquin Phoenix, Künstliche Intelligenz, Olivia Wilde, Rooney Mara, Scarlett Johansson, Spike Jonze

„Being John Malkovich“, „Adaptation“, „Where the Wild Things Are“ und nun die Sci-Fi-Romanze „Her“. Das Oeuvre von Spike Jonze, der für seine jüngste Arbeit einen Oscar für das Beste Drehbuch erhielt, ist geprägt von einem beeindruckenden Stilwillen. Doch nicht einzig sein leicht identifizierbarer Stil, sondern auch Fragen nach künstlicher Intelligenz und dem menschlichen Auseinanderdriften in einer technologisch fortgeschritteneren Gesellschaft sind die Themen unseres neuen Dialogs.

YP: Also da stand doch überall groß „Lost in Translation“ geschrieben …

PD: Findest du? Inwiefern?

YP: Die Großstadtaufnahmen. Die zwei etwas verlorenen Seelen, verschlungen vom großen Ganzen. Die Probleme in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Sofia Coppola hatte doch einen großen Einfluss auf Jonze, das sieht man dem Film an. Es stört aber nicht. Beide Filme eignen sich für ein Double Feature.

PD: Jetzt wo du es erwähnst, kann ich mir eine Doppelvorführung der beiden Filme sehr gut vorstellen. Vor allem da auch noch Scarlett Johansson als verbindendes Element mit hinein spielt. Doch an „Lost in Translation“ musste ich während des Films ganz und gar nicht denken.

Meine Gedanken verliefen eher in Richtung „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“. Zudem nimmt bei Coppola die Stadt einen sehr großen Teil der Erzählung ein, während bei Jonze diese futuristische Stadt (mit ihren asiatischen Einschüben) eher dezent im Hintergrund steht.

YP: So hintergründig fand ich die Stadt gar nicht. Um in Genretypen zu reden, ich finde „Her“ als Sci-Fi-Streifen viel gelungener als den Liebesfilm „Her“. Das futuristische Setting ist demnach sehr wichtig. Was ich dem Film gänzlich abkaufe ist dieses Davondriften. Die Menschen distanzieren sich voneinander, kommunizieren über Dritte (Theodores Brotjob als Schreiber von Liebesbriefen) oder kommunizieren mit künstlicher Intelligenz (die interaktiven Computer-Spiele, Samantha). Das schreit nach absehbarer Zukunft.

PD: Das war für mich eine der ganz großen Stärken des Films. Die Stadt, die einzelnen Orte (das Büro, die Wohnung) sowie die kleinen hinein spielenden Details (Werbescreens, das 3D-Spiel oder auch die Projektion im Fahrstuhl), machen diese Zukunftsvision greifbar, aber es wird nicht demonstrativ in den Vordergrund gestellt wie, sagen wir einmal, bei Spielberg in „Minority Report“ oder „A.I.“.

Lustigerweise gefiel mir „Her“ auch als Sci-Fi-Film besser, denn als Liebesgeschichte.

YP: Ach, so betrachtet stimmt das schon, dass die Darstellung der Zukunft hintergründig ist. Aber essentiell für die vordergründige Love Story zwischen Theodore und Samantha.

PD: Genau. Es ist unumgänglich, dass der Zuseher sich in dieser Welt verliert. Wie sollte man sonst die künstliche Intelligenz Samantha auch nur im Ansatz akzeptieren.

Ansonsten wäre Samantha auf dem Niveau von Chatrobotern wie „A.L.I.C.E.“ (http://alice.pandorabots.com/).

YP: Was dann noch hinzukommt: Ich kann mich nicht mit Theodore dentifizieren. Vielleicht fehlt mir da Samanthas Körperlichkeit, um die Geschichte glaubhaft zu finden. Einzig Amys (Amy Adams) und Catherines (Rooney Mara) Verhalten wirkt ansprechend. Dann ist da noch die Umbesetzung der Schauspielerin. Das ist mir ein Dorn im Auge, denn Samantha Morton war tatsächlich präsent und hat mit den anderen am Set kommunizieren können. Scarlett Johansson hat ihre Rolle im Tonstudio gemacht. Versteh mich nicht falsch, das macht sie fantastisch, ihre Stimme ist großartig und überhaupt sehr passend für diese Rolle, aber mir fehlt da irgendwie etwas, woran ich mich festhalten kann.

PD: Das ist allerdings eine Sache der Interpretation. Du gehst davon aus, dass Samantha Morton aufgrund ihrer Anwesenheit am Set eine fühlbarere Präsenz darstellen würde, denn es Johansson (die ja, laut Jonze, auch ein paar Szenen mit Phoenix durchspielte) ist.

Dieses Fehlen des körperlichen Kontakts fand ich spannend. Denn es ist schon zu Beginn in Theodores‘ (Phoenix) Verhalten festgelegt, dass er dies nicht unbedingt braucht, und zwar als er sich in einen Chat einloggt. Das langsam sich aufbauende Vertrauen zwischen Theodore und Samantha entsteht sehr natürlich, auch wenn mir die „Flitterwochen“-Momente in der ersten Hälfte zu lange dauerten. Erst die angedeuteten weiteren Entwicklungen im Bewusstsein von Samantha (im Kontakt mit anderen Systemen) und die Auswirkungen auf ihre Beziehung, waren für mich von größerem Interesse. Da musste ich auch immer an „A.I.“ denken.

YP: Es war kein Problem für mich, die körperlose Annäherung zwischen Theodore und Samantha zu beobachten, das habe ich so erfrischend gefunden. Das Zusammentreffen auf intellektueller statt körperlicher Ebene. Die Telefonsex/Cybersex-Szene spielt sich ohnehin im Kopf ab (und nicht auf der Leinwand).
Ich habe mich allerdings gefragt, ob und wie sich Theodore Samantha vorgestellt hat? Das hat er doch bestimmt, es ist unumgänglich. Sie ist auf der einen Seite offensichtlich das Mädchen seiner Träume und auf der anderen Seite hat er ein ernstzunehmendes Problem mit Frauen aus Fleisch und Blut (Catherine und sein von Olivia Wilde gespieltes Date). Das hat ihn ein bisschen zum Freak gemacht.

PD: Das war auch eine Frage die ich mir stellte: Inwieweit hat Theodore Probleme, sich mit Frauen (oder Menschen generell) einzulassen? Mit seiner Ex-Frau Catherine scheinen aber auch so viele glückliche Momente stattgefunden zu haben, dass es mir schwer fällt, ihn einfach als Freak abzutun. Viel mehr, fand ich das Verhalten des von Olivia Wilde gespielten Blind Dates eigenwillig. Dieses Drängen auf eine Verpflichtung, auf eine sofortige Festlegung des Beziehungsstatus bzw. der Absichten von Theodore war nicht minder eigenartig.

Zudem scheint er in seiner sozialen Abkapselung nicht alleine zu sein. Die Seitenblicke auf Passanten, die auch ständig mit ihren Betriebssystemen (den OS) in Kontakt zu stehen scheinen, deuten eher auf ein gesellschaftlich akzeptiertes Muster hin.

YP: Das ist mir auch aufgefallen, darum mein Einwand zu Beginn: Ich bin überzeugt davon, dass in einer uns noch bevorstehenden Zukunft sich die Menschen voneinander noch mehr distanzieren und vermehrt über technologische Errungenschaften kommunizieren werden.

PD: Dass sich die Menschen voneinander immer mehr distanzieren löst Jonze am Ende ja schön auf. Er zeigt keinen positiven oder negativen Abschluss (vor allem die negative Variante wäre ja sehr einfach gewesen), sondern lässt alles in der Schwebe.

YP: Die Angst vor dem Menschen zum Anfassen, Angst vor Beziehungen, die es auf eine gemeinsame Zukunft abzielen. Das ist in dieser einen Szene mit seinem Date ersichtlich. Und erschreckend.

PD: Diese soziale Neurose ist aber auch nicht großartig ungewöhnlich.

YP: Das sieht man auch bei der Szene mit Catherine, als sie sich zum Lunch treffen.

PD: Da haben wir es aber mit einem frisch geschiedenen Paar zu tun. Das kann gar nicht gütlich ablaufen, was zwar ein Klischee sein mag, aber mir erscheint es stimmig, wie sich Theodore und Catherine verhielten.

YP: Catherine hat ihm Verhaltensweisen vorgeworfen, die mich in dieser Feststellung bestärkt haben: Er war schon immer ein unzugänglicher Tüftler. Ein Romantiker. Theodore will ewig schweben, von der Seifenblase umschlossen sein. Eine Frau aus Fleisch und Blut ist ihm zu viel. Das ist mir einerseits zu sentimental, andererseits zu abgehoben.

PD: Das scheint die beiden zunächst einander näher gebracht zu haben, diese Romantik und dieses ewige auf Wolken schweben. Selbst mit Samantha ist er am Glücklichsten, wenn er in dieser Verliebtheitsphase steckt. Mit ihrer Weiterentwicklung kommt er nicht klar. So wie es wohl auch bei Catherine war … dass sich ein Mensch verändert, scheint für ihn nicht vorstellbar oder verarbeitbar zu sein.

YP: Ich wollte mich so unbedingt in den Film verlieben, vielleicht war ich zu verkrampft. Somit war es nur ein harmloser Flirt mit wunderschönen Bildern.

Mir war da zu viel rosa Schleier mit der „lens flare“ Optik.

PD: Da ging es mir anders. Ich war so fasziniert von der Vorstellung einer Zukunft, in der eine künstliche Intelligenz völlig umstandslos in unser Alltags- und Liebesleben eintritt, dass ich die Mängel der Liebesgeschichte (die mir, wie zuvor erwähnt, in der ersten Hälfte einfach etwas zu langatmig ausfiel) verdrängte.

Die Optik fügt sich schön in das Set Design und passt auch zur Kleidung der einzelnen Charaktere. Alle scheinen sich im selben Laden zu bedienen.

YP: Bis auf die Szenen mit Amy hat jede zwischenmenschliche Interaktion zwischen Theodore und den Frauen (Catherine, Date, Surrogate Body) eindeutiges Unbehagen verursacht. Besonders diese Szenen in seiner Wohnung, wo das blonde Mädchen Teil der Beziehung zwischen Theodore und Samantha sein wollte. Klarerweise konnte Samantha, die keinen Körper hat, das nicht nachvollziehen, aber da tat mir der Anblick Theodores schon weh. Diese Eindeutigkeit, dass Körper und Geiste (von mir aus Seele) Hand in Hand gehen und Sex mit dem Surrogate Body wie ein Seitensprung auf ihn wirkte.

PD: Da habe ich auch Theodore verstanden. Er hat sich von Anfang an deutlich gegen diese Idee Samanthas gestellt und konnte im Endeffekt nicht auf ihren Wunsch eingehen. Dass damit wohl auch ihre Beziehung zum Scheitern verurteilt war, ist eine andere Sache.

Das war eine Szene, wo ich sein Unbehagen am allerdeutlichsten verstand.

Abseits davon: Wie fandest du die Leistung von Scarlett Johansson? Sie gewann ja beim Filmfestival von Rom den Preis für die Beste Darstellerin und war auch für weitere Preise nominiert. Meiner Meinung nach völlig zu Recht.

YP: Bewundernswert. Auch deswegen, da sie nicht am gesamten Drehprozess beteiligt war. Es muss unheimlich schwer gewesen sein, immerhin ist sie Schauspielerin. Aber sie meistert das fantastisch und wie sie es schafft, stimmlich Erstaunen, Freude, Angst, Zweifel und die restliche emotionale Palette auszudrücken.

PD: Bei Johansson war ich fasziniert, wie schnell ich sie als eigenständigen Charakter akzeptierte und dies nur allein über ihre Stimme. Bislang waren die gefeierten Arbeiten im „Voice“-Bereich meist im Animationsfilm zu finden. Etwa Robin Williams in „Aladin“ oder Ellen DeGeneres in „Finding Nemo“. Doch da konnte man auch die animierte Reaktion, zu der Stimme betrachten. Hier musste Johansson einen Charakter ganz ohne jede Hilfe auf der Leinwand erschaffen. Imponierend.

YP: Ich finde auch, dass Joaquin Phoenix sehr gut spielt. Stark reduziert, doch stets treffend, etwas verklärt, immer romantisch.

PD: Phoenix hat mir auch gut gefallen. Seine Melancholie und dann die aus ihm heraus brechende Freude. Ich konnte aber auch nicht anders und musste sah ihn stets als eine Art „Avatar“ von Spike Jonze.

YP: Die sanfte Stimme in höherer Tonlage. Der Hipster-Look. Der Schnurrbart.

PD: Alles auf den Punkt genau.

YP: Noch eine Frage, die mich persönlich sehr beschäftigt: Kommt das Publikum umhin, sich einen Körper zur Stimme vorzustellen?

Jetzt mal abgesehen von den Dreharbeiten. Mir geht es nur um den Zugang zum Film, zur Figur.

PD: Das kommt wohl auch darauf an, wie weit man sich auf den Film einlässt bzw. wie sehr das Konzept von „Her“ überzeugt. Obwohl ich von der Idee begeistert war, stellte ich mir nie einen Körper zu der Stimme vor, da es immer wieder klar war, dass es sich um ein Computerprogramm handelt.

Viel mehr beschäftigte mich die Frage, inwieweit ein Programm mit Bewusstsein entstehen kann, wenn es auf Basis alter Werke geschrieben wird, so wie es im Film ja einmal mit Alan Watts geschieht. Was hat dieses Programm mit der realen Person gemein? Inwieweit handelt es sich um zwei voneinander unterschiedliche Identitäten?

Als Beispiel: Albert Einstein ersteht auf Basis seiner wissenschaftlichen Texte von neuem als K.I. zum Leben. Inwieweit hat diese K.I. etwas mit dem echten Einstein zu tun, inwieweit ist sie aber auch ein eigenes Wesen?

YP: Aber sie hat sich auch einen Namen ausgesucht. Und die Szenen mit dem  „Surrogate Body“. Es fehlt ihr offensichtlich etwas.

PD: Samantha schon, aber was ist mit dem „Alan Watts“-Programm, welches die anderen OS-Systeme, auf Basis der Schriften von Watts geschrieben haben? Das Programm trägt den Namen und das Wissen dieser realen Person.

YP: Das ist komplex. Für mich ist es diese Körperlosigkeit eben schwer vorstellbar, weil einen Menschen erst – haptische – Erfahrungen zum fühlenden Wesen machen. Man begreift die Welt mitunter und zum größten Teil erst durchs Berühren. Durch die Sinnesorgane.

PD: Darin lag für mich der Reiz des Films. Denn auch in Computersimulationen, tauchen wir in Welten ein, ohne wirklich in ihnen zu stecken. Es fehlt auch hier der haptische Kontakt und doch fühlt man sich (in einer richtig guten Simulation), als wäre man Teil dieser Welt.

YP: Sich auf jemanden einzulassen, der diesen selbstverständlichen Erfahrungsreichtum nicht teilt, die Idee an sich ist so verführerisch. Und herausfordernd, die eigene Rezeption betreffend. Das hat ein bisschen etwas von „The Science of Sleep“ von Michel Gondry.

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