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~ Dialoge über aktuelle und weniger aktuelle Kinofilme

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Kategorien-Archiv: Personalia

Anton Yelchin

24 Freitag Jun 2016

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≈ Ein Kommentar

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alpha dog, Anton Yelchin, burying the ex, Charlie Bartlett, Cymbeline, Like Crazy, Only Lovers Left Alive, star trek, star trek into darkness, Terminator Salvation

Die Nachricht um den Tod des 27-jährigen Schauspielers Anton Yelchin hat uns beide berührt. Immerhin ist man als Kinofan an seinen diversen Rollen sowohl in Mainstream-Filmen oder Genre-Werken nicht drumherum gekommen.

YP: Erstmals ist mir Anton Yelchin neben Justin Timberlake in „Alpha Dog“ sehr postitiv aufgefallen, das war auch der Film, wo ich mir seinen Namen gemerkt habe. Das ist mittlerweile 10 Jahre her. Und der letzte Film mit ihm war die Horror-Komödie „Burying the Ex“. Ich finde es ausgesprochen schade, dass ich keine Chance mehr habe diesen talentieren Schauspieler im Kino zu sehen.

PD: Das erste Mal fiel mir sein Name im Zusammenhang mit der Stephen-King-Verfilmung „Hearts in Atlantis“ auf, allerdings nahm ich das mehr als Star-Vehikel für Anthony Hopkins war. Seine Rolle in „Alpha Dog“ war auch für mich, wie wohl für viele Filmfreunde, der Punkt, an dem man Yelchin plötzlich auf dem Radar hatte. So wie auch Emile Hirsch, Amanda Seyfried und Ben Foster. Dieser Film war in der Karriere vieler Darsteller ein wichtiger Wendepunkt. Danach schien Anton Yelchin plötzlich überall aufzutauchen. Nicht zuletzt als Chekov in den neuen „Star Trek“-Filmen.

YP: Natürlich, in den beiden bisher erschienenen „Star Trek“-Filmen hat er seine Breitenwirksamkeit unter Beweis gestellt. Seinen Chekov hat er mit der nötigen Flapsigkeit und mit dem Humor angelegt, welche wir erwartet haben. In den letzten – vor allem – 10 Jahren hat er sowohl seinen Fleiß als auch sein Talent in seiner Rollenwahl bedient.

PD: Das hat mich sowohl sehr betrübt als auch überrascht. Die Fülle an Projekten, die Yelchin in seiner Vita stehen hat und wie wenige man davon gesehen hat. Dabei war er in etlichen Filmen herausragend, nur waren diese zum Großteil eher im Independent-Bereich angesiedelt. Als Titelcharakter in „Charlie Bartlett“ bewies er sein Potential im Spiel mit Hochkarätern wie Hope Davis und Robert Downey Jr.

Im erst kürzlich gesichteten „Like Crazy“ sieht man, wie in „Alpha Dog“, die ganze Bandbreite an Emotionen, die er mit wenigen Gesten vermitteln konnte. Doch am auffälligsten war für mich seine Wandlungsfähigkeit. Nebenrollen wie in „Only Lovers Left Alive“ oder „Experimenter“ waren die perfekte Bühne, und dennoch stellte er sich nie in den Vordergrund. In seiner Generation fällt mir da nur noch Paul Dano ein, den ich ebenso hoch schätze.

YP: In „Only Lovers Left Alive“ stellt er neben Mia Wasikowska das witzige Figuren-Pendant zu den von Tom Hiddleston und Tilda Swinton gespielten Protagonisten Adam und Eve. In Jarmuschs Film setzte das natürlich auch die Rolle mit dem gewissen Comic relief voraus. Yelchin hat auch die meisten seiner Figuren so angelegt, dass er zwar immer in Erinnerung bleibt mit seiner Performance, allerdings sich nie allzu vordergründig platziert oder gar aufdrängt. Vergleiche ich ihn mit dem gleichaltrigen Schauspielkollegen Shia LaBeouf, wo man zum Beispiel beide in zwei Episoden in „New York, I love You“ bewundern kann, dann sind das zwei so unterschiedliche Darsteller wie Tag und Nacht. Wobei sich Shia LaBeouf immer so gebärdet, als spiele er um sein Leben (was seine Rollenwahl vielleicht auch etwas einschränkt), ist Yelchin dann eher derjenige, der mit seinem bescheidenen Spiel auffällt und punktet.

PD: In dieser Hinsicht erinnerte er mich immer ein wenig an eine jüngere Version von Liev Schreiber. Womöglich auch, weil beide familiäre osteuropäische Wurzeln haben. Allerdings auch, da Schreiber ebenso in seinen Rollen versinkt und sich nie oder nur selten in den Vordergrund spielt, wie man in jüngerer Vergangenheit in „Ray Donovan“, „Spotlight“ oder „Pawn Sacrifice“ sehen kann.

Yelchin hatte auch diese Sensiblität und Zurückhaltung, um zugleich auch eindrücklich zu zeigen, dass er tatsächlich einen Charakter spielt. LaBeouf wirkte immer schon mehr wie ein Star und weniger wie ein Schauspieler. Wohl auch deshalb konnte Yelchin in missratenen Blockbustern wie „Terminator Salvation“ oder sehr gelungenen wie den neuen „Star Trek“-Filmen auftreten, und sich dennoch diesen Respekt erhalten, der seiner Arbeit entgegen gebracht wurde. Im Nachruf im Variety, wurde ihm Elijah Wood als Pendant gegenübergestellt, der seine Kindlichkeit bislang nie ganz ablegen konnte. Yelchin wirkte auch in diesen Jungenhaften Rollen bereits sehr reif.

YP: Im letzten Film mit ihm im Kino, den ich im Rahmen der Viennale gesehen habe, spielt Yelchin sogar die männliche Hauptrolle – mehr oder weniger. „Burying the Ex“ haben wir sogar letzten Oktober während des #Horrorctobers besprochen. Das Problem war allerdings, dass der Film einfach nicht gut war, da konnte auch Yelchin nicht viel dazu anrichten. Als Horror-Satire war der Film einfach nicht nach meinem Geschmack. Abgesehen von der überzogenen – fast karikaturhaften – Figurenzeichnungen, ist es ein grässliches und sexistisches Drehbuch. Für Yelchin war das eine atypische Rolle, wenn du mich fragst. So aus sich herausgehen zu müssen.

PD: Ungewöhnlich fand ich auch seine Besetzung in Michael Almereydas Version von Williams Shakespeares „Cymbeline“. Als junger Schauspieler war das aber eine kluge Rollenwahl, um sein Repertoire zu erweitern. So erscheint mir auch die Besetzung in „Burying the Ex“. Er hätte natürlich auch den Rollentyp aus „Alpha Dog“ einige Jahre weiter spielen können, aber dann wäre seine Karriere wohl auch schnell im Nirgendwo versandet. Sein steter Wechsel zwischen Genre-Arbeiten, Independent-Filmen und Blockbustern, wirkt wie das Auftreten eines alten Hollywood-Hasen. Niemals hätte ich ihn auf erst 27 Jahre geschätzt.

YP: Ich finde, deine letzten zwei Sätze bringen seine bis dato bewundernswerte Karriere auf den Punkt. Er steht ja auch seit 2000 vor der Kamera und trotz seines jungen Alters, bewies er Gespür für eine seine Rollenauswahl, da muss ich mich wiederholen. Wirklich schade, dass wir ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen.

Christian Petzold

15 Freitag Apr 2016

Posted by filmimdialog in Personalia

≈ Ein Kommentar

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Barbara, Benjamin Heisenberg, Carnival of Souls, Christian Petzold, Christoph Hochhäusler, Die innere Sicherheit, Dominik Graf, Dreileben, Jerichow, Phoenix, Valeska Grisebach, Vertigo, Yella

Seit seinem Kinodebüt „Die innere Sicherheit“ (2000) ist der deutsche Regisseur Christian Petzold nicht mehr aus der ersten Reihe des deutschen Gegenwartskinos wegzudenken. So widmet ihm das Österreichische Filmmuseum noch bis 4. Mai eine Retrospektive. Das reicht uns als Anlass, seine Filme in einem Dialog zu besprechen.

YP: „Yella“ war der erste Film von Christian Petzold, den ich im Kino gesehen habe. Das war 2007. Seitdem habe ich keinen Film versäumt und alle anderen nachgeholt. Am meisten habe ich mich mit „Barbara“ beschäftigt, dieser gehört auch zweifellos zu meinen Lieblingsfilmen (nicht nur von Petzold).

PD: Erstmals aufgefallen ist mir Christian Petzold mit „Gespenster“. Die Geschichte der Teenagerin Nina (Julia Hummer) und einer Französin, die Nina für ihre einst verschwundene Tochter hält, hat mich gleich gefesselt. Allerdings war es ein eher ungünstiger Einstieg, denn abgesehen von einigen interessanten Einstellungen, konnte mich „Gespenster“ nicht fesseln. Erst als ich „Die innere Sicherheit“ im Fernsehen sah, wurde mir bewusst, dass es sich hier um einen sehr interessanten Filmemacher handelt.

Gerade „Yella“ zeigt als inoffizielles Remake von „Carnival of Souls“, dass die Einflüsse für Petzolds Werk sich auch aus dem amerikanischen Genre-Kino speisen.

YP: Auch wenn er sich natürlich eindeutig am westlichen Kino orientiert hat, spielen seine Geschichten in östlichen Gefilden und arbeiten sich an der deutschen Geschichte ab. „Jerichow“ und „Yella“ sind in der Provinz im Osten Deutschlands angesiedelt. Aus „Barbara“ hat er ein DDR-Liebesdrama gemacht. „Phoenix“ spielt im Nachkriegsdeutschland und befasst sich mit dem Schicksal einer Holocaust-Überlebenden, die ihren Mann sucht. Die Szenarios haben  – in manchen Einstellungen so menschenleer und verlassen wie sie wirken – stets etwas Gespenstisches und Ungreifbares an sich. Das zeichnet Petzolds Kino auch irgendwie auch und gibt ihm einen hohen Wiedererkennungswert.

PD: Gespenstisch trifft es ganz gut. Natürlich vor allem in „Gespenster“, aber auch in „Die innere Sicherheit“, in der die RAF-Vergangenheit ganz ohne die Nachbildung der Attentate aufgearbeitet wird. Die Personen wirken allesamt wie Schatten, während Petzolds Hauptaugenmerk auf der Entwicklung der Tochter des auf der Flucht lebenden Paares ruht. Generell dominieren bei Petzold starke Frauencharaktere. Ob Julia Hummer in „Die innere Sicherheit“ und „Gespenster“, oder Nina Hoss, die von „Yella“ weg zu seiner bevorzugten Hauptdarstellerin wurde.

Es scheint auch, dass Petzold von Film zu Film, sich immer intensiver mit den Möglichkeiten des Genres auseinandersetzt. Filme wie „Barbara“ oder „Phoenix“ hätten sehr leicht im trivialen B-Movie-Kitsch enden können.

YP: Aber wenn ich an seine Werke denke, dann kommen die Begriffe Genrekino oder Genrefilme kaum in den Sinn. Diese Filme machen Gebrauch von den Möglichkeiten dieser Machart, aber keineswegs definieren sie sich dadurch. Wenn ich an das stilistisch perfekt inszenierte „Barbara“ denke und wie viel Liebe da im Detail liegt, aber das die verschiedenen Erzählstränge trotzdem sehr einnehmend bleiben, sodass die Optik auch in den Hintergrund tritt.

PD: Genrekino und detaillierte Erzählformen schließen sich aber doch keineswegs aus. Sein jüngster Film „Phoenix“ erscheint mir da wie ein Paradebeispiel. Es ist ein geradezu klassisch aufgebauter Krimi, vor dem Hintergrund des Holocaust, während gleichzeitig feine Beobachtungen zum Schuldbewusstsein und der Verantwortung verschiedener Personen angestellt werden. Auch sein Beitrag zum Fernseh-Dreiteiler „Dreileben“ zeigt Petzolds Interesse an diesen Genre-Formen.

Und da hat sich Petzold in den letzten Jahren enorm weiter entwickelt. „Yella“ oder „Jerichow“ konnten mich nur bedingt überzeugen, und lebten mehr von einer tollen darstellerischen Leistung oder einer guten Grundidee.

YP: „Phoenix“ lässt diese Genrestimmung durchaus zu. Teile davon erinnern mich an Thriller, Teile wieder an Krimis. Was mir an den Settings vor allem in „Barbara“ und „Phoenix“ gefiel: auf den ersten Blick sind sie unscheinbar und unterstreichen die Story, die sie zu transportieren versuchen. Auf den zweiten Blick merkt man aber, wie perfekt konzipiert sie sind, damit sie eben im Hintergrund bleiben.

Eine gewisse filmische Weiterentwicklung ist bei ihm durchaus zu beobachten. Die aktuellen Werke liegen mir – u.a. auch thematisch – einfach mehr. Vor allem „Barbara“, der fast hoffnungsfroh endet. „Gespenster“, „Yella“ und „Jerichow“ wirken auch etwas distanziert.

PD: Die Distanz, die man zu den Charakteren in „Gespenter“ oder „Yella“ spürte, war wohl auch kalkuliert. Denn sie sind ja zum Teil auch Geister, die durch zwar von Menschen bevölkerte, aber doch seltsam leere und tote Orte wandeln. Dagegen ist die Stimmung in „Barbara“ belebt. In „Yella“ war die wunderbare Nina Hoss inmitten toter Bürotürme zu sehen, in „Barbara“ fuhr sie mit dem Fahrrad durch die DDR. Alleine durch dieses Umfeld, auch wenn die Stimmung wie in einem Thriller aufgeladen war, standen einem die Figuren näher.

Wichtig ist ja auch der Einfluss, den Harun Farocki auf die Arbeiten von Petzold hatte. Mir scheint vor allem die Gestaltung der Szenerie, sehr auf Farockis Einfluss zurückzugehen. Etliche Szenen in „Gespenster“ oder „Yella“ erinnern an alte Filme oder museale Installationen Farockis.

YP: Zu Beginn seiner Filme herrscht immer eine absolute Hoffnungslosigkeit, die Figuren scheinen in ihren Umgebungen nicht nur gefangen, sondern regelrecht verloren. Das wirkt sich natürlich in der von Farocki beeinflussten und mit gestalteten Szenerie aus. Was in „Yella“ und „Gespenster“ nicht der Fall ist, passiert in „Barbara“ und „Phoenix“ auf erwartete bzw. unerwartete Weise: es gibt ein – wenn auch nicht einfaches – Entkommen aus alten, gewohnten, zerstörerischen Mustern. Wenn auch nur als Wachrütteln. Wobei im letztjährigen „Phoenix“ das Publikum auch diese Verzweiflung der Figur regelrecht spüren konnte. Vor allem, weil es über diese wichtige Vergangenheitsbewältigung der Protagonistin Nelly / Ester (Nina Hoss in einer Doppelrolle) und des Nationalsozialismus in Deutschland ging. Sein letzter Film ist eine eindeutige Anlehnung an Alfred Hitchcocks „Vertigo“. „Phoenix“ ist ein sehr wichtiger Film des jüngeren deutschen Kinos.

PD: Genau dieser Einfluss auf die aktuelle deutsche Kinolandschaft gehört abschließend noch einmal betont. Seine immer intensivere Wechsel zwischen Kino- und Fernseharbeiten, erinnern mich an Dominik Graf, mit dem er „Dreileben“ gearbeitet hat. Zudem ist sein Einfluss im Rahmen der so genannten „Berliner Schule“, auf die nachfolgende Generation rund um Valeska Grisebach, Benjamin Heisenberg oder Christoph Hochhäusler beachtenswert. Umso interessanter, dass er mit Hochhäusler, wie mit Graf, an „Dreileben“ gearbeitet hat. Seine zukünftigen Projekte und die von ihm inspirierten Werke, kann ich deshalb kaum erwarten.

Alan Rickman

22 Freitag Jan 2016

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#AHitchhikersGuidethroughtheGalaxy, #ALittleChaos, #AngLee, #DieHard, #EmmaThompson, #GalaxyQuest, #HansGruber, #harrypotter, #KateWinslet, #LoveActually, #RobinHood, #SenseAndSensibility, #severussnape, #TheWinterGuest, Alan Rickman

Scrollt man auf der imdb-Seite von Alan Rickman, kommt man nicht umhin, ein äußerst umfangreiche Kino- und TV-Schaffen zu bewundern. Die Wenigsten wissen aber, dass „Die Hard“ seine erste Kinorolle war. Der zuvor auf Theaterbrettern und in TV-Bildschirmen bekannte Darsteller fühlte sich nicht nur auf allen Bühnen wohl – brillierte zumeist auch. In diesem Dialog wollen wir uns hauptsächlich auf sein filmisches Werk beziehen.

YP: Denke ich retrospektiv an Alan Rickmans Arbeiten, fallen mir zuerst seine Bösewicht-Darstellungen in „Die Hard“ und „Robin Hood“ ein. Wobei natürlich seine Verkörperung von Harry Potters unliebsamen Lehrer Severus Snape dies schon mittlerweile überschrieben hat. Letztmals im Kino sah ich ihn in der Rolle des exaltierten Sonnenkönigs Louis XIV in „A Little Chaos“. Das Schöne an seinen Performances war doch, dass er immer für eine Überraschung gut war.

PD: Die erste Performance von Alan Rickman, die ich zu sehen bekam, war als Sheriff von Nottinham in „Robin Hood“. Als Kind war ich natürlich völlig auf den Helden fixiert, aber schon da wurde ich von dieser herrlichen Leistung Rickmans begeistert. Diese Mischung aus Weinerlichkeit, Hysterie und Bösartigkeit zeigt ja auch im Rückblick, wie gut ein Blockbuster-Bösewicht sein kann. Man vergleiche das nur mit den allzu oft langweilig-vorhersehbaren Marvel-Schurken, die irgendwie immer alle gleich wirken.

Ihn aber rein auf seine Rollen als Antagonist festzulegen, tut dem Mann aber Unrecht. Gerade da du „A Little Chaos“ erwähnst. Der hat mich zwar nicht wirklich überzeugt, aber zeigte das Talent Rickmans, mit ganz gezielter Mimik zwischen absurder Komik und Tragik hin und her wechseln zu können.

YP: Gerade seine Performance in „Robin Hood“ war auch immer mit einem Augenzwinkern angelegt ohne auch nur eine Sekunde Gefahr zu laufen, es als Karikatur darzustellen. Auch wenn Rickman gerade für seine Bösewichte besondere Bekanntheit – zumindest in der Hollywoodschen Filmwelt – erlangt hat, blieben seine Rollen stets abwechslungsreich und erinnerungswürdig. Irgendwie war er auch immer für eine Überraschung gut, ließ sich allerdings nie typecasten. Sein Colonel Brandon in Ang Lees „Sense and Sensibility“ erscheint mir aus heutiger Sicht gewagt. Immerhin war er schließlich 30 Jahre älter als Kate Winslets Marianne Dashwood. Aber Rickman spielt ihn so zurückhaltend und jugendlich, dass ich mich an dieser ungewöhnlichen Paarzusammenstellung kaum gestört habe.

PD: Das ist etwa eine Rolle, die mir weniger in Erinnerung geblieben ist. Die Jane Austen-Verfilmung habe ich aber auch schon seit Jahren nicht mehr gesichtet. Rickman wäre ja prädestiniert gewesen, für die klassische Hollywood-Bösewicht-Karriere. Als Brite mit dieser wunderbaren Stimme, schien das unausweichlich und er hat eine ganze Reihe an bösen Charakteren hingelegt, jeden einzelnen davon aber mit der nötigen Verschmitztheit gespielt.

Apropos seine Stimme. Man kann ja an „A Hitchhiker’s Guide through the Galaxy“ viel kritisieren, aber Rickmans „Marvin“ gehört auf keinen Fall dazu.

YP: Da muss ich dir Recht geben. Nach „Die Hard“ wäre es sicher ein Leichtes gewesen, einen Bösewicht nach dem anderen zu spielen (wie es zum Beispiel Gary Oldman getan hat), aber Rickman ließ sich in keine Schublade stecken. Als Marvin war er aber auch wegen seiner Stimme allzu perfekt. Und dann ist da auch noch „Galaxy Quest“, wo er auch mit einer weinerlichen Dramatik in die Rolle eines am Filmset unglücklichen Theaterschauspielers schlüpft.

Rickmans wunderbare Stimme! Das Filmpublikum, welches seine Filme im Original sehen konnte, ist seine Stimme bestimmt aufgefallen, die ist natürlich sehr distinktiv in Ausdruck und Tonlage und natürlich very british mit einem sehr hohen Wiedererkennungswert.

PD: Er war aber kurze Zeit auf diesem Karrierepfad unterwegs. Nach „Die Hard“ spielte er ja auch den Gegenspieler von Tom Selleck in „Quigley Down Under“ und schließlich den Sheriff von Nottingham in „Robin Hood“. Dass er dann mit gewichtigen Nebenrollen in „Bob Roberts“ und „Sense and Sensiblity“ einen Weg aus diesem potentiellen Typecasting hinaus fand, ist schon bemerkenswert.

Seine Darbietung in „Galaxy Quest“ gehört ohnehin zu meinen persönlichen Highlights in Rickmans Karriere. Gerade in dieser herrlichen Star Trek-Hommage/Parodie, wurde aber auch deutlich, dass es ein gut abgestimmtes Ensemble braucht, damit eine feine Nebenrolle, auch wirklich zum Tragen kommt. Ob in „Love, Actually“ im Tandem mit Emma Thompson, oder als Metatron in „Dogma“ oder auch in dem irischen Politdrama „Michael Collins“. Da profitierten talentierte Schauspieler voneinander und Rickman konnte so richtig glänzen.

YP: In seiner beeindruckenden Karriere spielte er häufig neben Emma Thompson. Seine beide Co-Darstellerinnen aus „Sense and Sensibility“ hat er schließlich in den Filmen, wo er selber im Regiestuhl saß, auch engagiert. Thompson hat er 1997 für seine erste Regiearbeit  „The Winter Guest“ verpflichtet. Kate Winslet spielt die Hauptrolle in „A Little Chaos“, seiner zweiten Regiearbeit.

Nichts liegt mir ferner als Rickman für seine Rolle als Severus Snape, Harry Potters Zaubertränke-Lehrer, reduzieren zu wollen, aber Rickman hat der Figur aus den meiner Meinung nach eher mittelmäßigen Verfilmungen von J. K. Rowlings Romanen eine neue Dimension verliehen. Nicht nur ist Snape eine der spannendsten Figuren der Romane, Rickman hat Snape so unglaublich vielschichtig und sehenswert gespielt. Als ich die Romane las, konnte ich Snape nicht leiden. Dank Rickmans Darstellung bin ich zum Fan geworden.

PD: Der Charakter wächst einem während der Filme auch sehr ans Herz. Da ich nie ein großer „Harry Potter“-Fan war, habe ich die Romane auch eher aus einer Pflichtschuldigkeit heraus gelesen, und entsprechend kann ich mich nicht mehr so recht daran erinnern, welchen Eindruck Snape da auf mich machte. Sein Schicksal passte aber sehr gut zur Darstellung Rickmans. Dieser emotionale Abschied von ihm lag doch schwer im Magen.

Für den Privatmenschen Rickman hatte ich mich nie so recht interessiert, deshalb fand ich es sehr spannend, durch die Nachrufe nun zu erfahren, dass er aus sehr einfachen Verhältnissen stammte. Vor allem seinen Blick auf das Klassensystem Englands fand ich sehr interessant.

YP: Als Halbwaise und aus ärmlichen Verhältnissen stammend konnte er dank eines Stipendiums eine renommierte Schule besuchen. Später studierte er auch als Spätberufener – und nach einigen Jahren im sicheren Brotberuf des Graphikers – Schauspiel.  Natürlich braucht es Talent womöglich in Rickmans Ausmaßen, dass aus einem Menschen ein Schauspieler von seinem Kaliber wird. Aber sein Werdegang zeigt auch, wie viel Glück es auch auf dem Weg dorthin braucht. Und dass ein System, welches sozialen Aufstieg nicht nur erschwert, sondern auch unmöglich macht, uns großartige Künstlerinnen und Künstler aller Wahrscheinlichkeit nach vorenthält.

PD: Es sagt ja schon alles, dass er in Interviews betonte, dem Stipendium für die West London Latymer Upper School alles zu verdanken. Es braucht immer auch das nötige Quäntchen Glück, damit ein Talent nicht einfach nur ein Talent bleibt, sondern auch tatsächlich davon leben kann. Was mir sehr imponierte, war seine Bodenständigkeit. Er inszenierte sich nie als Star, obwohl er mit Sicherheit die Möglichkeiten dazu gehabt hätte.

Richard Ayoade

07 Freitag Aug 2015

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Ayoade on Ayoade: A Cinematic Odyssey, Ben Stiller, Chris O'Dowd, Enemy, Garth Marenghi's Darkplace, Harold and Maude, Julian Barratt, Les Quatre Cents Coup, Submarine, The Double, The IT Crowd, The Mighty Boosh, The Watch, Wes Anderson

Er ist Stand-Up-Comedian, Schauspieler, Regisseur und Autor. Das britische Multitalent Richard Ayoade erlangte internationalen Ruhm mit seiner Rolle des Computer Nerds Maurice Moss in „The IT Crowd“ und verblüffte mit seinen Regie-Arbeiten „Submarine“ und „The Double“. Zuletzt publizierte er auch noch ein Buch mit dem vielsagenden Titel „Ayoade on Ayoade: A Cinematic Odyssey“. Doch ist er auch in all diesen Feldern gleichermaßen erfolgreich?

PD: Wann war deine erste Begegnung mit Richard Ayoade? Für mich war es sein Auftritt in der herrlichen Sitcom „The IT Crowd“ und neugierig geworden, stieß ich schließlich auf die kurzlebige satirische Horrorserie „Garth Marenghi’s Darkplace“ (gemeinsam mit seinem IT Crowd-Co-Star Matt Berry). Als Sitcom-Darsteller konnte er mich sofort überzeugen.

YP: Erstmals aufgefallen ist er mir natürlich auch in „The IT Crowd“. Das muss so um 2006 oder 2007 gewesen sein. Tatsächlich bin ich fast allen Serienbegeisterten in meinem Freundeskreis nachgelaufen mit dieser Serie, für mich erreichte sie bereits nach 2 Staffeln Kultfaktor. Niemand schien sich damals dafür zu interessieren. Bis auf eine Freundin. Die sah sich die erste Staffel an und empfahl mir daraufhin „The Mighty Boosh“, eine Comedyserie mit Noel Fielding, der in „The IT Crowd“ den großartigen Richmond spielte. Eines führte zum anderen, denn da gab es dann die zweite Begegnung mit Ayoade (der allerdings nicht so prominent vorkommt wie Fielding und Julian Barratt).

PD: „The Mighty Boosh“ kenne ich leider (noch) nicht, aber es war seine Arbeit an „Garth Marenghi’s Darkplace“, wo er ja sowohl eine wichtige Rolle einnahm aber auch Regie führte und an den Drehbüchern mitschrieb, dass mir langsam klar wurde, dass man es hier wohl nicht nur mit einem talentierten Komiker zu tun hatte. Dabei war er bei „The IT Crowd“, die mir auch so lange von Bekannten empfohlen wurde bis ich endlich nachgab, nicht einmal als der beste Darsteller in Erinnerung geblieben. Viel mehr funktionierte sein Charakter schlicht hervorragend im Zusammenspiel, mit Chris O’Dowds Roy. Der herrlich komische Cameo-Auftritt von O’Dowd in „The Double“ genoss ich dann auch aus dieser Erfahrung heraus.

YP: Am besten funktioniert für mich seine Moss-Figur eher im Zusammenspiel mit Katherine Parkinsons Jen. Da gibt es diese Widersprüchlichkeit, diese Gegensätzlichkeit. Natürlich auch mit O’Dowds Roy, aber seine Unbeholfenheit und Zaghaftigkeit bei Parkinsons vorlauter und überdrehter Jen ist einfach herrlich anzusehen. Tatsächlich habe ich mir auf deine Empfehlung hin dann „Garth Marenghi’s Darkplace“ angesehen, was mich aber eher kalt ließ und wenig begeisterte.

Und als Regisseur fiel mir Ayoade ohnehin dann mit „Submarine“ auf. Das ist doch ein exzellenter und reflektierter Debütfilm. Nicht so sehr überrascht war ich – eher erfreut darüber, wie gelungen der Film geworden ist. Das Coming-of-Age Drama hat ein gutes Tempo und ist – verglichen mit den im ähnlichen Kontext erwähnten Wes-Anderson-Filmen herrlich schwarz. Und in jeder Sekunde spüren wir Ayoades Liebe zum Geschichtenerzählen und der großen Leinwand.

PD: Katherine Parkinson hatte ihre besten Szenen vor allem mit dem sexistischen und derben Douglas Denholm (Matt Berry), aber natürlich war das Dreigespann eine Augenweide. Ansonsten hätte die Serie auch nicht funktioniert, wenn nicht die drei Charaktere sich gegenseitig hoch gepusht hätten.

Bei „Garth Marenghi’s Darkplace“ amüsiert mich immer wieder, wie hier mit den Klischees billiger Stephen King-Nachahmer (und Stephen King selbst natürlich) gearbeitet wird. Zudem zeigt Ayoade in seiner Darstellung als egomanischer Produzent-Schauspieler, eine völlig andere Seite als jene bekannte aus „The IT Crowd“. Das fand ich dann auch sehr enttäuschend, als er in seinem Hollywood-Debüt in der Ben Stiller-Komödie „The Watch“ den Großteil der Handlung nur im Hintergrund herum stehen muss.

Ben Stiller hat übrigens auch „Submarine“ mitproduziert. Diese Coming-of-Age-Geschichte erinnerte mich auch sehr an Truffauts „Les Quatre Cents Coups“ und, wohl aufgrund der vielen Feuerspiele von Jordana und des sehr einprägsamen Kleidungsstils von Oliver, auch an Hal Ashbys „Harold and Maude“. Doch auch wenn man all diese Referenzen sieht und erkennt, so bleibt der Film eigenständig. Allein Olivers Off-Erzählung, wie er versucht seinen eigenen Charakter zu definieren (indem er Pfeife raucht, oder Hüte trägt) ist zwar sehr von Wes Anderson geprägt, aber Ayoade hat einen eigenen erkennbaren visuellen Stil.

YP: Mit „The Watch“ konnte ich dann auch weniger anfangen. Dass Ben Stiller diesen Film mitproduzierte, wusste ich nicht, das ist doch ein witziges Detail. Auf jeden Fall kann Ayoades Debüt locker gegen Andersons Filme bestehen. „Submarine“ zeigt einen düsteren Achtzigerjahre-Look im einem wenig einladenden England, der natürlich nicht viel mit der warmen Siebzigerjahre-Optik in Wes Anderson Filmen zu tun hat. Und dann ist da noch dieser unzugängliche und oft eigensinnige Humor. Wobei ich natürlich nicht sagen kann, ob ich nicht einfach zu voreingenommen bin, da mir diese Art von Humor einfach zusagt. 

So auch in seinem Buch „Ayoade on Ayoade: A Cinematic Odyssey“. Allerdings hätte sich „Ayoade Versus Ayoade“ besser als Titel geeignet. Sein literarisches Werk ist nur für hartgesottene Fans, da sich Ayoade auf mehreren Metaebenen bewegt. Nach einiger Zeit wird das zwar ein bisschen anstrengend, aber dafür lesen sich diese Interviews sehr kurzweilig.

PD: Eigenwilliger Humor? Ja. Unzugänglicher fand ich dagegen „The Double“. Ayoade beschreibt in seinem nicht immer einfachen Buch sehr schön und mit bitterem Humor, dass er nach „Submarine“ auf der Suche nach einem Blockbuster war. Natürlich adaptiert man da eine Erzählung von Dostojewski.

Bei „Submarine“ stand noch mehr die Dualität der Erzählung im Vordergrund. Olivers Kampf um seine Beziehung zu Joanna und zugleich sein Kampf um die kriselnde Ehe seiner Eltern (herrliche Rollen für Noah Taylor und Sally Hawkins). Bei „The Double“ hatte ich stets den Eindruck, dass die Erschaffung einer düsteren und geradezu schmutzigen, bürokratischen Atmosphäre – ganz wie bei Terry Gilliam in „Brazil“ – wichtiger war, denn die Geschichte rund um Simon James (Jesse Eisenberg) und die Konfrontation mit James Simon (wieder: Eisenberg).

YP: Sein an Dostojevski angelehntes und visuell von Terry Gilliam und David Lynch inspiriertes „The Double“ geht aber dann auch stark in die Richtung „Enemy“ von Denis Villeneuve, dessen Werk wir hier besprochen haben. Seinen Zweitfilm hingegen fand ich aber dann anstrengender, wobei natürlich nicht weniger beeindruckend.

PD: Darin ähnelt sich „The Double“ aber auch seinem Buch. Es ist stilistisch beeindruckend, mit vielen humorvollen Sequenzen aber nicht immer leicht zu verdauen. Vor allem in literarischer Form ist mir der Meta-Humor von Ayoade oft zu viel auf einmal. Die Interview-Sitzungen zwischen Ayoade und Ayoade waren die reinste Freude, aber der Fußnoten-Wahn (und der gesamte Anhang), haben mir oft die Freude an der Lektüre genommen. Als Regisseur und Schauspieler kann ich kaum auf die neuste Arbeit von Richard Ayoade warten, aber als Buch-Autor darf er sich gerne ein wenig zurück nehmen.

Scarlett Johansson

22 Freitag Aug 2014

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Brian De Palma, Captain America The Winter Soldier, Christopher Nolan, Her, Luc Besson, Lucy, Scarlett Johansson, Under the Skin, Woody Allen

Innerhalb eines Jahres sind vier Filme mit ihr in den heimischen Kinos zu sehen gewesen. Scarlett Johansson zeigt von „Her“ über „Under the Skin“ bis hin zum aktuell laufenden „Lucy“ die Facetten ihrer Schauspielerkunst. In unserem aktuellen Dialog betrachten wir einen Star, der mehr als nur oberflächlichen Glanz zu bieten hat.

PD: „Lucy“ hat einen überraschend starken Zuschauerzuspruch. Bereits 170 Millionen Dollar weltweit wurden eingespielt.

YP: Europäisches Actionkino gibt es nach wie vor und mit Luc Besson verbindet man noch immer kleine Perlen wie „Léon“, „Nikita“ und „The Fifth Element“.

PD: „The Fifth Element“ würde ich keine kleine Perle nennen, aber ja, Besson ist der Markstein für das europäische Actionkino. Beinahe jede Produktion in Europa geht nur unter seiner Aufsicht über die Bühne. Darunter auch die Liam-Neeson-Actionfilme „Taken“ oder „Unknown“ und die „Transporter“-Reihe mit Jason Statham.

YP: Das stimmt, aber „Lucy“ ist sein eigener Kram.
So viel wie heuer war er schon lange nicht mehr in den Schlagzeilen präsent, findest du nicht?

PD: Finde ich gar nicht. In den letzten Jahren hat er sich als DER große Produzent von Mainstream-Ware in Europa profiliert und in Hintergrundberichten ist immer wieder seine Marktmacht behandelt worden. Auch jetzt berichtet man ja auch mehr von Scarlett Johansson und weniger von Luc Besson.

YP: Mir ist aufgefallen, dass er die letzten Jahre auch als Regisseur sehr geschäftig war, aber kann sein, dass Johanssons Hollywood-Image hilft, „Lucy“ zu hypen.

PD: Er ist wieder etwas aktiver, denn um die Jahrtausendwende herum. Nach „Angel-A“ schien mir, war er leer. Daher wohl auch seine Arbeit als Drehbuchautor und Produzent. So konnte er sich an vielen verschiedenen Filmen und Filmreihen abarbeiten, ohne selbst die Inszenierung verantworten zu müssen. Dass er jetzt wieder vermehrt als Regisseur arbeitet, ist ganz erfrischend, seine Filme kommen aber nicht an die Qualität von Klassikern wie „Léon“ heran.

Dass ein recht platter aber amüsanter Film wie „Lucy“ so erfolgreich und effektiv ist, hängt wohl vor allem mit dem Star-Faktor Scarlett Johanssons zusammen.

YP: Vielleicht ist auch die Zeit reifer als zuvor für weibliche Action-Stars.

PD: Daran musste ich ständig denken. Johansson verkörpert eine gänzlich andere Art von Actionheldin, denn etwa Bridget Fonda, Angelina Jolie oder Gina Carano zuvor.

YP: Johansson ist aber auch nicht gerade für RomComs bekannt.

PD: Die Auftritte in den Marvel-Filmen haben sicher ihrer Glaubwürdigkeit in Sachen Action geholfen, aber ich würde sie dennoch nicht als klassische Action-Darstellerin beschreiben.

YP: Ganz und gar nicht, ich bin aber froh, dass sie sich an die Marvel-Sachen und auch „Lucy“ herantraut. Johansson war niemals festgefahren in ihrer Rollenwahl, doch diesmal geht der Schuss nach vorne. Insbesondere die Filme, die sie 2014 herausbrachte. „The Winter Soldier“, „Her“, „Under the Skin“ und nun „Lucy“. Sie beweist Mut zur Abwechslung und es zahlt sich aus.

PD: Es sind auch Rollen, die sie in jeglicher Facette als Schauspielerin und „Star“ fordern. Schließlich stellen diese Rollen allesamt unterschiedliche Anforderungen an sie.

Im Arthouse-Sektor musste sie zunächst in „Her“ rein durch ihre Stimme einen lebendigen Charakter erschaffen und in „Under the Skin“ funktioniert ihr Schauspiel alleine durch Andeutungen, Gesten und eine sparsame Mimik.

Die beiden Blockbuster sind hingegen Beispiele dafür, wie sie sich langsam den Status erarbeitet, einen Mainstream-Film auch alleine tragen zu können. Als einst „The Island“ floppte, wurde das ihrem fehlenden Star-Status zugeschrieben. Mittlerweile wirkt sie sicherer und souveräner.

YP: Allerdings hat sie auch sehr sehr viel gearbeitet. Bedenkt man, dass sie noch keine 30 ist, kann sie auf eine lange Filmliste zurückblicken. Klar, sie hat schon als Kind gedreht, aber eine Pause gab es für sie keine. Und an Rollenangeboten hat es auch nicht gemangelt. Mir schien, als hätte sie (so ziemlich) jedes Angebot angenommen. Jetzt wirkt sie selektiver. Und der Starstatus gebührt ihr.

Davor blieben höchstens „Lost in Translation“ und „Vicky Christina Barcelona“ hängen.

PD: Hängen geblieben wäre bei mir noch mehr. „Match Point“ oder „Ghost World“.

YP: Von mir aus, aber es bleibt nicht mehr als eine Handvoll guter Filme. Jetzt hat sie mit „Her“ und „Under the Skin“ zwei erinnerungswürdige Performances in einem Jahr.

PD: Das vergisst man bei ihr sehr leicht, dass sie noch so jung ist. Dadurch, dass sie in so vielen Filmen mitgespielt hat, erscheint sie bereits wie eine Altgediente.

Bei so einer jungen Schauspielerin stellt sich auch die Frage, ob man an ihrer Stelle, die Angebote von Woody Allen, Christopher Nolan oder Brian De Palma einfach so ausgeschlagen hätte.

YP: Dank ihr taugt „The Winter Soldier“ wenigstens ein bisschen was.

PD: Die erinnerungswürdigen Performances hatte sie auch zuvor schon. Die Fülle an verschiedenen Filmen – die dann nicht immer gelungen waren – hat ihre bisherige gute Arbeit ein wenig überschattet. Umso erfreuter war ich, sie in so toller Form in „Her“ oder dem fantastischen „Under the Skin“ zu sehen.

YP: Für mich ist Johansson im Cast ein Grund, ins Kino zu pilgern. Und das vielleicht seit „Match Point“.

PD: Bei „Lucy“ auf jeden Fall. Der Name Besson in Verbindung mit der Handlung, hätte mich nicht ins Kino gezogen. Ansonsten würde ich nicht so weit gehen. Sie war doch meist Teil eines starken Ensembles („The Black Dahlia“, „The Other Boleyn Girl“, usw.).

YP: „We Bought a zoo“, „The Nanny Diaries“, „Scoop“, „He’s Just Not That Into You“ usw. Allesamt weit von gut entfernt.

PD: Ersteren habe ich noch nicht gesehen, aber bei den restlichen würde sich wohl niemand darüber ärgern, würde man sie vergessen.

Ich halte sie für eine richtig gute Schauspielerin, aber sie neigte zumindest in der Vergangenheit oft dazu, ihre Rollen ein wenig eindimensional anzulegen.

Alleine in den vier Filmen, die dieses Jahr mit ihr zu sehen waren, sieht man, wie sich ihre schauspielerische Bandbreite langsam erweitert hat. Sie kann, so scheint mir, nun auch in ein und demselben Charakter all ihre Qualitäten einfließen lassen. Zuvor war sie entweder nur die süße Naive („The Nanny Diaries“) oder die Femme Fatale („The Spirit“).

Ausnahmen wie „Match Point“ und „Lost in Translation“ zeigen, wie viel Potential in ihr steckt.

YP: Ich mag sie als Schauspielerin auch sehr gerne und bin gespannt, was sie noch aus ihrer Karriere macht. Aber experimentierfreudig war sie schon immer, erinnere dich an ihr Tom-Waits-Album …

PD: Das Album war eine interessante Angelegenheit, auch wenn ich sie nicht für eine gute Sängerin halte. Sie versucht sich aber eben in anderen Bereichen aus. Deshalb bin ich auch schon gespannt, wie ihr Regiedebüt „Summer Crossing“ (nach einem Roman von Truman Capote) wird.

YP: Vor allem würde ich mir mehr Action-Filme mit ihr als Leading Lady wünschen.

PD: Das muss nicht unbedingt sein. Sie darf gerne weiterhin zwischen Action-Ware und Arthouse-Kino hin und her pendeln. Mir wäre es sehr recht, wenn es generell mehr Actionheldinnen gäbe. So wartet eine Gina Carano heute noch auf passable Rollen, nach ihrem tollen Auftritt in „Haywire“.

YP: Sie stellt beispielsweise in „The Winter Soldier“ den blassen Chris Evans locker in den Schatten. Und auch im starbesetzten „Avengers“ nimmt sie den Raum ein, den sie braucht.

PD: Evans würde ich gar nicht als blass bezeichnen. Der Charakter des Captain America ist einfach der etwas uninteressantere. Vor allem, im Vergleich zu den anderen Avengers.

Richard Linklater

14 Samstag Jun 2014

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A Scanner Darkly, before midnight, Before Sunrise, Before Sunset, Ben Affleck, Bernie, Boyhood, Dazed and Confused, Ethan Hawke, Fast Food Nation, Keanu Reeves, matthew mcconaughey, Me & Orson Welles, Richard Linklater, Slacker, Tape, The Newton Boys, uma thurman, Waking Life

Der texanische Regisseur Richard Linklater hat dermaßen viele sehenswerte Filme gedreht, dass wir wahrscheinlich Bände mit Dialogen damit füllen könnten. Machen wir aber nicht, hier nur ein kurzer Streifzug durch sein beachtliches Werk.

PD: Was ist dein Lieblingsfilm von Richard Linklater?

YP: Gute Frage! Mit einer schnellen Antwort: eindeutig „Boyhood“. Bei dir?

PD: So sehr mir „Boyhood“ gefällt, aber da gefallen mir sowohl „Before Sunset“ als auch „Before Midnight“ ein klein wenig besser.

YP: Was ich schon sagen muss, die letzten 4 oder 5 Filme hat er es doch tatsächlich geschafft, sich qualitativ zu steigern. Von „A Scanner Darky“, über „Me and Orson Welles“, über „Before Midnight“, über „Bernie“ bis hin jetzt zu „Boyhood“. Es ist beeindruckend, was er in so kurzer Zeit auf die Beine stellt.

PD: Er hat sehr viele qualitativ hochwertige Filme in kurzer Zeit geschaffen und dabei auch noch in dem Zeitraum, in dem die von dir genannten Werke entstanden, an seinem großartigen „Boyhood“ gearbeitet. Das zeigt schon die Klasse Linklaters. Dennoch ist es doch ein wenig eine Achterbahnfahrt. Qualitativ gesehen.

„A Scanner Darkly“ (mit dem er ja an seinem experimentellsten Film, „Waking Life“, anknüpft) ist stärker als der löbliche aber zerfahrene „Fast Food Nation“ oder das süße aber doch etwas leichtgewichtige „Me & Orson Welles“.

YP: Was für „Boyhood“ und die „Before“-Reihe spricht, ist die Zeit. Er hat sich Zeit gelassen. Davon leben alle 4 Filme.

PD: Man merkt diesen Filmen auch die Reife an. Bei „Boyhood“ kann man die Einflüsse aus seinem gesamten Schaffen erkennen, während in der „Before“-Reihe nicht nur die Inszenierung ausgereifter wirkt, sondern auch die Charaktere und die Erzählung selbst. Kein Vergleich zu dem herrlich naivem „Before Sunrise“.

YP: Also nicht die Produktionszeit, sondern die Zeit dazwischen. In der schnelllebigen Industrie ist das fast ein Oxymoron. Da traut sich einer was. Das ist ganz was Besonderes.

PD: Seine besten Filme leben von der Zeit, die er sich nimmt. Auch wenn „A Scanner Darkly“ und „Fast Food Nation“ gemeinsam bei den Filmfestspielen von Cannes präsentiert wurden, so ließ er sich für die Nachbearbeitung von „A Scanner Darkly“ über ein Jahr Zeit. Dies sieht man der großartigen Adaption von Philip K. Dicks Roman auch an.

YP: Was Linklaters Filme außerdem noch auszeichnet: die Protagonisten weigern sich, erwachsen zu werden. Besonders die männlichen. Egal, ob Jesse aus der „Before“-Reihe, Mason aus „Boyhood“, oder die Teenager aus „Slacker“ und „Dazed and Confused“.

Und der Stellenwert, den er der Musik bzw. dem Soundtrack einräumt. Auch besonders in „Dazed and Confused“, „School of Rock“ und wieder „Boyhood“.

PD: So hatte ich das gar nicht betrachtet. Da ist schon etwas dran.

Es gibt aber auch Filme in seiner Werkliste, in denen die Männer sich mit Haut und Haaren einem anderen Lebensstil verschreiben. Die Bankräuber in „The Newton Boys“ inszeniert er als Männer der Tat, die wissen, dass ihnen das Leben nur diese eine Chance gibt und sie nehmen sie sich. Jack Black in „School of Rock“ mag zwar nicht ein Mann mit Verantwortungsbewusstsein sein, aber er bleibt auch an seinem Traumbild hängen, der Karriere als Musiker.

YP: Natürlich, nicht nur!

PD: Wichtig sind bei Linklater auch die etwas aus dem Rahmen fallenden Typen. So wie sie zuhauf in „Slacker“ auftauchen, oder auch in „Waking Life“, „A Scanner Darkly“ oder selbst in „Boyhood“ (der mit sich selbst sprechende Mann im Diner).

YP: Da steckt eben so viel drinnen. Wobei Celine aus den „Before“-Filmen eindeutig mein Lieblings-Linklater-Charakter ist. Und ich rechne ihm hoch an, dass er immer wieder tolle Frauenfiguren schreibt. Auch Violetta aus „Boyhood“. Das sind starke Frauen, die nicht durch die Mutterrolle definiert werden. Die Figuren sind nachvollziehbar und nicht einfach Einheitsbrei.

PD: Es stehen zwar die männlichen Figuren immer ein wenig im Vordergrund, wohl auch weil mit Ethan Hawke ein loyaler Mitspieler beinahe immer dabei ist, aber mir gefallen auch viele der von ihm kreierten weiblichen Charaktere. Etwa die von Uma Thurman gespielte Amy in „Tape“.

Der Film scheint sich um die Rivalität der beiden Männer (Hawke und Robert Sean Leonard) zu drehen, selbst als Amy auftaucht. Doch im Endeffekt sieht man, dass das Geschehen in ihren Händen lag. Diese Rolle der Kontrolle im Hintergrund hat er immer wieder eingebaut.

YP: Weil eben viele Aspekte in seinen Filmen autobiographisch gehandhabt werden. Wenn du dir „Boyhood“ anschaust und wie Linklater seinem Geburtsstaat diese bedeutende Rolle zugesprochen hat.

PD: Das macht auch den Reiz seiner Filme aus. Selbst wenn Stars wie Keanu Reeves oder Bruce Willis darin auftauchen, so ist er (bislang) nie im Hollywood-System gelandet. Er lebt und arbeitet in Austin (das er aber in „Boyhood“ ein klein wenig glorifiziert, für meinen Geschmack) und man merkt ihm auch diese Verbundenheit an.

YP: Das macht seine Filme umso authentischer.

Ich habe ja zum Beispiel einen Faible für diesen breiten Südstaaten-Akzent, wie in Matthew McConaughey in „Bernie“ spricht.

PD: McConaughey und Linklater. Eine Verbindung die ich zunächst ganz übersah. Dabei debütierte McConaughey ja in „Dazed and Confused“ und war ein toller Lead in „The Newton Boys“.
Der von dir erwähnte Musik-Aspekt ist ja auch mit der lebendigen Musikszene von Austin verbunden.

Authentisch fühlen sich alle seine Filme an. Einzig das Remake „Bad News Bears“ möchte ich, wohl weil es ein Remake ist, nicht so unbedingt sehen.

YP: Auch die „Before“-Filme, die alle eigentlich Übersee und in Europa spielen. Wien, Paris, Griechenland. Und sowohl Jesse als auch Celine vermitteln Authentizität. Das sind Figuren, wie sie der Realität entnommen sind.

PD: Wohl auch, weil der erste Film zum Teil auf einer Begebenheit beruht, die Linklater selbst widerfuhr.

YP: Wenn du dir nachträglich vor Augen führst, wer in „Dazed and Confused“ mit von der Partie ist und wer sich noch immer hoch im Kurs hält.

PD: Ben Affleck, Matthew McConaughey.

YP: In kleineren Rollen, aber dennoch: Renée Zellweger, Mila Jovovich.

PD: Wiley Wigins, mit dem er dann „Waking Life“ drehte. Parker Posey. Adam Goldberg.

YP: Wobei es schon immer die selben Gesichter sind, die man sieht: Ethan Hawke, Jack Black. Matthew McConaughey.

PD: An Zellweger konnte ich mich gar nicht mehr erinnern. Linklater arbeitet nun einmal offenbar auch gerne mit demselben Team. Selten dass einmal jemand wie Greg Kinnear in dieses Team hinein bricht, wie bei „Fast Food Nation“. Keanu Reeves hat zwar in „A Scanner Darkly“ hervorragend hinein gepasst, aber er war wohl auch ein wenig der nötige Promi-Schauspieler, um den Film zu finanzieren.

Mich erstaunt ja, wie sehr sich Linklater einerseits im Laufe seiner Karriere wandelte und doch in jedem seiner Filme, seinem Stil treu blieb. Von der Reife der „Before“-Filme oder dem Humanismus in „Boyhood“ ahnt man bei „Slacker“ oder „Dazed and Confused“ noch gar nichts. Während die Leichtlebigkeit und die Freude an der Musik in „School of Rock“ nun wirklich niemand überraschen dürfte.

YP: Es geht auch darum, dass er mit seinen Filmen erwachsen geworden ist. Dafür ist „Boyhood“ der beste Beweis. Nicht als Regisseur, weil diese Anfangsfilme sind an und für sich gelungen, aber als Mensch.

Die aktuelleren Filme finde ich viel reifer, ausgeklügelter, durchdachter.

Denis Villeneuve

30 Freitag Mai 2014

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Canada, Denis Villeneuve, Enemy, Incendies, Kanada, Polytechnique, Prisoners, Xavier Dolan

Der franko-kanadische Regisseur Denis Villeneuve ist einer der aufregendsten Filmemacher der Gegenwart. In unserem neuesten Dialog blicken wir ein wenig zurück, auf seine Werkliste, die so unterschiedliche wie interessante Arbeiten umfasst wie „Polytechnique“, „Next Floor“ oder „Enemy“. Zudem bietet die Personalie Villeneuve auch einen willkommenen Anlass, um sich ein wenig mit der Filmszene Kanadas auseinander zu setzen.

YP: Villeneuves Frühwerk habe ich bewusst ausgespart. Dafür ist noch Zeit. Außerdem wollte ich die Begegnung mit dem Regisseur nicht ausreizen.

PD: „Incendies“ aus dem Jahr 2010 war der erste Film von Denis Villeneuve, der mir ganz bewusst auffiel. Was wohl vor allem an der Oscar-Nominierung lag. Dass er aber bereits seit 1994 im Geschäft ist, hat mich dann sehr überrascht.

Das zeigt, wie wenig man aus manchen Ländern zu sehen bekommt.

YP: Weil du es erwähnst, ich habe mir kanadische Regisseure und Regisseurinnen in Vorbereitung auf unseren Dialog angesehen. Da gibt es den großen David Cronenberg. Und dann sind mir noch Sarah Polley und ihr Großartiges „Stories We Tell“ aufgefallen. Dann natürlich und vor allem jetzt nach dem Jurypreis in Cannes Xavier Dolan, dessen Filme ich ungefähr zeitgleich mit denen von Villeneuve entdeckt hatte. Das muss 2011 gewesen sein. Erst heuer richtig wahrgenommen habe ich Jean-Marc Vallée , der “Dallas Buyers Club“ gedreht hat. Dann fällt mir noch Atom Egoyan ein.

PD: Guy Maddin wäre noch ein wichtiger kanadischer Filmemacher. Atom Egoyan hat seine Spur in den letzten Jahren ein wenig verloren, aber ja, er gehört zu den bekannteren Filmemachern Kanadas. David Cronenberg ist DER kanadische Filmemacher, den wohl jeder kennt. An Xavier Dolan musste ich auch denken, aber gerade bei ihm ist es schon sehr speziell, wie bekannt er ist. Seit seinem wundervollen Debüt „J’ai tué ma mère“ war jeder einzelne Film ein Ereignis und zumeist auf einem der großen Festivals zu sehen. Dabei ist der junge Mann gerade erst 25. Ein richtiges Wunderkind.

Villeneuve hingegen ist schon Mitte 40 und hat jetzt „erst“ seinen internationalen Durchbruch. All seine Filme waren auch zuvor nationale Hits oder Festival-Lieblinge, aber so wirklich ein wichtiger Name wurde er erst mit „Incendies“ und dann natürlich mit dem sehr straff inszeniertem „Prisoners“.

YP: Um bei Villeneuve zu bleiben. „Polytechnique“ ist aus 2009. „Incendies“ aus 2010. Und dann folgen „Prisoners“ und „Enemy“, beide aus 2013. Vier Filme in nur fünf Jahren ist eine beachtliche Leistung. Vor allem, wenn man sich die Qualität der Filme vor Augen führt. Ich halte „Polytechnique“ und „Enemy“ für kleine Meisterwerke und „Incendies“ und „Prisoners“ auf jeden Fall für Thriller mit hohem Anspruch.

PD: Umso überraschter war ich, als ich in diesem Interview mit ihm las, dass er nach „Polytechnique“ eine Pause einlegen wollte. Dann kommt er nur ein Jahr später mit einem so wuchtigen Film wie „Incendies“ zurück. Da überhaupt von einer Pause zu sprechen, finde ich schon gewagt. Womöglich war er aber auch nur geschlaucht von der Nacherzählung der wahren Ereignisse, die er in „Polytechnique“ darstellt. Der Film ist ja doch sehr kühl.

YP: Ich habe „Incendies“ auch 2011 gesehen und der Film war damals auch einer meiner Lieblingsfilme des Jahres. Ich weiß gar nicht, warum ich nicht näher auf den Regisseur eingegangen bin. Etwas, was ich bei Dolan durchaus gemacht hatte.

PD: „Incendies“ hat bei mir nicht wirklich viel ausgelöst. Ich bewunderte die clevere Inszenierung, aber die Handlung mit den vielen Twists, hat mir nicht so zugesagt. Dafür ist mir Villeneuve sehr wohl plötzlich ein Begriff gewesen, und das muss sich auch so sehr ins Unterbewusstsein eingebrannt haben, dass ich in Hinblick auf „Prisoners“ nur aufgrund der Tatsache, dass Villeneuve inszeniert, sehr interessiert war.

Dolan war auf jeden Fall aufgrund seines jungen Alters auch als Person interessant. Schließlich will man ja auch wissen, was hinter einem 19-jährigen Filmemacher steckt, der so ein Debüt hinlegt.

YP: Mir gefiel „Incendies“, ich empfand ihn als wuchtig. Beim Schauen erinnerte er mich an Stücke aus der griechischen Tragödie, richtig epochal. Beim genauen Hinsehen weiß man, dass der Film auf einem Theaterstück des Exil-Libanesen Wajdi Mouawad basiert.

PD: Interessant. Ich kann mir das gar nicht auf einer Theaterbühne vorstellen, zumindest nicht in der Form, in der es Villeneuve auf die Leinwand brachte. Es ist voller gewaltiger Schläge in die Magengrube, auch visuell.

Sein visueller Stil ist auch immer wieder beeindruckend anzusehen. Egal ob das strenge Schwarzweiß in „Polytechnique“, was auch gut zur Geschichte passt, oder die ausufernden und doch kontrolliert eingesetzten Farbpaletten in „Next Floor“ oder „Enemy“.

YP: Nicht zu vergessen diese ausgewaschenen Grautöne in „Prisoners“. Die Farben, in denen er seine Bilder taucht, bleiben richtig hängen. Für mich waren – die Lang- und Kurzfilme – allesamt bildgewaltige Ereignisse.

PD: Darin sehe ich seine größte Stärke. Es bleiben imposante Bilder hängen, aber auf der Handlungsebene macht er mir oft zu viele Drehungen und Wendungen. Bei „Prisoners“ wieder hat er einem sehr standardisiertem Drehbuch zu höheren Weihen verholfen. Denn so wirklich intelligent empfand ich das Gezeigte nicht.

Mir gefällt auch, dass Jake Gyllenhaal und er sich offenbar zu Höchstleistungen anspornen. Gyllenhaals Leistung in „Prisoners“ hat mich beeindruckt und „Enemy“ ist ohnehin ein kleines Gesamtkunstwerk, das exemplarisch für Villeneuves Art des Filmemachens steht.

YP: Ich kenne Villeneuves Frühwerk nicht, aber nehmen wir die Filme seit „Polytechnique“. Da scheint mir, als schicke er all seine Protagonisten auf ausgedehnte Odysseen. Richtige Irrwege. Das ist zumindest ein Versuch, die vielen Twists zu erklären. So fühlt es sich bei jedem Film an. Vor allem eben in „Enemy“, der mich zum Beispiel etwas an „Naked Lunch“ von David Cronenberg erinnerte.

PD: Bezüglich „Enemy“ musste ich merkwürdigerweise nicht an „Naked Lunch“ denken. Eher an Richard Ayoades „The Double“ und auch an den einen oder anderen Film von David Lynch. Ansonsten stimme ich zu, er führt in seinen Filmen die Charaktere auf ihre eigenen Wege und führt sie zum Schluss, mit neu erworbenen Kenntnissen, wieder zusammen. Erst dann erschließt sich das gesamte Bild.
Dabei fällt „Polytechnique“ ein wenig aus dem Rahmen, denn der handelt ja nicht nur von einer realen Tragödie, sondern fühlt sich auch formal strenger an. Ein wenig mehr wie „Elephant“ von Gus van Sant.

YP: Für einen Vergleich mit Lynch ist mir der Plot zu linear. Aber „Enemy“ ist der am wenig kommerziellste seiner Filme. Andererseits, er bietet nicht eine Auflösung, sondern einige. Das hebt ihn auch aus seinem Werk heraus.

Von den Kurzfilmen kenne ich „Next Floor“ und „120 Seconds to Get Elected“.

PD: Bei seinen Kurzfilmen scheint Villeneuve ja sogar eine Spur experimenteller zu agieren. „Next Floor“ ist visuell großartig ausgearbeitet, während „120 Seconds to Get Elected“ mit einfachsten Mitteln operiert. Das scheint eine Spielwiese für ihn zu sein.

YP: Ich würde sagen, diese sind auch gesellschaftskritischer. Ist „Next Floor“ eine Kritik am Massenkonsum und an der Maßlosigkeit, schient „120 Seconds“ die verbalen Verführungskünste moderner Demagogen aufzuzeigen.

PD:  Genau so habe ich es auch gesehen. In „120 Seconds“ rutscht der seine Reden schwingenden Politiker auch innerhalb weniger Sekunden vom Populistischen ins Faschistische. Es lag aber wohl auch an der Länge, dass dieser Kurzfilm weniger Eindruck hinterließ, denn „Next Floor“.

YP: „Next Floor“ legt auch eine gewisse Komik – die in seinen Langfilmen nirgends anzutreffen ist – an den Tag. Mich erinnerte der Film stark an „La Grande Bouffe“.

Michael Glawogger

16 Freitag Mai 2014

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Contact High, Megacities, Michael Glawogger, Nacktschnecken, Slumming, Whore's Glory, Workingman's Death

Viel zu jung verstarb der österreichische Filmemacher Michael Glawogger. Er hinterlässt ein bildgewaltiges Werk von Dokumentarfilmen und Spielfilmen. In diesem Dialog beschäftigen wir uns mit beidem und in welchem Bezug seine Filme zueinander stehen.

YP: Von allen Filmen, die ich von Glawogger nun kenne, ist „Workingman’s Death“ der beeindruckendste für mich. Kraftvoll, imposant, Grenzen ergründend. Visuell unvergleichlich mit  unvergesslichen Bildern.

PD: Das sehe ich genauso. „Workingman’s Death“ war auch der erste Film von Glawogger, den ich zu sehen bekam. Auf der großen Leinwand entfaltet sich diese Kraft der beeindruckenden Bilder, eingefangen von Wolfgang Thaler, noch um eine Spur mehr. Erst danach habe ich begonnen, mich mit anderen Arbeiten von ihm zu beschäftigen.

Dabei fiel mir auf, dass mir der Dokumentarist Glawogger mehr zusagte, denn der Spielfilmemacher Glawogger.

YP: Das ist eine Eigenschaft, die ihn als Filmemacher daher umso mehr auszeichnet. Seine Spielfilme haben mit dem Dokumentarfilmen auch kaum etwas gemeinsam. Eine unglaubliche Qualität liegt den Dokumentarfilmen zugrunde, wobei die Spielfilme kleine erlesene Genreperlen sind.

PD: Deshalb ist sein Verlust aus künstlerischer Sicht umso schmerzlicher. Seine Projekte waren immer darauf ausgelegt, Grenzen auszuloten. Er legte sich nicht auf bestimmte Formen fest. Deshalb ist ja auch seine ihn weltweit bekannt machende Dokumentarfilm-Trilogie „Megacities“ – „Workingman’s Death“ – Whores‘ Glory“, so beeindruckend, da er sich jeglicher moralinsaurer Kommentare verweigert.

Genau wie auch in seinen Spielfilmen, in denen es vor unsympathischen Charakteren nur so wimmelt. Doch er lässt jedem Charakter seinen Raum. Selbst wenn ich es mir, vor allem bei den Spielfilmen, öfter wünschte, dass er etwas rigider mit den Charakteren vorgegangen wäre.

YP: Meine erste Zusammenkunft mit Glawogger war sein Spielfilm „Nacktschnecken“, das muss vor 10 Jahren gewesen sein, irgendwann im Donnerstags-Nachtprogramm des Öffentlich-Rechtlichen. Ich kann mich erinnern, wie ich zu gleichen Teilen etwas verstört und begeistert war. Ein kleiner Film, voller Seitenhiebe auf die Gesellschaft und mit ungewöhnlichem Humor.

PD: Das hat ihn vom Komödien-Mainstream in Österreich abgehoben. Die typisch-österreichische Komödie ist im Stil von „Freispiel“ oder „Poppitz“ gehalten, doch Glawogger hat sich in seinen Genrearbeiten immer Ecken und Kanten geleistet. Oberflächlich leicht zugängliche Ware, die dann mit bitterbösem Humor oder auch bewusst gesetzten Albernheiten versehen waren. Da ist mir allerdings der auch visuell verspieltere „Contact High“ besser in Erinnerung geblieben als „Nacktschnecken“.

Eine eigenwillige Beziehung habe ich zu „Slumming“. Der Film selbst hat mich ganz anständig unterhalten, und die Darsteller waren allesamt gut – vor allem Paulus Manker als Obdachloser -, aber da ich damals Michael Glawogger interviewen durfte, hat dieser Film einen spezielleren Platz bei mir. Obwohl ich „Slumming“ gar nicht so beeindruckend fand.

YP: Ich frage mich, ob mir seine Spielfilme deshalb zusagen, weil sie in gewisser Weise diesen „österreichischen Humor“ haben, wenn es so etwas wie einen „österreichischen Schmäh“ überhaupt gibt. Die wirken auch sprachlich charmant. Und die Charaktere darin sind so herrlich bizarr und verspielt. Nichtsdestotrotz sind es die Dokumentarfilme, die mehr von Bedeutung sind. Mir scheint es auch, als waren die Spielfilme für ihn notwendige Beschäftigungen, die er nach seinen Reisen und Dokumentarfilmen gebraucht hat, um wieder hier anzukommen.

PD: Da bin ich mir gar nicht so sicher, denn auch in den Dokumentarfilmen gibt es sehr viele inszenierte Passagen. Mein liebster Abschnitt in „Megacities“ ist „The Hustler“, und die Geschichte, in der ein junger Mann mit dem Versprechen nach willigen Prostituierten übers Ohr gehauen wird, wirkt bis zu einem gewissen Grad inszeniert, zugleich aber auch unglaublich komisch. Diese Grenze zog er, so schien mir, keineswegs so genau.

Ich erinnere mich noch, dass Hans Hurch Glawoggers „Slumming“ nicht bei der Viennale aufführen wollte, da er dieses „Rotzbubenkino“ (http://www.falter.at/falter/2006/10/10/das-ist-rotzbubenkino/) nicht haben wollte. Darin liegt auch viel Wahrheit, denn sein Humor war schon sehr albern und verspielt. Darin liegt aber auch die Stärke seiner Komödien.

YP: Die Frage stelle ich mir gar nicht so, bei Betrachtung seiner (oder anderer) Dokumentarfilme. Natürlich gibt es Inszeniertes und inszenierte Passagen, da brauchen wir gar nicht über Dokumentarfilme zu sprechen. Es ist nun mal so, dass – wenn eine Kamera auf etwas gehalten wird – sich die Dynamik immer verändert. Wichtig ist mir, was dabei herauskommt und wie die Bilder wirken.

Da habe ich dann dieses Zitat am Ende von „Megacities“ im Kopf: „Escapism of any kind is good“. Das mit dem Eskapismus. Eskapismus für die Leute, die gefilmt werden; die Leute, die daran arbeiten. Und natürlich auch für das Publikum. Obwohl die Dokumentarfilme auch immer was Nüchternes haben.

PD: Genau in diesem Geiste funktionieren seine Dokumentarfilme dann auch besser, denn die Spielfilme. Obwohl ich ja „Contact High“ bei meiner erneuten Sichtung besser fand und mich einzig „Das Vaterspiel“ wirklich wütend aufgrund der mageren Qualität zurückgelassen hat.

In den Dokumentarfilmen scheint mir auch viel mehr Freiheit zu liegen. Er arbeitete sich zwar an einer Thematik ab (Leben im modernen urbanen Raum, Arbeiterklasse im 21. Jahrhundert, Prostitution), aber ließ sich davon nicht eingrenzen. Das führte dann zu diesen bildgewaltigen, weltumspannenden Werken. Die Spielfilme scheinen mir da ein wenig eingezwängt in ein erzählerisches Korsett.

YP: Ich bin bei dem Kapitel „Löwen“ aus „Workingman’s Death“ an meine Grenzen gegangen. Das haben sich mir Bilder offenbart, wo ich als Zuschauerin nicht mehr wusste, wie ich die verarbeiten soll. Wie die Menschen in ihrem Arbeitsalltag eingebettet sind. In was für einer anderen – mir gänzlich fremden – Welt sich das befindet.

PD: Das war wirklich ein Blick in eine völlig fremde Welt, auch in ein Afrika, wie man es nur selten auf der Leinwand zu sehen bekommt. Vor allem in dieser Intensität.

YP: Und das waren für mich die verstörendsten Bilder, weil sie auch so schonungslos offen gezeigt wurden. Ich konnte förmlich die Rauchschwaden spüren, den Gestank wahrnehmen. Interessant und äußerst positiv empfand ich dann zum Beispiel „Whore’s Glory“. Die jungen Frauen – wie sie gezeigt wurden, ihre Beziehungen zu den Freiern. Auch die Freier, die menschlich dargestellt wurden.

PD: “Whores’ Glory“ führt da einen Erzählstrang aus „Megacities“ weiter, und deshalb war ich zunächst skeptisch, aber genau dieser exakte Blick auf die Lebensumstände der Prostituierten hat mir sehr gut gefallen. Dass die Freier frei von der Leber weg sprechen, macht sie nicht unbedingt sympathischer (vor allem die Freier in Bangladesch erschienen mir zwischenzeitlich wie unkontrollierte Wesen), aber es gibt auch hier keine Wertung. Jegliche moralische Wertung, entsteht einzig im Kopf des Betrachters.

Philip Seymour Hoffman

07 Freitag Feb 2014

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boogie nights, hunger games, jack goes boating, love liza, magnolia, mission: impossible III, owning mahowny, paul thomas anderson, philip seymour hoffman, red dragon, the master, the talented mr. ripley

Mit der Nachrichtenwelle um Philip Seymour Hoffmans Tod vergangenen Sonntag wurde uns Filmfans schmerzlich bewusst, was für ein talentierter Schauspieler die Welt für immer verlassen hat. Durch seine Filme allerdings wird er im Gedächtnis bleiben. Viele davon kleine und große Meisterwerke, einige allein durch seine Präsenz sehenswert. In unserem dieswöchigen Dialog beschäftigen wir uns mit ein paar ausgewählten Arbeiten eines herausragenden Schauspielers.

YP: „The Master“ hat es 2013 auf meine Bestenliste geschafft, hauptsächlich wegen der darstellerischen Leistung von Philip Seymour Hoffman. Dann wegen Szenen wie dieser hier, in der seine Figur Lancester Dodd und The Cause von einem Kritiker als Kult und Sekte bezeichnet werden und wie Hoffman das interpretiert.

PD: Der Film ist nicht alleine wegen Hoffman großartig, sondern die Kombination Paul Thomas Anderson-Philipp Seymour Hoffman ist es, die ihn besonders macht und auch wegen des Zusammenspiels mit Joaquin Phoenix und Amy Adams.

Steve Coogan hat es für mich am besten ausgedrückt, weshalb Hoffman so ein besonderer Schauspieler war: Coogan said Hoffman raised the quality of every film he was cast in.

YP: Ich sage nicht explizit, dass er der einzige Grund für das Gelingen des Films ist. Für mich ist seine Leistung bezeichnend und vordergründig. Nehmen wir andere Paul Thomas Anderson-Filme her: „Boogie Nights“ und „Magnolia“, „Punch-Drunk-Love“. Da würde ich nicht nur eine Leistung herausheben, aber in „The Master“ ist Philip Seymour Hoffman das, was Daniel Day-Lewis für „There Will Be Blood“ war. Herausragend.

Das ist auch ein wichtiger Zugang für mich, in Anbetracht der Rolle, die er in „The Master“ spielt. Darin spielt er den Gründer und Aushängeschild dieser Gemeinschaft, die dann doch eine Sekte ist. Tatsächlich war es auch so im Film, dass er eine bedeutende – die bedeutendste – Leinwandpräsenz hatte. Jetzt ungeachtet dessen, wie gut Joaquin Phoenix und Amy Adams waren und Paul Tmomas Andersons Zutun. Hoffman sticht heraus, bleibt in Erinnerung.

PD: Die Rolle als Sektenführer hat ja geradezu perfekt zu Hoffmans Physis gepasst und er war in der Lage, sich nicht nur darauf zu verlassen, sondern auch mit seinem Schauspiel zu überzeugen. Das war es auch, was seine Darstellung des Truman Capote so beeindruckend machte. Einerseits hat er sich äußerlich beinahe perfekt dem Charakter angenähert und dennoch dafür gesorgt, dass man nicht nur seine Physis bewundert, sondern sehr wohl auch sein Schauspiel sieht. Den Charakter den er entstehen ließ. In „Magnolia“ dagegen, ist er das komplette Gegenteil von seinem Charakter in „The Master“. Ein sanfter, schüchterner Mann, dem jegliche Einflussnahme oder jegliches Machtbewusstsein fehlt. „Magnolia“ war ja auch meine erste Begegnung mit Hoffman, zur selben Zeit beeindruckte er mich in „The Talented Mr. Ripley“.

YP: Ich weiß nicht, was es in „The Master“ war, aber er hatte etwas faszinierend Anziehendes. Seine Art zu sprechen oder die Physiognomie waren imposant. Dieser Aspekt war für mich insofern interessant, als er – wie du eben schon mit „Magnolia“ erwähnst – normalerweise diese unscheinbaren, schüchternen und introvertierten Figuren gespielt hat. Das war auch in „Before the Devil Knows You’re Dead“ so. Er hat ein einprägsames und keinen gängigen Schönheitsidealen entsprechendes Äußeres und er hat ausdrucksstarke und charismatische Charaktere gespielt.

PD: Interessant dass du „Before the Devil Knows You’re Dead“ (eine meiner liebsten Leistungen von ihm) erwähnst, denn da ist Hoffmans erster Auftritt extrem plump. Er wird in der unattraktivsten Art und Weise im Film vorgestellt, die nur möglich war. Als Fleischklumpen, geradezu der prototypische Bösewicht. Er verfügt in Lumets tollem Spätwerk auch über keinerlei Charme, nur über Gier und Gewissenlosigkeit. Derselbe Hoffman, in beinahe derselben physischen Form, zeigt dann in „The Master“ dass er einen ebenso gewissenlosen Schurken spielen kann, nur mit viel mehr Charme und Finesse.

YP: Mir ist – dank deiner ausdrücklichen Empfehlung damals – „Before the Devil Knows You’re Dead“ ebenso besonders ans Herz gewachsen. Ein spätes Meisterwerk von Sidney Lumet und ein Film, den ich als einen perfekten Thriller bezeichnen würde. Was ich noch zu diesem Film anmerken möchte: Klar, aber diese vordergründige Körperlichkeit kommt mehr zur Geltung als in anderen Filmen. Mir scheint, als hätte sich Hoffman auf Rollen verschrieben, wo er sich immer wieder schälen und häuten muss. Was mich an seinem Schauspiel so fasziniert: Hoffman hat stets Inneres und Intimes nach Außen gekehrt, indem er sich solche Rollen aussuchte. Das wirkt umso heftiger, betrachtet man seinen plötzlichen Tod.

PD: Doch niemals war er so wuchtig, wie in „Charlie Wilson’s War“.

YP: Und da hat er Tom Hanks an die Wand gespielt! Das war eine Performance zum Drüberstreuen.

PD: Das finde ich übertrieben, aber er hat den Film geprägt. Hanks hatte schlicht den zurückhaltenderen Part.

YP: Ich sehe mir den Film gerne an, wobei Tom Hanks natürlich tadellos durch den Film führt. Er ist unterhaltsam und gelungen. Nicht allzu komplex, das ist aber egal!

PD: Das ist eine sehr lockere Polit-Satire, wobei wohl auch eher Polit-Komödie. Für eine Satire fehlt ein wenig die Schärfe. Das Geschehen ist humorvoll und unterhaltsam.

Es erscheint aber ein wenig traurig, dass er in ruhigeren Filmen, weniger Beachtung fand. So sehr nun jeder einzelne Film hervor gezogen wird, so wenig wurden etwa Werke wie „Love Liza“ oder „Owning Mahowny“ beachtet, als sie ins Kino kamen. Ich entdeckte diese Filme auch erst auf DVD, so wie „Synecdoche, New York“.

YP: Seine ersten eigenen Film, das Regiedebüt „Jack Goes Boating“ ist von der ruhigeren Sorte. Den habe ich beim Stöbern in einem Laden in München auf DVD entdeckt, mein erster Gedanke war: Philip Seymour Hoffman in einer romantischen Komödie, klingt vielversprechend, muss ich sehen. Tatsächlich ist das ein sehr sanfter und langsamer Film. Der von PSH gespielte Jack ist ein introvertierter und schüchterner Charakter.

PD: Es ist auch ein schön gespielter und sympathischer Film, aber als Regisseur konnte mich Hoffman hier nicht so ganz überzeugen. Er lässt seinen Darstellern den nötigen Freiraum und ist selbst auch überzeugend, aber auch wenn das alles stellenweise amüsant und unterhaltsam ist, so war mir das doch zu belanglos. Es plätscherte einfach zu sehr dahin.

YP: Und dann sieht man in als Plutarch Heavensbee in der „Hunger Games“-Reihe. Ein Spagat, den nicht viele  so rigoros schaffen bzw. beherrschen.

PD: Bei seinen Mainstreamauftritten sieht man sein Talent, aber wirklich begeistern konnte er mich weder im letzten „Hunger Games“ noch als schmieriger Freddy Lounds in „Red Dragon“. Damit will ich nicht sagen, dass er schlecht gewesen wäre. Keineswegs. Wie Steve Coogan schon ausdrückte, er hob die Qualität des Films rein durch seine Anwesenheit, aber er hat sich bei derartigen Auftritten eher zurückgehalten.

Als Bösewicht in „Mission: Impossible III“ war er schon etwas engagierter, schlicht, da er ja eine wichtigere Rolle spielte. Ehrlich gesagt kann ich mich bei „M:I III“ auch nur noch an ihn erinnern.

YP: Das spricht wohl für ihn! Seine Auftritte in „The Ides of March“ und „Moneyball“ waren auch eher unspektakulär, vor allem weil es kleine Rollen waren, wo er wenig bis kaum Spielraum für sein Talent hatte. „M:I III“ habe ich ausgelassen.

PD: Da hat er sich ins Geschehen nahtlos eingefügt, seinen Stempel nicht aufgedrückt. Wobei ich ihn in „The Ides of March“ doch gut in Erinnerung behielt, während „Moneyball“ einfach die Brad Pitt-Jonah Hill-Show ist.

Bei „M:I III“ hast du nicht viel verpasst. Ich kann mich ja auch kaum daran erinnern. Der Trailer sagt im Grunde schon alles über den Film aus.

YP: Ich muss sagen, in „Red Dragon“ hab ihn sehr gut in Erinnerung behalten, einfach aufgrund der Szene mit dem Bürosessel. Da hat er einen unsympathischen Reporter gespielt, der in sein eigenes Unglück taumelt. Und in „The Big Lebowski“ auch, obwohl sein Auftritt sehr kurz ist.

PD: Der Charakter Freddy Lounds ist sehr schön geschrieben, da wäre sogar noch mehr möglich gewesen (im Roman hat Lounds viel mehr Hintergrund erhalten). Die Szene, wo er dem Drachen (das war eine Scene Stealer Performance von Ralph Fiennes) begegnet, inklusive dem Nachspiel, ist schön anzusehen.

YP: Eine abschließende Frage: Mit welcher Rolle und Leistung bringst du den Namen Philip Seymour Hoffmans zuerst in Verbindung? Seine starke Darbietung in „The Master“ ist es für mich, die hat so vieles Vorhergehende überschrieben.

PD: Hoffman bleibt für mich immer als Phil Parma aus „Magnolia“ in Erinnerung. Es war die erste Darstellung die ich von ihm gesehen habe. Sofort sah man diese Verletzlichkeit, Sensibilität, aber auch das Versprechen, von diesem Schauspieler viele tolle Leistungen zu sehen zu bekommen.

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