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Academy Awards, beasts of no nation, Liz Garbus, Netflix, Nina Simone, Oscars, Winter on Fire
Der für einen Academy Award in der Kategorie Beste Dokumentation nominierte und derzeit auf Netflix zu streamende Film „What Happened, Miss Simone?“ steht diese Woche im Mittelpunkt unseres ausnahmsweise musikalischen Dialogs.
PD: Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass mir der Name Nina Simone bis zu dieser Dokumentation sehr wenig sagte. Einige ihrer Songs kannte ich hingegen bereits sehr gut.
YP: Wie meinst du das? Du kanntest einige Songs, aber du wusstest nicht, von wem sie sind? Mir ist Nina Simone schon lange ein Begriff. Sie ist auch eine konstante Größe in der Popmusik, ihre Songs halten immer wieder in Coverversionen her. Ich denke da an das sehr bekannte Felix da Housecat-Cover von „Sinnerman“. Allerdings wusste ich nicht viel über ihr Leben, was sich jetzt mit dieser Dokumentation geändert hat.
PD: Mein Musikwissen füllt nicht gerade Plattenregale, weshalb ich zwar einige Songs sehr gut kannte, aber sie nicht mit ihr in Verbindung brachte. Das hat die Dokumentation zumindest geschafft, dass ich nun sehr viel mehr über die Person Nina Simone weiß. Allerdings hatte ich nach Liz Garbus‘ Film auch den Eindruck nun mehr über die Aktivistin Nina Simone zu wissen, denn über die Künstlerin.
YP: Aber gerade dieser Zugang macht „What Happened, Miss Simone?“ unglaublich sehenswert. Simones künstlerisches Schaffen geht Hand in Hand mit den politischen Gegebenheiten der Zeit, in der sie gelebt hat. Sie konnte gar nicht anders als politisch sein, bzw. muss man schon sehr privilegiert sein, um anzunehmen, Politik habe keinen Einfluss auf das Leben. Regisseurin Liz Grabus hat sich sowohl der musikalischen Ebene ihres Lebens als auch der politischen Ebene gleich bedeutend angenähert, bzw. sie hier filmisch nicht separat voneinander behandelt. Vor allem zeigt Garbus diese Ohnmacht gegen das vorherrschende und sehr rassistische System, welches Simones Leben von Anfang an bestimmt. Die sehr talentierte Miss Simone wollte klassischen Pianistin werden, wurde aber aufgrund ihrer Hautfarbe zur weiterführenden Ausbildung nicht zugelassen. Das muss man sich einmal vorstellen. Zum im Elternhaus unliebsamen Jazz kam sie aus Notwendigkeit und Protest. Heutzutage wird sie musikalisch dafür gefeiert. Das ist alles sehr politisch.
PD: Das macht die Dokumentation auch sehr sehenswert, keine Frage. Es entsteht durch den Zugang, den ihre Tochter Lisa bietet und mittels des reichhaltigen Archivmaterials ein sehr klares Bild von dem Menschen Nina Simone. So bleibt das keine sentimentale Faserschmeichlerarbeit wie etwa das völlig überschätzte „Searching for Sugar Man“.
Meine Kritik an Garbus richtet sich auch eher daran, dass ich das Gefühl hatte, sie gehe von einem Publikum aus, welches über die Künstlerin Nina Simone bereits alles wüsste. Deshalb entstehen die wirklich interessanten Passagen auch eher aus dem Privatleben heraus, welches mit vielen großartigen Archivaufnahmen illustriert wird und auch aus ihrer politischen Tätigkeit. Unter welchem Druck und welcher Benachteiligung sie leben musste, kann man sich ja selbst trotz des schön gespannten gesellschaftspolitischen Bogens um die Bürgerrechtsbewegung, nur schwer vorstellen.
YP: Liz Garbus wollte hier unter keinen Umständen Gefahr laufen, etwas zu präsentieren, was bereits allzu bekannt ist, was aber bei dieser Protagonistin nicht leicht ist. Daher ist dein Kritikpunkt in meinen Augen auch angebracht. Dieses Porträt ist definitiv als posthume Hommage gedacht und an das sehr außergewöhnliche Leben der Künstlerin Simone.
PD: Insofern bewegt sie sich auf ein wenig ausgetretenen Pfaden. Stilistisch ist das viel zu oft nur der reine „Talking Heads“-Film. Eine Einblendung zu Simone, dazu ein Weggefährte oder auch die Tochter, die dann ihre Sicht der Dinge wiedergeben und aus der Distanz das Leben und Werken von ihr interpretieren und erklären wollen. Ein Punkt der mich an sehr vielen Dokumentationen stört. Denn so liefert sich auch die Filmemacherin diesen Informationen regelrecht aus.
Belebt wird die Inszenierung vor allem durch das reichhaltig vorhandene Archivmaterial. Sowohl in Text- als auch Ton- und Bildform. Ihre Briefe und schriftlichen Einträge liefern dabei ein sehr einprägsames Bild davon, wie sie sich fühlte. Mein liebster Moment war aber, als sie beim Konzert eine Person zum Hinsetzen aufforderte. Da war sie in einem Moment der Publikumsliebling und im nächsten die das Geschehen diktierende Frau, die sich keinesfalls unterbrechen lassen wollte. Beeindruckend.
YP: Ich hatte auch eher das Gefühl, es handelt sich um eine solide Fingerübung und die Regisseurin baut sowieso auf den Überraschungseffekt des Inhalts, die Person Nina Simone gibt dann doch viel her. Es geht außerdem ein gewisser Personenkult um die Sängerin. Dramaturgisch begibt sie sich hier auf ziemlich altbekannten und wenig aufregenden Pfaden, und wie du schon sagt – geht sie inszenatorisch kein Risiko ein. Mich stört das an vielen Dokumentationen nicht, ich finde sie dann einfach etwas unkreativ.
Ins Kino wäre ich dann doch nicht dafür gependelt. Das liegt aber vor allem daran, dass ich mir kaum Dokumentarfilme im Kino ansehe – mit einigen Ausnahmen. Allerdings bin ich froh, dass „What Happened, Miss Simone?“ auf Netflix angeboten wird. So kann ich dann doch immer mein Repertoire erweitern. Ich muss auch zugeben, dass mich aber erst die Oscar-Nominierung auf den Film aufmerksam machte.
PD: Im Gegensatz zu „Beasts of No Nation“, wäre ich ebenso wenig für „What Happened, Miss Simone?“ ins Kino gepilgert. Die Dokumentationen von Michael Glawogger waren hingegen Fixpunkte im Kino. Zudem stehen Arbeiten rund um eine musikalische Strömung oder einen Musiker bzw. eine Musikerin für mich immer nur im Rahmen der Viennale im Blickpunkt, da es sich dieses Festival zur Aufgabe gemacht hat, einen Querschnitt der interessantesten Musik-Dokumentationen zu liefern. Würden nicht die Oscars anstehen, hätte ich wohl auch keine Notiz davon genommen, da ich auch thematisch nicht sofort hingezogen wurde. Vor allem arbeiten die meisten Filme in diesem Sub-Genre viel zu sehr damit, dass die gute Musik schon über die inszenatorischen Schwächen hinweg trösten wird. Nach dem Motto: Wer beschwingt mit dem Fuß mit wippt, wird sich schon gut unterhalten fühlen.
Im Gegensatz dazu, fand ich die andere für den Oscar nominierte Netflix-Doku „Winter on Fire“ thematisch interessant genug, um lange vor der Nominierung den Film zu streamen. Doch auch hier war ich eher ernüchtert. Inhaltlich habe ich bei beiden Netflix-Filmen einige interessante Punkte mitgenommen, doch auf künstlerischer Ebene ließen sie mich eher kalt zurück.