The Jungle Book (1967)

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Rechtzeitig zum Start der Realfilm-Version (auch wenn man bei dem heftigen Einsatz von CGI über den Begriff „Realfilm“ diskutieren kann) werfen wir wieder einen Blick auf den Walt Disney-Klassiker. Haben die kindgerecht aufbereiteten Abenteuer von Mowgli, Balu und Co. noch immer den Charme wie einst in Kindertagen?

PD: „Das Dschungelbuch“ ist neben „Dumbo“ einer jener Disney-Klassiker, die sich am tiefsten in mein Gedächtnis eingebrannt haben. Wohl deshalb, da ich ihn in seiner synchronisierten Version so oft gesehen habe.

YP: Damit kann ich leider nicht dienen, da ich „The Jungle Book“ – bis vor kurzem – noch nie gesehen habe.

PD: Wie war dein Ersteindruck? Heute können mich Disney- und für Kinder gedachte Animations-Filme nicht mehr so begeistern, wie noch in meiner eigenen Kindheit und Jugend.

YP: Immer wieder musste ich mir vor Augen führen, dass dies ein Zeichentrickfilm aus 1967 ist. Mir kommt er irgendwie zeitlos vor. Zudem ist das ein Film für ein sehr junges Publikum. Wohingegen die jüngeren Disney-Filme wie „Inside Out“, „Up“ oder „Brave“ keineswegs als Kinderfilme betitelt werden können und für ein breiteres Publikum gemacht wurden. Ich muss aber dazusagen, dass man nicht im deutschsprachigen Raum aufwachsen kann, ohne die deutschen Synchronisationen der Songs zu kennen. Es führt kein Weg daran vorbei.

PD: Darin liegt für mich auch die Zeitlosigkeit dieses Filmes: in den Songs. Selbst heute noch hört man immer wieder „Probiers mal mit Gemütlichkeit“ oder „Ich wäre gern wie du“ im Radio. Auch das Design der Figuren hat die Zeit überlebt, vor allem auch deshalb, da es zumindest ein weiteres Mal – in „Robin Hood“ (1973), ebenso wie „The Jungle Book“ von Wolfgang Reitherman inszeniert – eingesetzt wurde.

Die klassischen Disney-Filme zeichnen sich auch durch diese Unschuld aus und das direkte Ansprechen des kindlichen Publikums, wobei ich hier Erwachsene gar nicht ausnehmen möchte. Als Erwachsener kann man auch Unterhaltungswert in Filmen wie „The Jungle Book“, „Snow White and the Seven Dwarfs“ oder „Pinocchio“ finden. Die haben aber mit den heutigen Pixar-Disney-Werken nur noch wenig gemein.

YP: Nehmen wir die ersten zwanzig Minuten des Films her: wie Mowgli auf Abenteuer geht. Hier (und später natürlich auch) nimmt sich der Film die Zeit, die er braucht, um uns in die Geschichte einzuführen. Wie dieser Elefanten-Trupp bei Mowgli und Baghira einmarschiert, hat Slapstick-komödiantische Elemente. Den Film als „süß“ zu bezeichnen, täte ihm unrecht. Allerdings sind die Figuren herzerwärmend und erinnerungswürdig, ohne jegliche Plattitüden oder Schwarzweißmalerei. Mowgli wird auf ein fantastisches Abenteuer durch diesen Dschungel geschickt. Den Erfolg des Films – auch noch Jahrzehnte (bald 50 Jahre) später – kann ich nachvollziehen.

PD: Mir fehlt der Vergleich mit den Geschichten von Rudyard Kipling, aber die Realversionen hatten immer einen sehr düsteren Einschlag. Immerhin handelt es sich hier um einen 10 Jahre alten Buben, der inmitten der Gefahren des Dschungels überleben muss. Da ist die Zeichentrick-Version von Disney deutlich entschärft. Die Gefahren sind um ein Vielfaches gemindert. Egal ob der Hypnose-Blick der Schlange Kaa oder die Entführung durch die Affen, um ihn zu König Louie zu schaffen. Nichts davon erzeugt ein Gefühl dafür, als ob sich Mowgli tatsächlich in großer Gefahr befinden würde. Dafür sorgen auch die eher Slapstick-artigen Rettungstaten durch Baghira und Balu.

Drastischer wird der Film erst zum Finale hin, wenn der wie ein bedrohlicher Schatten über der Geschichte liegende Tiger Shir Khan, das Leben Mowglis bedroht. Bis dahin folgt aber eine Sketch- und Song-Einlage auf die andere. Da würde ich den Grundton des Films sehr wohl als „süß“ bezeichnen.

YP: Da wären wir aber wieder beim Beginn des Dialogs. Das ist für mich ein Kinderfilm, dem erwachsene Personen eben auch aus der eigenen Kindheit nostalgisch gegenüberstehen und deshalb vielleicht auch ein bisschen romantisieren. Ich möchte eben aber kurz auf den pädagogischen Wert des Films zu sprechen zu kommen: einfach nur fantastisch. Der Dschungel als Kontext einer fremden Umgebung für den sich von allen anderen dort lebenden Geschöpfen unterscheidenden Mowgli. Der in einer Tour ermutigt wird, seinen Jungen zu stehen und sich gegen den bedrohlich anmutenden Shir Khan und seine menschenfeindliche Ideologie zu behaupten. Shir Khan mag Mowglis Andersartigkeit nicht. Ich kann mir schon vorstellen, dass es junge Moralvorstellungen herausbildet. Außerdem ist Mogwli kein weißer Junge. Das klingt alles sehr simpel gestrickt, mir gefällt es aber, wie schön und schnörkellos das in die Story eingearbeitet wurde.

„The Jungle Book“ war übrigens der letzte abendfüllende Film, an dem Walt Disney höchstpersönlich mitgearbeitet hat.

PD: Am Ende jedoch, wandert Mowgli schlussendlich doch in das Dorf der Menschen. Denn aus dem Jungen wird langsam der Mann und dieser hat keinen Platz im Dschungel bei seinen tierischen Freunden. Das Ende symbolisiert auch ein wenig das Ende der kindlichen Unschuld, die ihn bis zum finalen Kampf mit Shir Khan prägte. Der Menschenfressende Tiger hat aber nicht nur Mowgli im Visier gehabt. Seine Schreckensherrschaft erfasste auch den Rest des Dschungels und nur mit vereinten Kräften war es möglich, ihn zu besiegen.

Da du Walt Disney ansprichst. „The Jungle Book“ markiert ja nicht nur den letzten Film, der unter seiner Führung entstand, sondern auch das Ende der klassischen Disney-Ära. Erst 1989 sollte die „Disney Renaissance“ einsetzen, und diese hat mich als Kind wohl noch mehr geprägt, da die moderner wirkenden Animationen in „Beauty and the Beast“, „Aladdin“ oder „The Lion King“ noch viel direkter ansprachen.

YP: „Robin Hood“ steht da auf meiner Liste ganz weit oben und die beiden ersten von dir erwähnten Filme mochte ich als Kind auch gerne. Wobei ich „The Lion King“ auch erst vor ein paar Jahren erstmals gesehen habe. Mich hat Disney irgendwie verpasst. In dem Alter, wo es interessant gewesen wäre, hatte ich keinen Zugang dazu. Seit Disney aber Pixar gekauft hat, ist es wieder interessanter geworden.

PD: Als Konzern hat Disney hervorragende wirtschaftlich begründete Entscheidungen getätigt. Der Aufkauf von Pixar, Marvel, der Rechte für Star Wars und Indiana Jones. Das ist aus Marktsicht beeindruckend. Die Animationsschiene hat aber für mich ihren Reiz verloren. „Robin Hood“ sehe ich eher als „Klassiker der zweiten Reihe“, hintangestellt an Filme wie „Snow White and the Seven Dwarfs“.

Die neuen Animationsarbeiten sind auch eher durch Pixar geprägt, wobei mir die Pixar-Filme vor der Disney-Übernahme besser gefielen. „Wall-E“ oder „The Incredibles“ kann ich mir immer wieder anschauen. „Inside Out“ war dagegen eine kleine Enttäuschung. Wohl deshalb hat man sich wohl dazu entschlossen, die ganzen klassischen Zeichentrickfilme nun in Realfilm-Versionen umzuarbeiten. Auch wenn mein Interesse daran nur sehr gering ist.

Christian Petzold

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Seit seinem Kinodebüt „Die innere Sicherheit“ (2000) ist der deutsche Regisseur Christian Petzold nicht mehr aus der ersten Reihe des deutschen Gegenwartskinos wegzudenken. So widmet ihm das Österreichische Filmmuseum noch bis 4. Mai eine Retrospektive. Das reicht uns als Anlass, seine Filme in einem Dialog zu besprechen.

YP: „Yella“ war der erste Film von Christian Petzold, den ich im Kino gesehen habe. Das war 2007. Seitdem habe ich keinen Film versäumt und alle anderen nachgeholt. Am meisten habe ich mich mit „Barbara“ beschäftigt, dieser gehört auch zweifellos zu meinen Lieblingsfilmen (nicht nur von Petzold).

PD: Erstmals aufgefallen ist mir Christian Petzold mit „Gespenster“. Die Geschichte der Teenagerin Nina (Julia Hummer) und einer Französin, die Nina für ihre einst verschwundene Tochter hält, hat mich gleich gefesselt. Allerdings war es ein eher ungünstiger Einstieg, denn abgesehen von einigen interessanten Einstellungen, konnte mich „Gespenster“ nicht fesseln. Erst als ich „Die innere Sicherheit“ im Fernsehen sah, wurde mir bewusst, dass es sich hier um einen sehr interessanten Filmemacher handelt.

Gerade „Yella“ zeigt als inoffizielles Remake von „Carnival of Souls“, dass die Einflüsse für Petzolds Werk sich auch aus dem amerikanischen Genre-Kino speisen.

YP: Auch wenn er sich natürlich eindeutig am westlichen Kino orientiert hat, spielen seine Geschichten in östlichen Gefilden und arbeiten sich an der deutschen Geschichte ab. „Jerichow“ und „Yella“ sind in der Provinz im Osten Deutschlands angesiedelt. Aus „Barbara“ hat er ein DDR-Liebesdrama gemacht. „Phoenix“ spielt im Nachkriegsdeutschland und befasst sich mit dem Schicksal einer Holocaust-Überlebenden, die ihren Mann sucht. Die Szenarios haben  – in manchen Einstellungen so menschenleer und verlassen wie sie wirken – stets etwas Gespenstisches und Ungreifbares an sich. Das zeichnet Petzolds Kino auch irgendwie auch und gibt ihm einen hohen Wiedererkennungswert.

PD: Gespenstisch trifft es ganz gut. Natürlich vor allem in „Gespenster“, aber auch in „Die innere Sicherheit“, in der die RAF-Vergangenheit ganz ohne die Nachbildung der Attentate aufgearbeitet wird. Die Personen wirken allesamt wie Schatten, während Petzolds Hauptaugenmerk auf der Entwicklung der Tochter des auf der Flucht lebenden Paares ruht. Generell dominieren bei Petzold starke Frauencharaktere. Ob Julia Hummer in „Die innere Sicherheit“ und „Gespenster“, oder Nina Hoss, die von „Yella“ weg zu seiner bevorzugten Hauptdarstellerin wurde.

Es scheint auch, dass Petzold von Film zu Film, sich immer intensiver mit den Möglichkeiten des Genres auseinandersetzt. Filme wie „Barbara“ oder „Phoenix“ hätten sehr leicht im trivialen B-Movie-Kitsch enden können.

YP: Aber wenn ich an seine Werke denke, dann kommen die Begriffe Genrekino oder Genrefilme kaum in den Sinn. Diese Filme machen Gebrauch von den Möglichkeiten dieser Machart, aber keineswegs definieren sie sich dadurch. Wenn ich an das stilistisch perfekt inszenierte „Barbara“ denke und wie viel Liebe da im Detail liegt, aber das die verschiedenen Erzählstränge trotzdem sehr einnehmend bleiben, sodass die Optik auch in den Hintergrund tritt.

PD: Genrekino und detaillierte Erzählformen schließen sich aber doch keineswegs aus. Sein jüngster Film „Phoenix“ erscheint mir da wie ein Paradebeispiel. Es ist ein geradezu klassisch aufgebauter Krimi, vor dem Hintergrund des Holocaust, während gleichzeitig feine Beobachtungen zum Schuldbewusstsein und der Verantwortung verschiedener Personen angestellt werden. Auch sein Beitrag zum Fernseh-Dreiteiler „Dreileben“ zeigt Petzolds Interesse an diesen Genre-Formen.

Und da hat sich Petzold in den letzten Jahren enorm weiter entwickelt. „Yella“ oder „Jerichow“ konnten mich nur bedingt überzeugen, und lebten mehr von einer tollen darstellerischen Leistung oder einer guten Grundidee.

YP: „Phoenix“ lässt diese Genrestimmung durchaus zu. Teile davon erinnern mich an Thriller, Teile wieder an Krimis. Was mir an den Settings vor allem in „Barbara“ und „Phoenix“ gefiel: auf den ersten Blick sind sie unscheinbar und unterstreichen die Story, die sie zu transportieren versuchen. Auf den zweiten Blick merkt man aber, wie perfekt konzipiert sie sind, damit sie eben im Hintergrund bleiben.

Eine gewisse filmische Weiterentwicklung ist bei ihm durchaus zu beobachten. Die aktuellen Werke liegen mir – u.a. auch thematisch – einfach mehr. Vor allem „Barbara“, der fast hoffnungsfroh endet. „Gespenster“, „Yella“ und „Jerichow“ wirken auch etwas distanziert.

PD: Die Distanz, die man zu den Charakteren in „Gespenter“ oder „Yella“ spürte, war wohl auch kalkuliert. Denn sie sind ja zum Teil auch Geister, die durch zwar von Menschen bevölkerte, aber doch seltsam leere und tote Orte wandeln. Dagegen ist die Stimmung in „Barbara“ belebt. In „Yella“ war die wunderbare Nina Hoss inmitten toter Bürotürme zu sehen, in „Barbara“ fuhr sie mit dem Fahrrad durch die DDR. Alleine durch dieses Umfeld, auch wenn die Stimmung wie in einem Thriller aufgeladen war, standen einem die Figuren näher.

Wichtig ist ja auch der Einfluss, den Harun Farocki auf die Arbeiten von Petzold hatte. Mir scheint vor allem die Gestaltung der Szenerie, sehr auf Farockis Einfluss zurückzugehen. Etliche Szenen in „Gespenster“ oder „Yella“ erinnern an alte Filme oder museale Installationen Farockis.

YP: Zu Beginn seiner Filme herrscht immer eine absolute Hoffnungslosigkeit, die Figuren scheinen in ihren Umgebungen nicht nur gefangen, sondern regelrecht verloren. Das wirkt sich natürlich in der von Farocki beeinflussten und mit gestalteten Szenerie aus. Was in „Yella“ und „Gespenster“ nicht der Fall ist, passiert in „Barbara“ und „Phoenix“ auf erwartete bzw. unerwartete Weise: es gibt ein – wenn auch nicht einfaches – Entkommen aus alten, gewohnten, zerstörerischen Mustern. Wenn auch nur als Wachrütteln. Wobei im letztjährigen „Phoenix“ das Publikum auch diese Verzweiflung der Figur regelrecht spüren konnte. Vor allem, weil es über diese wichtige Vergangenheitsbewältigung der Protagonistin Nelly / Ester (Nina Hoss in einer Doppelrolle) und des Nationalsozialismus in Deutschland ging. Sein letzter Film ist eine eindeutige Anlehnung an Alfred Hitchcocks „Vertigo“. „Phoenix“ ist ein sehr wichtiger Film des jüngeren deutschen Kinos.

PD: Genau dieser Einfluss auf die aktuelle deutsche Kinolandschaft gehört abschließend noch einmal betont. Seine immer intensivere Wechsel zwischen Kino- und Fernseharbeiten, erinnern mich an Dominik Graf, mit dem er „Dreileben“ gearbeitet hat. Zudem ist sein Einfluss im Rahmen der so genannten „Berliner Schule“, auf die nachfolgende Generation rund um Valeska Grisebach, Benjamin Heisenberg oder Christoph Hochhäusler beachtenswert. Umso interessanter, dass er mit Hochhäusler, wie mit Graf, an „Dreileben“ gearbeitet hat. Seine zukünftigen Projekte und die von ihm inspirierten Werke, kann ich deshalb kaum erwarten.

Batman v Superman: Dawn of Justice

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Was Marvel kann, können wir schon lange, dachte man sich wohl bei DC Comics. Deshalb ist „Batman v Superman: Dawn of Justice“, nicht nur die Fortsetzung zu „Man of Steel“, sondern zugleich der Auftakt zur DC-Franchise. Ob Zack Snyder die Fans begeistern konnte, oder frustriert zurückließ, besprechen wir diesmal.

PD: Dem Sturm an vor allem negativen Kritiken zum neuen Batman/Superman-Abenteuer konnte man ja kaum entkommen. Entsprechend hatte ich das Allerschlimmste erwartet. Jedoch verließ ich das Kino dennoch mit mehr positiven denn negativen Eindrücken.

YP: Bis auf eine Kritik (die ich noch raussuchen muss), wo die enttäuschend unausgegorene Leinwandpräsenz von Wonder Woman bemängelt wurde, habe ich wieder einmal keine Kritiken gelesen. Und die Tweets in meiner Timeline waren entweder entsetzt negativ oder überrascht positiv. Ich muss aber sagen, dass Zack Snyder langsam zu einer Form findet. Die Batman-Storyline fand ich insgesamt wirklich gut. Die Katastrophe zum Schluss dann gar nicht. So ging es mir in „Man of Steel“ auch. Das erste Drittel fand ich dort auch gut, dann gab es einen eklatanten Einbruch. In „Dawn of Justice“ fand ich so einen trotz großer Schwächen gar nicht.

PD: Ich sah es wieder eher als einen Kampf gegen einen furchtbaren Beginn. Als Snyder zum wiederholten Male den Tod von Bruce Waynes Eltern durchkaut, war ich unglaublich genervt. Nicht nur ist diese Hintergrundgeschichte gut bekannt, sie ist auch für den Film selbst nicht sonderlich relevant. Zudem verbinden sich da der überdramatisierte Zeitlupenfetisch von Snyder mit der ebenso entsetzlichen Filmmusik Hans Zimmers zu einer Albtraumkombination. Dass der Beginn eine Traumsequenz war, half mir gar nicht den bitteren Beigeschmack zu vergessen. Generell waren die Traumsequenzen geradezu ein Ärgernis.

YP: Hier hatte Zack Snyder die Chance, seine Version des Batman-Origins in den Film zu packen und die hat er genutzt. Das kann ich ihm nicht verübeln, mich hat es nicht so gestört wie dich. Natürlich habe ich sofort Parallelen zu Nolans „Batman Begins“ gezogen, aber das lässt sich auch nicht verhindern, da es die letzte Batman-Verfilmung ist, die ich gesehen habe (vielleicht auch eine der interessantesten Batman-Adaptionen überhaupt).

Gestört haben mich immer Einstellungen und Szenen, wo Snyder seine alten Sachen rausgepackt hat: der Kampf zum Schluss erinnerte sehr an „300“ und der erste Auftritt von Wonder Woman im nicht-existenten Röckchen erinnerte leider zu sehr an „Sucker Punch“ und ich hasse diesen Film von Snyder. Ich wollte so gerne mehr von ihr sehen, aber daraus ist nichts geworden. Obwohl das ja ganz gut begonnen hat, auf einmal taucht sie auf. Die Batman-Storyline hätte man da durchaus kurzen können, um mehr von Wonder Woman mit reinzunehmen.

PD: Da bin ich bei dir. Wonder Woman hätte sich etwas mehr Platz verdient, aber deshalb bin ich auch schon optimistisch gestimmt, was den Solo-Film unter der Regie von Patty Jenkins angeht. Kaum trat Wonder Woman (Gal Gadot) mit in den Kampf gegen Doomsday ein, schon begannen die Actionszenen Spaß zu machen. Eine sehr willkommene Auflockerung, nach dem bitteren und auch tristen Schlagabtausch zwischen Batman und Superman. Mich störte eher, dass so viel an Handlung hinein gepackt wurde. Die Origin-Story von Batman, die ich einfach unnötig fand, da wir Bruce Wayne an einem Punkt in seinem Leben treffen, wo er bereits desillusioniert von seinem Batman-Dasein ist, oder auch die etwas krampfhaft eingebauten Querverweise auf The Flash, Aquaman und Cyborg. Das hätte auch in einer End-Credit-Sequenz Platz gehabt.

Positiv überrascht war ich aber von der Konzeption Batmans. Angelehnt an Frank Millers „The Dark Knight Returns“ ist Affleck ein sehr guter, gebrochener Mann. Sein Rachefeldzug hat schon faschistoide Züge und da erinnert Snyders Inszenierung auch mehr an einen Horrorfilm. Der ewig traurige Superman hingegen enttäuschte mich wieder.

YP: Die Motivation hinter Bruce Waynes Rache an Superman ist aber auch etwas dünn (ich kenne die Comics nicht), darum scheint auch der Moment, in dem aus den beiden Kontrahenten und Widersachern Freunde werden (Codewort: Martha), fast ein wenig lächerlich. Ben Affleck machte sich auch sehr gut in der Doppelrolle Wayne/Batman, er hat hier sein eigenes Ding durchgezogen, mir gefällt die Reife, die er an den Tag legt. Henry Cavill musste in diesem Teil seine Präsenz ja teilen, was dann etwas dürftig ausgefallen ist. Trotzdem bin ich der Meinung, dass eine faire Aufteilung der Leinwandpräsenz (durch vier) mit knackigerer Verknüpfung dieser einen noch besseren Film daraus gemacht hätte. Und ich muss Snyder fast loben, dass er sich hier noch einmal steigern konnte. Nach dem ganzen Schrott, den er vor „Man of Steel“ vorgelegt hat.

PD: Diese Verbindung durch „Martha“ wurde auch im pathetischst-möglichen Stil vollzogen, inklusive immer wieder gespielter Rückblicke auf den sterbenden Thomas Wayne. Das war schon ein wenig „Batman v Superman für Dummies“. Waynes Motivation, Superman ausschalten zu wollen, fand ich ausreichend. Immerhin wurde der Zerstörungswut aus „Man of Steel“ Rechnung getragen und dies sogar gut in den neuen Film eingewoben. Dafür war mir nicht wirklich klar, weshalb Lex Luthor (wie ein Tech-Hipster: Jesse Eisenberg) einen derartigen Hass auf Superman in sich trug.

Snyders hatte doch mit „Dawn of the Dead“ seinen bisher besten Film, und auch seine „Watchmen“-Version hat mir mehr imponiert, denn alle anderen Werke. Gerade aber das ständige „eine Szene Superman, eine Szene Batman“-Hin-und-Her-Gespringe war aber alles andere als elegant.

YP: Wayne scheint nicht nur der Zerstörung von Metropolis beigewohnt zu haben – mir fehlt hier auch hier ein bisschen die Erwähnung, wie kaltblütig Superman General Zod umgebracht hat – auch befindet sich der alternde Batman sichtlich in der Midlife-Krise. Das angeknackste Ego reicht scheinbar, um Rachefantasien zu schmieden.

Und den Einspielergebnissen nach zu urteilen, steht der Verfilmung von „Justice League“ nun eindeutig nichts mehr im Wege. Da wird sich Snyder aber freuen.

PD: Einerseits freut es mich, dass die von Warner Bros. produzierten DC-Filme eine etwas dunklere Richtung einschlagen, ganz im Geiste ihrer Gangster- und B-Movie-Wurzeln. Andererseits fehlt mir bei Snyders Werken eine erzählerische Konsequenz. Man hüpft von Szene zu Szene. Mal unterhaltsam und packend, dann wieder enervierend und nervtötend. Die Hoffnung bleibt, dass er sich doch noch zu einem guten Geschichtenerzähler entwickelt und nicht bei seinem derzeitigen Status als Hersteller pompöser Schlachtenbilder verweilt.

Lourdes

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Ein religiöser Erweckungsfilm oder doch eine subtile Satire zur Kommerzialisierung des Glaubens? Wir versuchen Jessica Hausners „Lourdes“ auf zwei Nenner zu bringen.

PD: Als vom Glauben abgefallener Katholik, war ich nicht unbedingt gespannt auf die Betrachtung des Heilfahrtsortes Lourdes. Zudem war ich noch immer geschädigt von Jessica Hausners Vorgängerfilm „Hotel“, dem ich kaum etwas Positives abgewinnen konnte.

YP: Das klingt aber sehr dramatisch. Ich gehöre zwar selber nicht zu den religiösen oder gläubigen Menschen, konnte aber „Lourdes“ mit einer gewissen Nähe betrachten. Einer gewissen Nähe zum Katholizismus, der sich bereits früh mit diversen katholischen Ritualen und Sakramenten manifestiert hat. Ich sehe das aber mit der nötigen Distanz wie Thomas Bernhard, der diese katholischen Bräuche und Prozessionen als Theater bezeichnet hatte. Vielleicht ist sogar von einer vertrauten Schaulust die Rede – ohne jemals in Lourdes gewesen zu sein. Dafür kenne ich Walfahrtsorte wie Santiago de Compostela und den Vatikan als skeptische Touristin.

PD: Persönlich gesprochen, gibt es natürlich diverse katholische Rituale die in mein Leben hinein spielen, einfach weil ich damit aufgewachsen bin. Es ist auch am ehesten als Theater zu bezeichnen, und genau deshalb war ich so gar nicht gespannt darauf. Denn es ist schlechtes und abgestandenes Theater.

Glücklicherweise hat Jessica Hausner sich aber diese Distanz bewahrt und zeigt einen sensiblen und überraschend kritischen Blick auf den Wallfahrtsort. Dass sie diese Balance zwischen der Kritik am Kommerzialisierung und der tief gläubigen Suche nach Heilung oder Erlösung bewahrt, ist die ganz große Stärke ihres Films. Sie lehnt sich nicht in eine Richtung, sondern überlässt es dem Publikum, die vielen Charaktere und ihre Motive für den Lourdes-Besuch kennenzulernen.

YP: Aber diese Distanz bewahrt sie den ganzen Film hindurch und begegnet dem, was gezeigt wirkt stets respektvoll. Natürlich ist das ein durch und durch konzipierter Film, doch wirkt er sehr mühelos erzählt. Wobei sich für mich die Kritik schon an der Wahl der Thematik ergibt, nicht so sehr am kommerzialisierten Standort. Da gibt es diese beiden Damen mit österreichischem Dialekt, die alles hindurch kommentieren. Die beiden sagen dann oft Sätze, die messerscharf diesen ganzen Zirkus entlarven, wobei sie natürlich mittendrinnen stecken. Besonders witzig fand ich diese Auflagen, was alles ein Wunder in Lourdes ausmachen darf. Und das man dieses schnell melden muss, damit es offiziell ist, sonst zählt es nicht. Eine Wunder-Maschinerie, die den gläubigen Menschen Hoffnung gibt. Der Glaube ist da eine Sache, aber die Religionsausübung eine andere. Wobei die Menschen da ganz bestimmt oft nicht unterschieden haben. Das hat der Film sehr gut rübergebracht.

PD: Hausner zeigt ja ein ganzes Figuren-Ensemble, welches verschiedenste Zugänge zu diesem Ort hat. Die beiden älteren Damen etwa drehen sich die Heilung und die Rolle Gottes gerade so, wie sie gerade passt. Es beginnt ja nicht nur Christine (Sylvie Testud) plötzlich sich aus ihrem Rollstuhl zu erheben, sondern auch ein Kind aus seinem Dämmerzustand zu erwachen. Sobald aber die „Geheilten“ wieder zu ihrem Ursprungszustand zurückkehren, war es eben kein Wunder. So lassen sich weder die Gläubigen, noch die Priester diesen Ort durch jegliche Rationalisierung kaputt machen.

Ganz besonders einschneidend fand ich die Beziehung zwischen Sylvie und den Schwestern des Malteser-Ordens (darunter Léa Seydoux). Christine wird abwechselnd wie ein mühsames Ärgernis, oder wie ein kleines Kind behandelt. Sylvie Testud agiert dabei immer sehr kontrolliert, auch wenn man ihren Ärger geradezu spürt.

YP: Bei Christine sieht man auch immer, wie sie stille Beobachterin der Geschehnisse um sich herum bleibt, allerdings hält sie ihre Behinderung scheinbar davon ab, am Leben der anderen teilzunehmen. Wobei ich mir bei ihr nicht sicher war, ob es die Krankheit ist, die ihren Charakter geformt hat oder die Krankheit auch als Ausrede gesehen wird. Wahrscheinlich beides. Sie hätte so gerne ein normales Leben nach ihren Vorstellungen, dass ihr das Leben, welches sie führt, als wenig unvollkommen erscheint. Die Beichte öffnet ihr dann auch die Augen. Was dann auch ihr Ausbruch daraus in der letzten halben Stunde zeigt. Der Film ist eigentlich sehr hoffnungsfroh.

PD: Das sehe ich wieder anders. Gerade der Schluss, in dem Christine mit dem attraktiven Kuno (Bruno Todeschini) tanzt und dabei umkippt, nur um sich schließlich, nach einigen Augenblicken wieder in den Rollstuhl zu setzen, ist auch sehr bitter. Denn schon das andere gezeigte „Wunder“, endete in einem bitteren Rückfall. „Lourdes“ ist hier weniger ein Ort der Hoffnung, denn der enttäuschten Erwartungen. Selbst für die Malteser selbst, die den Aufenthalt scheinbar hauptsächlich dazu nutzen, um ein wenig Urlaub zu machen, Witze zu reißen und Kontakte zu knüpfen. Das erschien mir weniger hoffnungsfroh, denn bedrückend.

YP: Hier gehen unsere Meinungen sehr weit auseinander: In dieser letzten Szene hatte ich eher das Gefühl, dass sie endlich ihre Behinderung als Teil ihres Lebens akzeptiert. Für Christine bestand das langersehnte Wunder darin, sich einer Illusion hinzugeben und nicht gefangen im dem Zustand zu sein, indem sie sich befindet. Darin dann zurückzukehren war nicht bitter, es war ein Moment der Selbstakzeptanz. Sie wollte nie bemitleidet werden, noch hat sie die, denen es schlechter ging als ihr, bemitleidet.

PD: Interessant. Mir erschien dieser Moment bitter, da ja auch die sich durch Christine definierende Frau Hartl (Gilette Barbier), eine eigenständige und selbstständige Christine wie einen Verlust ihrer eigenen Aufgabe erlebte. Immer wieder, wenn die Malteser-Schwestern Christine vernachlässigten, war Frau Hartl da. Kaum konnte Christine ihre eigenen Taten setzen, war sie aber obsolet. So interpretierte ich zumindest dieses Schlussbild, in dem Christine von der Frau etwas ins Ohr geflüstert bekommt. Das Lächeln Christines kann in alle erdenklichen Richtungen gedeutet werden.

YP: Christine war eben auf die Malteser-Helferinnen nicht angewiesen, sie wusste sich auch woanders zu helfen und durchzusetzen. Sie ist auch genaue Beobachterin der Welt um sie herum. Auch in der Szene, wo sie von Frau Hartl in die erste Reihe geschoben wird – obwohl die Malteser-Helferin sie ausdrücklich darauf aufmerksam macht, dass sie deswegen nicht von Gott bevorzugt wird. An dieser Szene kann man gut erkennen, wie verzweifelt sie eigentlich war. Und erst nach ihrer Beichte gibt es einen Sinneswandel. Wie gesagt, auf mich wirkte das Ganze sehr hoffnungsvoll, aber vielleicht deswegen, weil das für mich den besseren Schluss darstellt.

PD: Vor allem hat mir „Lourdes“ gezeigt, dass Jessica Hausner eine hervorragende Filmemacherin ist. Auch ihr Nachfolgewerk „Amour Fou“ hat mir außnehmend gut gefallen und ich bin schon gespannt, was ihr nächstes Projekt sein wird.

Top Gun

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Sein 30-Jahr-Jubiläum feiert heuer der Action-Klassiker „Top Gun“. Tony Scotts Hymne auf die Air Force ist auch heute noch ein Genre-Meilenstein, doch kann man sich Tom Cruise, Val Kilmer, Meg Ryan und Co. heute noch ansehen, oder hat der Film zu viel Staub angesetzt?

PD: Ein Geständnis vorab: Ich habe „Top Gun“ immer schon gehasst.

YP: Den Grundton des Films mochte ich auch noch nie. Ich muss aber auch gestehen, ich habe den Film bis gestern erst einmal in meinem Leben und das in den 90ern gesehen und seitdem nie wieder. Bei meiner gestrigen Sichtung wirkte das alles etwas grotesk, fast bizarr. Die Persiflage dieses Films, nämlich „Hot Shots“ habe ich öfter gesehen.  Abgesehen davon, dass er auch nicht zu meinen Lieblingsfilmen zählt, halte ich ihn für weniger aufgesetzt als „Top Gun“.

PD: Ich verbinde diesen Film sehr stark mit meiner Kindheit, da meine Militär-begeisterten Cousins bei jedem Besuch die „Top Gun“-Kassette in den Rekorder schoben. Daraus entstand eine tiefe Abneigung. Heute betrachtet, ist von der ersten Sekunde an eine gewisse Naivität in der Inszenierung zu finden. So unreflektiert wie schon in den ersten Sekunden zu den Tönen von „Danger Zone“ die Abflüge vom Flugzeugträger inszeniert werden, könnte das heute gar nicht mehr gemacht werden. Gerade weil es so unfreiwillig komisch wirkt.

YP: Dein Zugang ist natürlich nostalgisch umso negativer konnotiert. Für mich ist das mehr oder weniger ein weißer Fleck auf der Filmkarte. Die Inszenierung als naiv zu bezeichnen trifft es auch irgendwie. Das hat vielleicht auch etwas mit der Besetzung der Hauptrolle zu tun, aber Tom Cruise steht hier am Beginn dieser beeindruckenden Hollywood-Karriere. Retrospektiv steht er in „Top Gun“ für all das.

PD: Cruise spielt die Rolle auch, als wäre er in einer Action-Komödie gelandet. Dazu passen die Bar-Szenen in denen er mit seinem Partner Goose (Anthony Edwards) singt oder die an High-School-Komödie erinnernden Diskussionen mit den Vorgesetzten (ob James Tolkan oder Tom Skerrit). Das hat alles mehr von einem harmlosen Buddy-Movie, denn einem Actionfilm im Militärmilieu.

YP: Actionfilm. Richtig, irgendwie vergisst man auch immer, dass es sich um einen Actionfilm handelt. Trotz der Anfangssequenz und den immer wieder eingestreuten obligatorischen Flugspektakel, wo scheinbar die Figuren mehr Spaß an der Sache haben als das Publikum. Diesen Szenen und Sequenzen gegenüber möchte ich aber nicht ungerecht sein, die sind ganz sehenswert. Immerhin ist der Film jetzt schon dreißig Jahre alt, aber die Story ist so steif und lieblos durchkomponiert, dass jeglicher Spaß – mit Ausnahme des unbeabsichtigten und vorhin erwähnten – meilenweit auf der Strecke bleibt.

PD: Die Kameraarbeit und die Flugszenen sind schon sehr imposant. Das ist gut gemachtes Actionkino und Tony Scott hat dies auch in einen unterhaltsamen Rahmen gepackt, obwohl „Top Gun“ im Grunde ein Militär-Rekrutierungsvideo ist. Man vergleiche nur die Militärhuldigungen eines Michael Bay mit jenen von „Top Gun“. Dagegen wirkt Tony Scotts Arbeit geradezu einfühlsam.

Was am Actionplot mich immer wieder irritiert, ist dass es zunächst der Logik eines Sportfilms – die Jagd nach der Trophäe – und dann eines Rambo-Vehikels folgt. Die politischen Dimensionen der im Film getätigten Handlungen werden nicht mal angeschnitten.

YP: Wobei es so rüberkommt, als wären diese Millionen von Dollar teuren Flugkörper das Spielzeug und der grenzenlose Himmel der Spielplatz dieser jungen Lieutenants. Der von Tom Cruise gespielte Maverick ist verantwortungslos, er verstößt gegen jede erdenkliche Regel und bekommt trotzdem eine Chance nach der anderen. Dann kommt da diese aufgetakelte Lehrerin hinzu, die wir tatsächlich nie in der Luft sehen. Die kann einfach nicht anders als die Finger vom Protagonisten zu lassen. Das ist nur einer dieser „style over substance“-Filme, wo die Hauptfigur den Plot herantreibt bzw. der Plot um die Figur herum geschrieben wurde. Das hat mich sehr gestört. Wenn das ein Militär-Werbefilm sein soll, dann lässt er bei jedem Einzelnen sehr viel Individualismus zu. Das kann ich irgendwie nicht glauben.

PD: Das passt aber auch sehr gut in das Bild, das man jungen Männern vermitteln will. Kommt zum Militär, tobt euch aus und rettet die Welt. Nebenbei liegen euch die Frauen zu Füßen. Wenn dann am Ende mit dem Abschuss der feindlichen MiGs wohl ein Krieg vom Zaun gebrochen wurde, so entzieht sich das sowohl dem Erzählhorizont von „Top Gun“ als auch der Werbebotschaft. Hier ist Tony Scott dem blutigeren aber nicht minder vorgeblich unpolitischen „Black Hawk Down“ seines Bruders Ridley Scott schon sehr nahe.

YP: Laut Wikipedia hat der Filmtitel einen Zusatz, nämlich „Sie fürchten weder Tod noch Teufel“. Darauf, was wir bis jetzt besprochen haben, trifft das ganz gut zu. Ich bin ja ein großer Fan der Screen Junkies You Tube-Reihe „Honest Trailers“, wo einige Filme mit einer großen Portion Ironie auf die Schaukel genommen werden – und das in Trailer-Länge. Der „Honest Trailer“ von „Top Gun“ gehört da bestimmt zu meinen Lieblingszusammenfassungen. Da heißt es, darin werden nicht nur heroische Fantasien ausgelebt. Da gibt es einen stark homoerotisierten Unterton. Heutzutage kommt das Publikum ohnehin nicht umhin, diesen Kontext zu ignorieren.

PD: Auch wenn ich bezweifle, dass den Filmemachern bewusst war, was sie da tun, kann man aber auf die lange Beachvolleyball-Sequenz nicht hinblicken und umhin kommen, von überdeutlichen homoerotischen Anspielungen erschlagen zu werden. Das war für mich die allerdeutlichste Anspielung, um die man kaum herum kommt. Bei der Recherche zu der Thematik, bin ich auf einen bis dato mir völlig unbekannten Clip mit Quentin Tarantino gestoßen, der seine „Top Gun“-Theorie sehr amüsant vorlegt.

YP: Ich schließe da aber aus, dass eine Absicht dahinter war. Wobei es den Machern bestimmt um eine breitenwirksame Erotik ging. Mit den Beachvolleyball-Szenen (es gibt auch etliche Umkleidekabine-Szenen) sollte höchstens ein weibliches Publikum angesprochen werden. Und ein großes Publikum hat der Film angesprochen. Der Film hat an den Kinokassen unglaublich gut abgeschnitten.

PD: Auf rein persönlicher Ebene muss ich auch noch hinzufügen, dass die Propagandawirkung ihr Ziel nicht verfehlt hat. Einer der Cousins, der diesen Film in Dauerschleife sichtede, ist mittlerweile beim Bundesheer. Als Flugzeugtechniker.

Spotlight

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Das bereits im Vorfeld viel beachtete „Spotlight“ von Tom McCarthy hätten wir wahrscheinlich so oder so an dieser Stelle besprochen, aber dann hat der Film – mehr oder weniger überraschend – den diesjährigen Academy Award in der Kategorie „Best Picture“ gewonnen. Jetzt haben wir fast keine Wahl mehr. Und freuen uns auf den Dialog.

YP: Gehofft habe ich auf „Mad Max: Fury Road“ und davon ausgegangen bin ich, dass „The Revenant“ den diesjährigen Best-Picture-Oscar gewinnt. Dann aber doch „Spotlight“ und ohne „Room“ als einzigen nominierten Film noch nicht gesehen zu haben, kann ich ziemlich gut mit der diesjährigen Entscheidung von der Jury leben. Das ist doch ein solider Kompromiss. Und ich glaube aber auch, ein wenig politisches Kalkül ist auch dahinter.

PD: Wie in jedem Jahr könnte ich auch diesmal wieder einem Lieblingsfilm hinterher weinen, der noch nicht einmal im Feld der „Best Picture“-Kandidaten war. Im Vorjahr war dies „Inherent Vice“ und heuer „Carol“, doch mit „Spotlight“ kann man leben. Das ist das exakte Gegenteil des die Zuseher mit seiner Inszenierung auch immer wieder auf seine eigene Inszenierung hinweisenden „The Revenant“. Tom McCarthys „Spotlight“ hat mir mit dieser Verweigerung einer stilistisch auffälligen Inszenierung sehr imponiert. Hier dominiert die Geschichte, und zwar derart, dass der Regisseur beinahe dahinter verschwindet.

YP: „Carol“ natürlich, nicht zu vergessen. Nun zu „Spotlight“: dieser Film fungiert hauptsächlich aus Geschichtenerzähler, wobei die Eigenschaften des audio-visuellen Mediums fast in den Hintergrund geraten. Hauptsächlich finde ich es gut, wie hier dieser Kirchenskandal aufgearbeitet wird, wir dürfen auch nicht vergessen, mit diesen vielen Namen und Schauplätzen hätte das leicht ausufern können. McCarthy hat auch die Handlung in seinem Drehbuch, welches er mit Josh Singer geschrieben hat, filmisch auch ziemlich geradlinig dargestellt. Er läuft auch in keiner Sekunde Gefahr, sich in einen dieser auf wahren Begebenheiten beruhenden Film zu verwandeln, dem dieses Prädikat reicht, um die Handlung voranzutreiben. Hier haben wir ein solides Konzept, welches den Film stützt.

PD: Da sowohl in Rezensionen als auch in Interviews von Tom McCarthy selbst immer wieder „All the President’s Men“ von Alan J. Pakula als größtes Vorbild genannt wurde, habe ich mir diesen zum Vergleich auch noch einmal angesehen, und gerade bei der Handhabung der vielen Namen und Zusammenhänge, sieht man dann doch Qualitätsunterschiede. „Spotlight“ funktioniert auch deshalb so gut, da es gar nicht wichtig ist, zu wissen, wer denn nun all die Würdenträger und in den Skandal verwickelten Personen sind. Die wichtigste Quelle ist überdies ein nur per Telefon zu hörender Ex-Priester/Psychiater (toller Cameo von Richard Jenkins).

Es ist wohl auch als große Stärke des Drehbuchs anzurechnen, dass man sehr schnell die einzelnen Team-Mitglieder von Spotlight, sowie den neuen Herausgeber Marty Baron und die Anwälte klar zuordnen und auseinander halten und den Missbrauchsskandal als solchen klar erkennen kann. Wenn ich mir heute „All the President’s Men“ ansehe, dann ist das weiterhin ein sehr kraftvoller Film über Journalismus, aber der Watergate-Skandal verwirrt ohne eine gewisse Vorkenntnis. So nebenbei ist es eine hübsche Anekdote, dass Ben Bradlee Jr. (John Slattery) der Sohn des Washington Post Chefredakteur Ben Bradlee (in „All the President’s Men“: Jason Robards) ist.

YP: Dieser Skandal kommt mit dem neuen Herausgeber Baron (Liev Schreiber) ins Rollen, bzw. mit seinem Blickwinkel auf diesen einen Zeitungsartikel über den versetzten Priester kommt eine eigene Dynamik innerhalb der Redaktion und innerhalb des Investigativ-Teams Spotlight. Ich fand es gut, wie man sich hier gänzlich der Aufdeckung dieser Vertuschung um die 87 Priester, die innerhalb der Boston-Region Kinder missbrauchten, annahm. Auch wie die Figuren fast nur im Arbeitsleben agieren – es konzentriert sich alles auf diese Story innerhalb der Filmdiegese. Es gibt keine befremdlichen Lovestorys, wir erfahren um die Familienkonstellationen der Figuren, allerdings dient das meistens der Story. Trotzdem bekommt man einen guten Einblick in die Motivationen der der Menschen im Film. Vor allem bei Robby Robinson (Michael Keaton), dem Leiter von Spotlight, da er als renommierter Journalist und Einheimischer am Bostoner Gesellschaftsleben teilnimmt. Er hat einflussreiche Freunde, die nicht gänzlich unbeteiligt waren, diese Geschichte zu vertuschen.

PD: Das gesamte Spotlight-Team wird im Privatleben nur angedeutet, wobei Mark Ruffalo als Mike Rezendes beinahe den größten Raum bekommt. Auch Rachel McAdams‘ Hinweis auf ihre sonntäglichen Kirchgänge passen da gut ins Bild.

Es ist auch lohnenswert, genauer auf die Rolle von Marty Baron zu achten, und wie sie Liev Schreiber geradezu unterspielt. Es gibt keine großen Ausbrüche oder Anfeuerungen. Er fügt sich in seine neue Rolle hinein, und zeigt als Außenstehender gezielt auf eine Geschichte, die für eine „local paper“ von höchster Dringlichkeit sein soll. Das ist ein Aspekt, der mir sehr gut gefiel, nicht nur in der Darstellung des stets sträflich unterschätzten Liev Schreiber, sondern auch, wie die Bostoner Gesellschaft darauf reagiert. Man tausche die Kirche gegen die Mafia oder eine korrupte politische Elite aus, und es würde sich an der Dynamik der Ereignisse nichts ändern. Boston wirkt in diesem Zusammenhang wie ein eingeschworenes Dorf, welches sich von außen – und von einem Juden wie Marty Baron – schon gar nichts sagen lassen will.

YP: Ja, Liev Schreiber als Marty Baron hat mir auch sehr gut gefallen in dieser Rolle. Ihm kommt nicht allzu viel Präsenz zu,  aber was er aus der wenigen macht, ist bemerkenswert. So handhabt es der Film aber mit jeder Figur – mit Ausnahme von Mark Ruffalos Rezendes vielleicht. Wie Baron sprichwörtlich mit ein paar Bemerkungen zuerst die gesamte Redaktion, dann den Erzbischof und dann die Bostoner Gesellschaft aufrüttelt und die Geschehnisse ihre Handlung nehmen, ist bezeichnend für den Stil des Films. Erwähnenswert ist auch Rezendes Annäherung an den von Stanley Tucci gespielten Anwalt Garabedian, der zu Beginn des Films als eigenwilliger Charakter bezeichnet wurde und schließlich dem Spotlight-Team unter die Arme greift.

PD: Das zeichnet diesen Film auch aus, die langsame Annäherung an seine Charaktere und zugleich die Darstellung der geradezu zermürbend langen und langsamen Arbeit an dieser großen Geschichte. Der Symbolismus mit den immer im Hintergrund ins Bild ragenden Kirchen mag nicht sonderlich subtil sein, aber es ist für mich der einzige wirklich gravierende Kritikpunkt.

Viel mehr glaube ich, dass man noch Jahre später auf diesen gelungenen Journalisten-Thriller zurückblicken wird.

YP: Es gibt Filme, die sind so unaufdringlich und sichern sich somit auch einen Platz im Kanon.

 

 

 

Hail, Caesar!

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Ein neuer Film von den Brüdern Joel und Ethan Coen ist für viele eines der großen Jahreshighlights. Zuletzt begeisterten sie mit „Inside Llewyn Davis“. Diesmal begeben sie sich mithilfe eines Star-Ensembles, angeführt von Josh Brolin als Fixer Eddie Mannix, in die Zeit der 1950er-Studioproduktionen. Eine Entführung, viel Eitelkeit und Kommunismus stehen im Zentrum von „Hail, Caesar!“.

PD: Wenn ich an die Filme der Coen-Brüder denke, dann fällt mir vor allem ihr tiefschwarzer Humor ein, den ich aus „Fargo“ oder „Barton Fink“ kenne. Dagegen wirkt „Hail, Caesar!“ regelrecht milde.

YP: Und wenn ich an die Coen-Brüder denke, dann fallen mir aber auch Filme wie „O Brother, Where Art Thou? „, „Burn After Reading“, „The Big Lebowski“, „A Serious Man“ und „Intolerable Cruelty“ und genau in diese Richtung begeben sie sich mit „Hail, Caesar“. „Fargo“ und „No Country For Old Men“ sind auch von den Ethan und Joel Coen, aber mit dem aktuellen Film haben diese aber – bis auf die beiden Regisseure – kaum etwas zu tun. Nachträglich betrachtet steht „Fargo“ auch irgendwie fast allein da.

PD: Das ist das Schöne an ihrem Werk, sie haben eine derartige Vielfalt und doch ihren stets wieder erkennbaren Stil. Abgesehen von „The Hudsucker Proxy“ und dem missratenen „The Ladykillers“-Remake, fällt mir auch kein Film von ihnen ein, den ich nicht immer wieder gerne mal ansehen würde.

Was bei „Hail, Caesar!“ aber schon sehr ins Auge sticht, ist der geradezu leichtgewichtige Humor, den sie hier zelebrieren. Die alten Studiofilme werden mit viel Liebe zum Detail parodiert, aber schon auch zur selben Zeit gefeiert. Für all ihren Pomp und Pathos. Am Schönsten fiel dabei die Titelgebende Sandalen-Film-Version aus, in der George Clooney, den die Coens ja einfach zu gern als Dämlack hinstellen, schamloses Over-Acting betreiben durfte.

YP: Leichtgewichtiger als andere Coen-Filme finde ich diesen hier nicht. Mir war er etwas zu übereifrig und wohlmeinend. Die Hommage wurde zu oft betont und unterstrichen.  Zwar fand ich auch die einzelnen Episoden gelungen (Ralph Fiennes und Alden Ehrenreich waren miteinander großartig) , wie die diversen Plots dann miteinander verknüpft wurden, war nicht allzu stimmig. Die Besetzung war großartig, auch ein Clooney macht sich ganz gut in so einen Ensemble. Clooney und Brolin hatten wenigstens gebührend Screen time, wobei ich mir das bei anderen aus dem Cast auch gewünscht hätte. Scarlett Johansson war mir viel zu kurz drinnen. Gerne hätte ich auch mehr von Tilda Swinton gesehen. Frances McDormand und Jonah Hill waren gerade ein paar Minuten im Bild.

PD: Ich bin mir auch nicht sicher, ob das nun gewollt war oder nicht. Denn die Handlung dreht sich ja um den Fixer Eddie Mannix (Josh Brolin) und seine wechselnden Begegnungen mit verschiedenen Stars an verschiedenen Sets. Klar wird dadurch der Raum für die einzelnen Protagonisten zwangsweise kleiner, aber diese Star-Ensemble-Inszenierung führte auch dazu, dass man von den einzelnen Charakteren nur wenig vermittelt bekam, abgesehen von einzelnen Gags. Etwa Scarlett Johanssons Promiskuität oder ihr Divenhaftes Gehabe, ebenso die homoerotischen Untertöne bei der Matrosen-Tanz-Nummer mit Channing Tatum. Es ging in diesen Stellen nicht über die Parodie hinaus.

In diesem Sinne war es für mich leichtgewichtiger als etwa andere Komödien der Coens wie „A Serious Man“ oder auch „O Brother, Where Art Thou?“, in welchen Sinnkrisen respektive Rassenkonflikte behandelt wurden. Die Schwarze Liste und der Einfluss der alten Studios auf das Leben seiner Stars wird in „Hail, Caesar!“ eher milde behandelt.

YP: In thematischen Sinne ist dieser Coen-Film bestimmt leichtgewichtiger, aber bewegt sich keineswegs leichtfüßiger als andere. Mir wurde hier auch zu viel parodiert oder zu viel reminisziert. In dieser Szene, in der Eddie einen Jobwechsel in Erwägung zieht und dann aus moralisch fragwürdigen Gründen bei seinem alten Job bleibt, das hat mich irritiert. Bei einigen Szenen fragte ich mich wirklich, was die jetzt zum Plot beigetragen hatten. Einiges wirkte auf mich als wäre es  wild und unbedacht zusammengefügt worden. Ich konnte nie ganz bei der Sache sein. Man könnte sagen, der Film hat mich auch nur halbherzig unterhalten. Wohlmeinend gemeint, aber halbherzig.

PD: Die Szenen, in welchen Mannix von einem Lockheed-Vertreter ein lukratives Job-Angebot vor die Nase gehalten bekommt, fand ich nicht ganz unwichtig, da sie die Verbundenheit von Mannix mit diesem „Zirkus“ zeigten. Obwohl scheinbar alle Gründe für einen Wechsel zu Lockheed sprechen (Bezahlung, Arbeitszeiten), kann er sich einfach nicht von dem kreativen Chaos des Studios lösen.

Es ist auch einer jener Filme, bei denen ich mir sicher bin, dass bei erneuten Sichtungen, weitere, beim ersten Mal nicht bemerkte, Gags zu Tage treten werden. Dass die Filme etwa bei Capitol Pictures (das Studio welches schon in „Barton Fink“ eine Rolle spielte) produziert werden, ist noch die auffälligste Anspielung. Enttäuscht war ich eher von dem zerfaserten Kommunisten-Plot. Die Schwarze Liste und der Wechsel von Hollywood-Star Burt Gurney auf die andere Seite wirkten mir ein wenig unkonzentriert inszeniert. Stattdessen gab man dem herrlichen Alden Ehrenreich (der mir schon in „Tetro“ sehr gut gefiel) viel Raum, um die verschiedenen Handlungsstränge miteinander zu verbinden.

YP: Diesem Studio-Chaos bzw. diesen Zirkus treten die Coens in „Hail, Caesar!“ mit viel Respekt entgegen. Wie bereits erwähnt haben sie genau so den Film angelegt. Für das moderne Publikum soll hier nochmal die alte Welt wiederbelebt werden. Und alteingesessene Filmfans können hier in den guten alten Studio-Zeiten schwelgen. Das ist eigentlich genau das, was sie auch bei „Inside Llewyn Davis“ gemacht haben, nur dort auf die Musikindustrie der 1960er Jahre bezogen. Bloß fand ich es dort auch stimmig und gelungen, wohingegen der neueste Streifen hinter den Erwartungen zurückliegt.

PD: „Inside Llewyn Davis“ hat sich allerdings auch viel mehr mit seinem Titelcharakter und dessen Lebensumständen beschäftigt. Es war mehr eine Sinnsuche in einem Musik-Drama (man denke nur an den Road-Movie-Teil mit John Goodman), deren Charaktere dann auch entsprechend ausgebaut waren. Kein einziger Charakter in „Hail, Caesar!“ ist derart mit Leben erfüllt. Da unterscheiden sich die beiden Filme dann doch grundlegend. Meine Erwartungen hat „Hail, Caesar!“ jedoch schon erfüllt und mich gut unterhalten, auch wenn ich mir stellenweise bösere Witze und vor allem einen zwielichtigeren Eddie Mannix (der echte Mannix hatte ja eine viel dunklere Lebensgeschichte) erwartet hatte.

What Happened, Miss Simone?

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Der für einen Academy Award in der Kategorie Beste Dokumentation nominierte und derzeit auf Netflix zu streamende Film „What Happened, Miss Simone?“ steht diese Woche im Mittelpunkt unseres ausnahmsweise musikalischen Dialogs.

PD: Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass mir der Name Nina Simone bis zu dieser Dokumentation sehr wenig sagte. Einige ihrer Songs kannte ich hingegen bereits sehr gut.

YP: Wie meinst du das? Du kanntest einige Songs, aber du wusstest nicht, von wem sie sind? Mir ist Nina Simone schon lange ein Begriff. Sie ist auch eine konstante Größe in der Popmusik, ihre Songs halten immer wieder in Coverversionen her. Ich denke da an das sehr bekannte Felix da Housecat-Cover von „Sinnerman“. Allerdings wusste ich nicht viel über ihr Leben, was sich jetzt mit dieser Dokumentation geändert hat.

PD: Mein Musikwissen füllt nicht gerade Plattenregale, weshalb ich zwar einige Songs sehr gut kannte, aber sie nicht mit ihr in Verbindung brachte. Das hat die Dokumentation zumindest geschafft, dass ich nun sehr viel mehr über die Person Nina Simone weiß. Allerdings hatte ich nach Liz Garbus‘ Film auch den Eindruck nun mehr über die Aktivistin Nina Simone zu wissen, denn über die Künstlerin.

YP: Aber gerade dieser Zugang macht „What Happened, Miss Simone?“ unglaublich sehenswert. Simones künstlerisches Schaffen geht Hand in Hand mit den politischen Gegebenheiten der Zeit, in der sie gelebt hat. Sie konnte gar nicht anders als politisch sein, bzw. muss man schon sehr privilegiert sein, um anzunehmen, Politik habe keinen Einfluss auf das Leben. Regisseurin Liz Grabus hat sich sowohl der musikalischen Ebene ihres Lebens als auch der politischen Ebene gleich bedeutend angenähert, bzw. sie hier filmisch nicht separat voneinander behandelt. Vor allem zeigt Garbus diese Ohnmacht gegen das vorherrschende und sehr rassistische System, welches Simones Leben von Anfang an bestimmt. Die sehr talentierte Miss Simone wollte klassischen Pianistin werden, wurde aber aufgrund ihrer Hautfarbe zur weiterführenden Ausbildung nicht zugelassen. Das muss man sich einmal vorstellen. Zum im Elternhaus unliebsamen Jazz kam sie aus Notwendigkeit und Protest. Heutzutage wird sie musikalisch dafür gefeiert. Das ist alles sehr politisch.

PD: Das macht die Dokumentation auch sehr sehenswert, keine Frage. Es entsteht durch den Zugang, den ihre Tochter Lisa bietet und mittels des reichhaltigen Archivmaterials ein sehr klares Bild von dem Menschen Nina Simone. So bleibt das keine sentimentale Faserschmeichlerarbeit wie etwa das völlig überschätzte „Searching for Sugar Man“.

Meine Kritik an Garbus richtet sich auch eher daran, dass ich das Gefühl hatte, sie gehe von einem Publikum aus, welches über die Künstlerin Nina Simone bereits alles wüsste. Deshalb entstehen die wirklich interessanten Passagen auch eher aus dem Privatleben heraus, welches mit vielen großartigen Archivaufnahmen illustriert wird und auch aus ihrer politischen Tätigkeit. Unter welchem Druck und welcher Benachteiligung sie leben musste, kann man sich ja selbst trotz des schön gespannten gesellschaftspolitischen Bogens um die Bürgerrechtsbewegung, nur schwer vorstellen.

YP: Liz Garbus wollte hier unter keinen Umständen Gefahr laufen, etwas zu präsentieren, was bereits allzu bekannt ist, was aber bei dieser Protagonistin nicht leicht ist. Daher ist dein Kritikpunkt in meinen Augen auch angebracht. Dieses Porträt ist definitiv als posthume Hommage gedacht und an das sehr außergewöhnliche Leben der Künstlerin Simone.

PD: Insofern bewegt sie sich auf ein wenig ausgetretenen Pfaden. Stilistisch ist das viel zu oft nur der reine „Talking Heads“-Film. Eine Einblendung zu Simone, dazu ein Weggefährte oder auch die Tochter, die dann ihre Sicht der Dinge wiedergeben und aus der Distanz das Leben und Werken von ihr interpretieren und erklären wollen. Ein Punkt der mich an sehr vielen Dokumentationen stört. Denn so liefert sich auch die Filmemacherin diesen Informationen regelrecht aus.

Belebt wird die Inszenierung vor allem durch das reichhaltig vorhandene Archivmaterial. Sowohl in Text- als auch Ton- und Bildform. Ihre Briefe und schriftlichen Einträge liefern dabei ein sehr einprägsames Bild davon, wie sie sich fühlte. Mein liebster Moment war aber, als sie beim Konzert eine Person zum Hinsetzen aufforderte. Da war sie in einem Moment der Publikumsliebling und im nächsten die das Geschehen diktierende Frau, die sich keinesfalls unterbrechen lassen wollte. Beeindruckend.

YP: Ich hatte auch eher das Gefühl, es handelt sich um eine solide Fingerübung und die Regisseurin baut sowieso auf den Überraschungseffekt des Inhalts, die Person Nina Simone gibt dann doch viel her. Es geht außerdem ein gewisser Personenkult um die Sängerin. Dramaturgisch begibt sie sich hier auf ziemlich altbekannten und wenig aufregenden Pfaden, und wie du schon sagt – geht sie inszenatorisch kein Risiko ein. Mich stört das an vielen Dokumentationen nicht, ich finde sie dann einfach etwas unkreativ.

Ins Kino wäre ich dann doch nicht dafür gependelt. Das liegt aber vor allem daran, dass ich mir kaum Dokumentarfilme im Kino ansehe – mit einigen Ausnahmen. Allerdings bin ich froh, dass „What Happened, Miss Simone?“ auf Netflix angeboten wird. So kann ich dann doch immer mein Repertoire erweitern. Ich muss auch zugeben, dass mich aber erst die Oscar-Nominierung auf den Film aufmerksam machte.

PD: Im Gegensatz zu „Beasts of No Nation“, wäre ich ebenso wenig für „What Happened, Miss Simone?“ ins Kino gepilgert. Die Dokumentationen von Michael Glawogger waren hingegen Fixpunkte im Kino. Zudem stehen Arbeiten rund um eine musikalische Strömung oder einen Musiker bzw. eine Musikerin für mich immer nur im Rahmen der Viennale im Blickpunkt, da es sich dieses Festival zur Aufgabe gemacht hat, einen Querschnitt der interessantesten Musik-Dokumentationen zu liefern. Würden nicht die Oscars anstehen, hätte ich wohl auch keine Notiz davon genommen, da ich auch thematisch nicht sofort hingezogen wurde. Vor allem arbeiten die meisten Filme in diesem Sub-Genre viel zu sehr damit, dass die gute Musik schon über die inszenatorischen Schwächen hinweg trösten wird. Nach dem Motto: Wer beschwingt mit dem Fuß mit wippt, wird sich schon gut unterhalten fühlen.

Im Gegensatz dazu, fand ich die andere für den Oscar nominierte Netflix-Doku „Winter on Fire“ thematisch interessant genug, um lange vor der Nominierung den Film zu streamen. Doch auch hier war ich eher ernüchtert. Inhaltlich habe ich bei beiden Netflix-Filmen einige interessante Punkte mitgenommen, doch auf künstlerischer Ebene ließen sie mich eher kalt zurück.

Orange is the New Black

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Seit nunmehr drei Staffeln feiert die Netflix-Serie „Orange is the New Black“ große Erfolge auf dem Streaming-Portal, sowie bei Kritikern und Publikum. Basierend auf dem autobiographischen Werk von Piper Kerman folgt das Publikum der behütet aufgewachsenen Piper (Taylor Schilling) in den Alltag eines Frauengefängnisses. Wir besprechen die Hochs und Tiefs der bisher verfügbaren Episoden.

PD: Zunächst einmal war „Orange is the New Black“ ein famoser Werbe-Hit. Ohne die effektiv abzielende Werbung von Netflix wäre ich wohl kaum auf diese Serie gestoßen.

YP: Mir ist die Serie schon lange ein Begriff, Netflix habe ich erste ein halbes Jahr. Es hat mich bisher nie gereizt, die Serie zu sehen. Einige Wochen zuvor habe ich mir dann die erste Folge angesehen und bin jetzt fast alle drei Staffeln durch. Serien wie diese prägen den Begriff des „binge-watching“, d.h. sie sind perfekt darauf abgestimmt, in Schnellverfahren gesehen zu werden. Beim Schauen musste ich mich regelrecht bremsen, sonst wäre ich wohl noch bis in die Morgenstunden aufgeblieben. Überhaupt verträgt sich „binge-watching“ kaum mit dem Arbeitsleben mit regulären Bürostunden. Ausschlaggebend war nicht der Werbe-Hit, vielmehr bin ich auf den fahrenden Zug des Hypes aufgesprungen. Als im Herbst die 3. Staffel auf Netflix veröffentlich wurde, kam man auf Twitter unter keinen Umständen daran vorbei, auch wenn man wollte.

PD: Die Kunst des „binge-watching“ beherrsche ich bis heute nicht. Derweil bin ich gerade bei den Netflix-Serien froh, dass ich ohne Probleme eine Staffel in meinem eigenen Rhythmus sichten kann. Deshalb hat sich mein Seherlebnis von „Orange is the New Black“ über einen längeren Zeitrahmen und immer relativ zeitnah zur Veröffentlichung der jeweils aktuellen Staffel zugetragen. Wie auch schon bei „House of Cards“.

Der um die Serie ausgebrochene Hype war wirklich kaum zu übersehen. Dabei ist der interessanteste Aspekt, dass der Fokus von Piper sich im Laufe der Staffeln 2 und 3 auf die restlichen Insassinnen verschob. Vor allem die mit Kate Mulgrew herrlich besetzte Red ist immer wieder ein persönliches Highlight.

YP: Nachdem mich Piper und ihr Drama mittlerweile schon etwas nerven, bin ich wie du sehr froh über die Verschiebung des Blickwinkels. Red mit ihrer Rivalität zu V und die vielen Rückblenden dazu sind eine spannende Plotline. Überhaupt gefällt mir sehr gut, wie die Serie mit jeder einzelnen Folge mithilfe der Rückblenden eine Figur näher vorstellt.

PD: Was dennoch ein wenig negativ ins Gewicht fällt, ist die generelle Weichzeichnung im Gefängnisalltag. Ich müsste mich wohl auch intensiver mit dem Strafvollzugsystem in den USA auseinander setzen, aber es erscheint zum Teil schon sehr skurril, welche Freiräume die Frauen da zum Teil haben. Es verschwinden schon sehr oft Paare in der Kapelle und werden eher zufällig durch einen Wärter entdeckt werden.

Apropos Wärter. Dass auch dem Wachpersonal und der Verwaltung viel Raum eingeräumt wird, gefällt mir sehr gut. So werden alle Charaktere auf eine Ebene gestellt, und es kommt zu keiner Dämonisierung. Vor allem der traurige Alltag von Healy (Michael Harney) und seine gleichzeitige Selbstüberschätzung im Berufsleben fand ich gut gemacht.

YP: Tatsächlich ist mir diese Beobachtung auch durch den Kopf gegangen. Für mich ist das eher ein dramaturgischer Makel einerseits, andererseits sind sie in diesem Gefängnis unterbesetzt, das kommt oft zu Sprache, insofern erklärt sich das dann auch. Interessant gezeigt wird auch die Logistik des Gefängnisses, auch die gesamte Hierarchie wird gezeigt. Sogar mit politischem Skandal.

Healy ist auch so ein Charakter, den ich gar nicht ausstehen kann. Aber der kriegt auch einiges ab. Eigentlich wird da keiner verschont.

PD: Es gibt immer wieder Erklärungen oder Handlungsverläufe, die gewisse Freiheiten erklären, aber es bleibt dennoch eine Schwachstelle. Etwa die Isolationshaft von Nicky, oder auch das Finale der 3. Staffel. Natürlich war das ein schöner, kathartischer Moment für alle Insassinnen, aber es bewegte sich dann schon eher im Bereich eines Märchens. Zudem fragte ich mich, ob in einer Serie, die ein Männergefängnis so darstellen würde, eine derartige Szene jemals vorkommen würde.

Die männlichen Charaktere wirken immer wie Getriebene. Sie wollen aufgebauten Lebensentwürfen und Idealen aber auch Lebenslügen hinterher hecheln, und schaffen es nicht. Ob Healy, der nur eine Partnerin will, die sich für ihn interessiert, oder Caputo oder auch Pipers Freund Larry (Jason Biggs). Alle opfern sie am Ende alle hehren Ideale und machen das völlig Falsche. Wie Larrys Radiointerview, wie es ihm damit geht, eine Freundin im Gefängnis zu haben, was im Endeffekt nur den Zweck hatte, seine eigene Karriere in Schwung zu bringen.

YP: Interessant, dass du den Männern in der Serie einen ganzen Absatz widmest. Für mich sind das unbedeutende Randfiguren. Es war in keiner Sekunde nachvollziehbar, warum Piper mit Larry zusammen ist. Und wenn ich an „Pornstache“ denke, dann stellen sich mir die Nackenhaare auf. Auch ist es wegen der Männer im Allgemeinen, dass einige der Figuren überhaupt im Gefängnis sitzen. Apropos Männergefängnis: Es gibt es auch genug frauenlose Gefängnisfilme und -Serien, wenn du da weiter recherchieren willst.

Am Anfang habe ich mich oft gefragt, wie viel Wahrheit und Wahrscheinlichkeit hier transportiert wird und die wahre Geschichte hinter Piper gegoogelt, aber das hat mich dann nur davon abgehalten, das Gesehene uneingeschränkt aufzunehmen. Es ist komplett irrelevant. Gelungen ist das Aufzeigen dieser Ohnmachtssituation, in der sich die Frauen befinden. Auch ging ich bei den Szenen mit Gewaltinhalt (V und Red) ständig an meine Grenzen. Was ich aber besonders herausheben möchte und was die Serie – abgesehen davon, dass sie wirklich gut gemacht ist – sehenswert macht: wie hier die Geschlechterverhältnisse auf den Kopf gestellt werden und neu angeordnet werden. Und damit meine ich nicht die zwischen den Frauen und den Männern, sondern vielmehr zwischen den Frauen untereinander. Da gibt es eine Neuanordnung der Gesellschaftsordnung, nicht nur auf sozialer Ebene und zwischen den Ethnien. Laverne Cox als Sophie Burset ist da ein gutes Beispiel.

PD: Der Gefängnisfilm ist bislang hauptsächlich eine reine Männersache gewesen, das ist mir schon klar. Ich fand nur die Art und Weise, wie gewisse Szenen sich entfalteten sehr interessant. Vor allem das Finale der 3. Staffel. So eine Szene würde es in keinem Männergefängnis-Film geben, da das Klischee dort die Muskelbepackten Machofantasien bedient.

Den Männern habe ich gerade deshalb ein wenig Raum eingeräumt, da wir sie sonst unter den Tisch fallen gelassen hätten. Dazu sind die Rollen aber einfach zu gut gespielt, gerade in ihrer Widerwärtigkeit und Scheinheiligkeit. Natürlich liegt der Fokus aber auf den Insassinnen und da gibt es eine ganze Reihe toller Charaktere. Wie Uzo Aduba aus der zu Beginn der Serie hauptsächlich merkwürdig wirkenden Suzanne so viel Tiefe heraus holt, und man mit ihr mitfühlt, noch bevor man ihre ganze Hintergrundgeschichte kennt, blieb mir dabei am stärksten hängen. Neben Red ist sie meine Lieblingsfigur. Bei Piper beginnen sich die Probleme einfach zu oft zu wiederholen. Da ist es interessanter sich mit den Problemen von Sophia (Laverne Cox) zu beschäftigen. So ganz nebenbei und unaufgeregt geschieht das.

YP: Dann lassen wir sie eben unter den Tisch fallen, das ist kein großes Versäumnis. Wie ich schon oben erwähnt habe, sind sie in meinen Augen Randfiguren, trotzdem werden sie aber in der Darstellung nicht marginalisiert. Was aber in „Oz“ und „Prison Break“ und deren Darstellung mit Frauenrollen eindeutig der Fall ist. Du siehst hier nicht nur das Finale der 3. Staffel, wie du es nie in einem Männergefängnisfilm sehen würdest: Das liegt auch daran, dass sich dir die bisher präsentierten Blickwinkel im Mainstream-Kino oder in den Hauptabendprogramm-Serien sehr eingeschränkt präsentiert haben. Diese Zeiten sind nun – und ich sage das über die Maßen erleichtert – endgültig vorbei.

Hier werden die Geschlechterverhältnisse auf den Kopf gestellt. Medial kennen wir Gefängnisse als frauenlose Räume und Räumlichkeiten. Hier aber sind es die Frauen, deren Welt und Leben sich darin abspielt. Das ist ziemlich einzigartig in dieser Form. Die Stärke der Serie liegt in der vielschichtigen Repräsentation von vielen Figuren, egal welchen Geschlechtes (und ja, es gibt mehrere als zwei). Die Abwesenheit der Schwarzweißmalerei in der Charakterzeichnung ist auch so ein Punkt. Niemand ist besonders gut, auch ist niemand abgrundtief schlecht. Das ist so viel mehr als nur „guilty pleasure“-Fernsehen.

PD: Charaktere unter den Tisch fallen lassen, möchte ich aber aus Prinzip nicht. Denn für die Erzählung sind ja alle Charaktere entsprechend wichtig. Der Handlungsstrang von Daya (herrlich gespielt von Dascha Polanco) und ihrer geheimen Beziehung zum Wärter John Bennett (Matt McGorry) ist so ein Beispiel. Die auf den Kopf gestellten Geschlechterrollen, wie man sie sonst aus Gefängnisfilmen und -serien kennt, führt in „Orange is the New Black“ dazu, dass die Frauen die Kontrolle über das Geschehen übernehmen müssen, da die Männer marginalisiert werden. Das ist keine Kritik, das finde ich gut.

Wichtiger ist aber die schon angesprochene Stärke, der ausbalancierten Charakterzeichnung und vor allem der im Gefängnis vorherrschenden Konflikte. Es wird auch keine heile Welt vorgespielt. Die Latinas bleiben so unter sich, wie auch die White Trash-Frauen. Mir imponiert die Unaufgeregtheit, die aber erst im Laufe der Serie entstand. Zu Beginn sitzt das Publikum noch mit Piper in einem Boot und klammert sich natürlich an ihren Erzählstrang, da man ebenso fremd ist, in dieser Gefängniswelt. Je tiefer sie in diesen Mikrokosmos eindringt, desto mehr kann man sich auch auf die anderen Charaktere einlassen, und es fällt auch schwer, sich eine Favoritin heraus zu picken. Denn selbst so unsympathische Frauen wie Pennsatucky bekommen immer mehr Facetten.

YP: In einer der ersten Folgen aus der zweiten Staffel fehlt Piper und mir ist das erst ganz spät in der Folge aufgefallen. So sehr hat sich der Fokus auf die anderen Insassinnen verlagert. Die Männer werden eben keineswegs marginalisiert, sie spielen einfach keine Hauptrollen. Daher hat es mich auch gewundert, dass es für dich erwähnenswert ist. Jeder Figur ist hier jeder nur ein Mittel zum Zweck, so schreitet die Handlung voran und so brauen sich Konflikte zusammen. Unaufgeregt beschreibt es ganz gut. Jede und keine Figur eignet sich zur Identifikation mit dem Publikum. Sympathieträgerinnen gibt es viele, aber hauptsächlich deswegen, weil irgendwie alle zugänglich und menschlich dargestellt werden.

Point Break

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Ganze 25 Jahre nachdem das Original von Regisseurin und Oscar-Preisträgerin Kathryn Bigelow in die Kinos kam, kommt „Point Break“ in einer neuen Version in die Kinos. Das nehmen wir uns zum Anlass, Bigelows Film wieder zu sehen, genauer unter die Lupe zu nehmen und an dieser Stelle zu besprechen.

YP: Alles in allem ist „Point Break“ ein feiner und handwerklich gut gemachter Action-Thriller, typisch für die Endachtziger und Neunzigerjahre. Für Reeves ging es ab 1991 eigentlich nur noch stetig bergauf mit der Karriere. Was mir allerdings schon in den Sinn gekommen ist: Reeves hat immer das gleiche Spiel. Hier liefert er eine solide Leistung, aber viel verlangt ihm die Rolle des FBI-Agents Johnny Utah auch nicht viel ab. Wobei Patrick Swayze die bessere Vorlage bekam und auch mehr Freunde an der Interpretation dieser beweis. Einen sehr guten Text zu Reeves und seinem Schauspiel-Stil hast du auf der Roger Ebert-Seite entdeckt: „The Grace of Keanu Reeves“ by Angelica Jade Bastién. Kann ich jedem empfehlen, der sich schon mal länger mit Reeves auseinandergesetzt hat (siehe auch der Dialog zu „John Wick“).

PD: Wäre das Remake nicht aktuell in den Kinos, dann hätte ich kein großes Interesse daran gehabt, mir Bigelows Actionklassiker erneut anzusehen. Bei meiner ersten Sichtung vor über zehn Jahren, hat der Film wenig Eindruck auf mich gemacht und auch heute, bin ich nicht so fasziniert davon, dass ich den Kultstatus verstehen würde. Solide trifft es ganz gut. Es gibt schon einige Sequenzen, die handwerklich beeindruckend sind, wie die Fallschirmsprung-Szene, oder auch die Verfolgungsjagd zu Fuß, die auch in „Hot Fuzz“ herrlich parodiert wurde.

Inhaltlich und darstellerisch bietet „Point Break“ aber wenig, was mich beeindruckt hätte. Gerade Reeves‘ Darstellung ist derart eintönig, dass ich mich schon wundere, weshalb er danach zu einem gefragten Action-Darsteller wurde.

YP: Die Darstellung in „Hot Fuzz“ war aber eher eine Parodie auf das gesamte Genre der Buddy-Bromance-Movies und eher eine Hommage an „Point Break“, vor allem eben diese Szene, die du erwähnst. Für einen Actionfilm, der zu Beginn der Neunziger gedreht wurde, ist er aber gelungen. Mir gefällt auch das Tempo, der Film nimmt sich auch wirklich 120 Minuten Zeit und zeigt dabei keine Hektik. Auch kommt für mich der Film zwar nicht an den wunderbaren Millennium-Thriller „Strange Days“ heran, aber ist durchaus sehr sehenswert.

PD: Es gibt Szenen, in denen alle Elemente hervorragend zusammenpassen. Wenn erstmals der Bankraub der „Ex-Presidents“ gezeigt wird, dann hat das schon auch ein wenig von einem Michael-Mann-Film. Wie auch Bigelows Interesse an den Charakteren und ihren Lebensumständen. Die Philosophie, die hinter Bodhis Leben steckt und in die Johnny immer mehr versinkt.

Im Gegensatz zu späteren Bigelow-Filmen, die mich mehr einnahmen, von „Strange Days“ über „The Hurt Locker“ bis zu „Zero Dark Thiry“, fehlte mir hier aber einfach die Intensität. Swayze spielt den verführerischen Surfer-Guru großartig und es fällt nicht schwer, sich zu fragen, wie man ihm verfallen kann. Daneben sind die Charaktere und ihre Darstellungen aber eher Genre-Abziehbilder. Von Bodhis Handlangern bis hin zu Johnnys Vorgesetztem.

YP: Die Michael- Mann-Filme, die ich mit „Point Break“ assoziiere, sind alle nach 1991 und diesem Film entstanden. Aber grundsätzlich gebe ich dir recht, dass Bigelow ihren späteren Filmen vielmehr ihre eigene Handschrift aufdrücken konnte. Vor allem bei „Zero Dark Thrity“ ist sie zur Höchstform als Regisseurin aufgelaufen – wobei sie bereits in „Near Dark“ und „Blue Steel“, ihren beiden Werken aus den Achtzigern, hervorragende und leider zu wenig beachtete Leistungen gezeigt hat. Sie ist außerdem die einzige Regisseurin Hollywoods, der ich den Titel Action-Regisseurin geben würde.

PD: Manns Ästhetik hatte sich ja schon in den späten Siebzigern („Thief“) und den Achtzigern („Miami Vice“, „Manhunter“) gefestigt. Da sehe ich schon ein paar Parallelen.

Da du ihre Frühwerke erwähnst, muss ich auch zu meiner Schande gestehen, dass ich „Near Dark“ noch nie gesehen habe und die letzte Sichtung von „Blue Steel“ auch schon über zehn Jahre zurückliegt. Trotz des Bekanntheitsgrades von Bigelow, sind diese Filme immer noch unter dem allgemeinen Radar der Filmöffentlichkeit.

Sie ist mit Sicherheit DIE Action-Regisseurin, aber mir fällt auch noch spontan Lexi Alexander ein, die einen missglückten „Punisher“-Film gedreht hat. Die Frage ist auch, weshalb es so wenige Action-Regisseurinnen in Hollywood gibt. Als für die Fortsetzungen der „Hunger Games“-Filme nach einem neuen Regisseur für den abgesprungenen Gary Ross gesucht wurde, wurde dezidiert nur nach einem Mann gesucht. Als ob keine Frau in Hollywood dazu fähig wäre. Immerhin hatte Bigelow auch vor „Point Break“ keine großen Actin-Blockbuster gedreht, sondern sich erst dadurch einen Namen in diesem Genre gemacht.

YP: Was bei Bigelow aber auffällt, wie spät sie eigentlich die gebührende Anerkennung für ihr Werk erhalten hat. Man kann fast behauten, dass sie zur Höchstform aufgelaufen ist. Und trotzdem macht die Frau nun seit vier Jahrzehnten Filme auf einem unglaublichen hohen Niveau. Ich finde das beachtenswert. Ob sich die Qualität ihrer Filme gesteigert hat, kann ich in diesem Sinne nicht beantworten, da ich ihre Frühwerke auch gut finde. Aber sie hat medial natürlich viel mehr Beachtung bekommen – vor allem waren ihre Filme nicht nur zeitgemäßer, sie hat fast einen gewissen Zeitgeist eingefangen. Und neben der politischen Brisanz mit „The Hurt Locker“ und „Zero Dark Thirty“ kam natürlich auch die Anerkennung der Academy (of Motion Picture Arts and Sciences). Wobei da auch Filme dabei sind, die eher in Vergessenheit geraten, wie zB „K-19“.

PD: Ihr Gesamtwerk betrachte ich mit Respekt. Sie hat sich ja auch mit „The Hurt Locker“ und „Zero Dark Thirty“ trotz aller Komplexität, vor allem als moderne Action-Regisseurin positioniert. Ein Genre, in dem die Filmöffentlichkeit doch nur den Michael-Bay-Machismo sehen will. Umso erstaunlicher, mit welchem Erfolg sie arbeitet. Dass sie bislang eine Ausnahmeerscheinung ist, finde ich hingegen wieder traurig. Sobald eine Regisseurin einen Misserfolg abliefert, wie die zuvor angesprochene Alexander, dann wird dies sofort auf das Geschlecht reduziert. Ich kann mich nicht erinnern, wann einem Mann der finanzielle und/oder künstlerische Misserfolg eines Films mit seinem Geschlecht in Verbindung gebracht wurde.

YP: Das, was du ansprichst, ist ein allgemeines Sexismus-Problem: bei Frauen werden Misserfolge leider nach wie vor mit dem Geschlecht konnotiert, in einer überwiegend patriarchalen Gesellschaftsstruktur ist die Diskriminierung leider in vielen Bereichen Norm. Allerdings glaube ich nicht, dass die Filmöffentlichkeit das so haben will. Die Branche hat sich scheinbar gut damit arrangiert. Vielmehr werden alte Muster nur schwer durchbrochen. Das ist dann oft ein Teufelskreis und steht für den ganzen Umgang mit Minderheiten in Hollywood. In unserem Dialog zu „Creed“ sind wir auch ausführlich darauf eingegangen. Der Sexismus (Rassismus, usw.) ist so stark verwurzelt, dass man das ganze System auf den Kopf stellen müsste. Es fehlen Aushängeschilder, weil dem Nachwuchs auch kaum Chancen geboten werden, diese geschweige denn anerkannt werden. Wie du das auch bereits oben in Bezug auf die „Hunger Games“-Debatte angesprochen hast: Regisseurinnen werden keine Blockbuster-Filme angeboten, wie sollen sie sich denn da überhaupt behaupten können? Dann gibt es aber Regisseure wie David Fincher, die auch nach Schrott wie „Alien 3“ weitere Chancen (was in Finchers Fall auch gut ist) bekommen. Oder es gibt Regisseure wie Zack Snyder, die überhaupt Chancen bekommen.

Bigelows Karriere ist in diesem für Regisseurinnen im Allgemeinen und für Action-Regisseurinnen im Besonderen feinseligen Umfeld wirklich einzigartig. Noch dazu macht sie Filme, die in Erinnerung bleiben.